Stuttgart & Region

EM-Bilanz in Stuttgart: Was bleibt von vier Wochen Fußball-Spektakel im Kessel?

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Stuttgart war die einzige der zehn Gastgeberstädte mit zwei Spielen der DFB-Elf. Hier die Massen auf dem Schlossplatz während dem Viertelfinale gegen Spanien. © in.Stuttgart/T. Niedermüller

Die Europameisterschaft in Deutschland ist vorbei. Spanien hat den Titel geholt, vier Turnier-Wochen liegen hinter dem Land und den Fans. Am Montag nach dem Finale (15.07.) wurde in Stuttgart eine erste Bilanz gezogen. Im Großen und Ganzen zeigten sich Organisatoren, Politik und Polizei zufrieden – wenn sich auch zwei Schatten über das Event legen. Und eine große Frage bleibt: Können Stadt und Region die EM nachhaltig für sich nutzen?

Es kracht. Metall trifft auf Metall. Der unverkennbare Sound einer Baustelle. Gerüste werden abgebaut, Kranwägen flitzen über den Schlossplatz, Arbeiter in orangenen Westen wuseln über das Gelände. Dazu immer wieder das Piepen der rückwärtsfahrenden Gabelstapler und Laster. All der Trubel ist drinnen im Neuen Schloss kaum wahrnehmbar, maximal als sanftes Hintergrundrauschen zur Abschluss-Pressekonferenz im prunkvollen weißen Saal. Während draußen der Abbau der Fan-Zone auf Hochtouren läuft, wird oben auf dem Podium Bilanz gezogen zu vier Wochen Fußball-Spektakel im Kessel.

So viele Fans haben die EM-Spiele in der Stuttgarter Arena verfolgt

Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper spricht von einem „märchenhaften europäischen Fußball-Sommer“. Insgesamt 255.000 Zuschauerinnen und Zuschauer hätten die fünf EM-Spiele in der Stuttgarter Arena verfolgt, über 200.000 Übernachtungsgäste seien wegen des Turniers in die Region gekommen. Ganz Europa werde die baden-württembergische Landeshauptstadt in „bester Erinnerung“ behalten. „Wir hatten großartige Gäste“, findet Nopper.

Ein gemischtes Fazit hat der OB derweil von den Gastronomen und dem Einzelhandel aus der Stadt bekommen. „Wir hören fast jede Euphorie-Stufe“, so Nopper, „von himmelhochjauchzend über mittelprächtig zufrieden bis zu Tode betrübt.“ Es können eben nicht alle von einem solchen Großevent profitieren. Während ein Biergarten im Schlossgarten von durstigen Dänen komplett leergetrunken wurde, beklagten sich manche Wirte in den Fan-Zones über zu wenige Gäste.

Vollauf zufrieden zeigte sich derweil die für den Tourismus in Stuttgart und der Region zuständige Andrea Gehrlach. Stuttgart sei eine Veranstaltungsstadt: „Die Stadt vibriert mit, auch die Bewohner feiern gerne mit.“ Internationale Gäste seien überwiegend aus den Ländern, die hier in Stuttgart gespielt haben, ins Schwabenland gekommen. Vor allem Schotten, Dänen und Ungarn. Davon profitierten auch die Sightseeing-Angebote. Porsche- und Mercedes-Museum haben laut Gehrlach den besten Juni erlebt, „den sie je hatten“.

Stuttgart will vom „Imagegewinn“ durch die Euro profitieren

Auch der Fokus der Medienöffentlichkeit habe sich positiv ausgewirkt. Zahlreiche Journalisten und Influencer aus aller Welt sind in die Stadt gekommen, das Morgenmagazin des ZDF sendete sogar eine Ausgabe von den Stufen der malerischen Grabkapelle auf dem Württemberg. „Wir wollten Stuttgart in ein positives, für manchen auch neues, Licht rücken“, sagt die Tourismus-Fachfrau, „und das haben wir geschafft.“

Von diesem „Imagegewinn“ wollen die Stadt Stuttgart und die Region nun nachhaltig profitieren. Das werde „über Jahrzehnte tragen“, sagte Frank Nopper über die schönen Bilder von friedlich feiernden Fans in der Stadt. Auch wenn „Sympathie und guter Eindruck“ weiche Werte seien, „die nicht unmittelbar greifbar sind. „Wir gehen davon aus, dass wir eine gute Fernwirkung haben werden“, so Nopper.

Hat sich der finanzielle Aufwand gelohnt?

Aber zu welchem Preis wurde das Bild der Schwaben in Europa und der Welt aufpoliert?  Die Modernisierung des Stuttgarter Stadions hat rund 140 Millionen Euro gekostet, weitere fast 40 Millionen Euro flossen in die Organisation des Mega-Events. „Das ist im Vergleich mit den anderen Gastgeberstädten hoch“, räumte Nopper ein. Andreas Kroll, der Geschäftsführer der für die EM-Organisation zuständigen in.Stuttgart Veranstaltungsgesellschaft, sieht sich dennoch im Konzept bestätigt: „Stuttgart ist in aller Munde, Stuttgart ist in ganz Europa wahrgenommen worden.“ Der „Transport des Stadtimages“ sei „zu einhundert Prozent aufgegangen.“

Dass die Organisatoren mit „ihrem“ Event zufrieden sind, liegt in der Natur der Sache. Was aber wird bleiben von diesem Turnier? Zum Sommermärchen à la WM 2006 taugt es vermutlich nicht. Dafür war alleine schon das Wetter viel zu durchwachsen. Zumal sich ein solches Momentum und Gemeinschaftsgefühl nicht reproduzieren lässt. Und dann hat die EM in Deutschland im Ausland auch einige Klischees dick unterstrichen. Die Bahn? Unpünktlich. Die Straßen? Voller Baustellen und Staus.  

Bei vielen Gästen überwogen trotzdem die positiven Eindrücke – auch weil die Stimmung auf den Fan-Festen und in den Stadien meistens prima war. Als Beispiel sei hier nur der Party-Saxophonist Andre Schnura genannt, der als arbeitsloser Musik-Lehrer in den Sommer gestartet war und zu einer der Figuren dieses EM-Turniers wurde. Auch auf dem Stuttgarter Schlossplatz brachte er die Menge zum Kochen:

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Was bleibt von der EM in Stuttgart? © Danny Galm

Insgesamt habe man durch die EM knapp 900.000 Besucherinnen und Besucher in die Stuttgarter Innenstadt gelockt, bilanzierte Andreas Kroll. „Das ist auch Anbetracht der Wettersituation eine gute Bilanz“. Einziger Wermutstropfen: „Dass die DFB-Elf im Viertelfinale ausgeschieden ist, hat leider nicht zu einem erhöhten Konsumverhalten geführt.“

Maffay, AC/DC und Pink: So geht es in Stuttgart weiter

Und für die Veranstaltungsexperten geht es direkt weiter. Während die Bilanz-PK läuft, werden draußen auf dem Hof bereits die Großleinwände und Bühnen der Fan-Zone abgebaut. Am Donnerstag schon startet an gleicher Stelle das Stuttgarter Jazz-Open. Dazu spielen Peter Maffay (15. und 16.07.) und AC/DC (17.07.) auf dem Wasen und Weltstar Pink kommt ins Stadion (19.07.). „Wir sind warmgelaufen und machen weiter“, sagt Kroll, der mit seinem Team die Euro lange in Erinnerung behalten wird: „Es war ein Sommer-Traum.“

Doch bei all der Zufriedenheit über den Verlauf des Fußball-Sommers gibt es in der Rückschau auch zwei schwere Momente. Es gab einen Messer-Angriff mit mehreren Verletzten auf dem Schlossplatz und einem tragischen Unfall während einer Eskorte für den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban, bei dem der Motorrad-Polizist Thomas Hohn ums Leben kam. „Das wirft natürlich einen Schatten auf die positive Bilanz und erfolgreiche Arbeit unserer Einsatzkräfte“, sagte Innenminister Thomas Strobl. Dennoch sei er erleichtert. „Sie können hören, wie es plumpst. Mir fällt schon ein Stein vom Herzen, weil wir so friedliche Spiele in Stuttgart hatten.“

So blickt der Stuttgarter Polizeipräsident auf die vier EM-Wochen

Aus Sicht der Polizei kam es lediglich zu einer geringen Zahl an „veranstaltungstypischen Delikten“. Insgesamt betrachtet sei die Zahl der Straftaten in Relation zur Größe des Events eine „sehr geringe“, so Strobl über die landesweit 386 Straftaten im Zusammenhang mit EM-Veranstaltungen. 28.000 Einsatzkräfte seien im ganzen Land im Einsatz gewesen, 23.000 davon alleine in Stuttgart.

Für den Stuttgarter Polizeipräsidenten Markus Eisenbraun und seine Kolleginnen und Kollegen ergaben sich daraus insgesamt 32 Einsatztage im Kessel. „Es wurden 170.000 Einsatzstunden abgeleistet. Das ist eine enorme Zahl“. Der Verkehr, große Menschenmengen sowie 123 sogenannte „Lotsungen“ von 67 hochrangigen Staatsgästen habe es gegeben. Dem positiven Fazit seines obersten Dienstherren schloss sich Eisenbraun an: „Eine EM ist wie ein Einsatz – das funktioniert nur im Team.“

„Wir wollten vor allem eines sein hier im Land und in der Stadt: gute Gastgeber“, meinte CDU-Mann Strobl: „Und das ist uns gelungen.“ Das Konzept der Polizei und der Sicherheitskräfte sei „voll aufgegangen“, was angesichts der Messer-Attacke und des verunglückten Polizisten etwas makaber anmutet.

Jetzt ist zunächst einmal kurz Zeit zum Verschnaufen für Stuttgart und seine Fußball-Fans. Oder sollte man eher sagen Zeit zum Kräftesammeln? Schließlich startet der VfB Stuttgart in der neuen Saison nach über zehn Jahren Abstinenz wieder in der Champions League. Die nächsten Fußball-Festtage sind im Kessel also schon in Sichtweite.

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