Stuttgart & Region

Fans aus Stuttgart beim ESC 2024 in Malmö: Was macht das Event so besonders?

IMG-20240507-WA0031
Die Fans des Eurovision Club Germany mit Manuel Junker (rechts) und Pierre Dübel (Mitte). © Manuel Junker

Über 150 Millionen Menschen verfolgen laut Einschaltquote der ARD jährlich den Eurovision Song Contest. Zwei Stuttgarter sind bereits vor dem ersten Halbfinale in Malmö mit dabei. Manuel Junker und Pierre Dübel sind Teil des Eurovision Club Germany und reisen bereits seit mehreren Jahren zu den jeweiligen Austragungsorten. Sie erklären, was den ESC und seine Fans so besonders macht, wie die Stimmung vor Ort ist und was sich am deutschen Vorentscheid ändern muss.

Was macht die ESC-Community so besonders?

Manuel Junker ist bereits seit seiner Kindheit Fan vom Eurovision Song Contest. Pierre Dübel wurde 1998 "angesteckt". Damals stand Guildo Horn für Deutschland auf der Bühne und Dana International gewinnt als erste trans Frau den ESC.

Die ESC Community sei "eine eigene Bubble", sagt Pierre Dübel. Im Vordergrund stehe die Begeisterung für die Musik. Viele verkleiden sich, brennen für ein Land oder einen Künstler oder eine Künstlerin. "Jedes Jahr ist es wieder neu. Man begeistert sich wieder neu und feiert die neuen und die alten Songs," sagt er. "Wenn man in einem ESC Club feiert, dann können auch die Lieder von 1970 oder 1980 spielen und die Leute stürmen auf die Tanzfläche." Die Stimmung sei einzigartig. Hinzu käme auch ein besonderes Zusammenspiel von Fans und Künstler. Gerne mischen sich die Künstler auf den ESC-Partys auch mal unter die Fans. Egal ob der Song im Vorentscheid oder im Finale angetreten ist, "hier wird niemand vergessen, die Bubble saugt alles auf" sagt Pierre Dübel. 

Reise durch Europa für ESC-Fans besonders

Neben der Musik stehen für Pierre Dübel vor allem die Reisen zu den Austragungsorten im Vordergrund. Welches Land den Eurovision Song Contest 2025 ausrichten wird, richtet sich nach dem Gewinner-Land 2024. "Für mich wäre es am besten es würde jedes Jahr wirklich ein anderes Land gewinnen, damit man ganz viel von Europa kennenlernen kann," sagt er. Für den ESC war er unter anderem schon in Kyiv und Tel Aviv – beides Reisen, an die er sich gerne zurück erinnert. 

ESC als unpolitische Veranstaltung: Geht das noch?

Den ESC 2017 in Kiew mitzuerleben, hat für Pierre Dübel nochmal besonders an Bedeutung gewonnen. Aufgrund des russischen Angriffskriegs ist eine Großveranstaltung wie der Eurovision Song Contest in der Ukraine aktuell undenkbar. Nach dem ESC-Sieg der Ukraine 2021 hatte deshalb Liverpool den Wettbewerb veranstaltet. 

"Der ESC ist eine unpolitische Veranstaltung," steht im Regelwerk des Eurovision Song Contests. Doch nicht erst seit 2022 wird der ESC von politischen Ereignissen dominiert. Während des Eurovision Song Contests 2019 in Israel gab es Aufrufe zum Boycott. Madonna setzt bei ihrem Gastauftritt 2019 mit einem Israelischen Banner und einer Palästina-Flagge ein politisches Statement. Auch Island zeigt zu Beginn seines Auftritt 2019 eine Palästina-Flagge. Für die isländische Band Hatari bedeutet das eine Geldstrafe von 5.000 Euro, wie Tiina Rosenberg schreibt.

Auch in diesem Jahr werden Ausschreitungen wegen der Teilnahme Israels erwartet. Rund um den ESC werden bei Großdemonstrationen bis zu 40.000 Menschen erwartet, wie die Tagesschau berichtet. Laut Tagesschau herrsche in Malmö ein Großaufgebot der Polizei, die Terrorwarnstufe sei bereits im August 2023 auf die zweithöchste des Landes angehoben worden. 

Erhöhte Sicherheitsvorkehrungen in Malmö

Wie erleben die Stuttgarter ESC-Fans die Lage vor Ort? "Die Polizei zeigt definitiv Präsenz, aber wir gehen trotzdem nicht mit einem mulmigen Gefühl hin." Die gestiegenen Sicherheitsvorkehrungen merken aber auch sie: Polizisten waren im Club, in der Halle seien keine Schirme, keine Taschen und keine Flaggen erlaubt. "Im Vergleich zum Vorjahr ist es wirklich krasser geworden. Aber vielleicht ist das auch gut so. Dann kann man mit einem guten Gefühl hin und die Show anschauen."

"Der ESC ist einfach ein Politikum," sagt Pierre Dübel. Dennoch wünschen sich beide Stuttgarter Fans, dass der ESC weiterhin so unpolitsch wie möglich bleibt. "Es klingt natürlich immer durch und man kann Politik nicht ausblenden," sagt Pierre Dübel. Der ESC solle diesem aber keine Bühne bieten. "Die Musik sollte ein verbindendes Element sein," sagt er.

Historische ESC Momente

An welche Momente aus der ESC-Historie, die mit dem ersten Contest 1956 begann, denken die beiden besonders gerne zurück? "Legendär fand ich damals Conchita Wurst live in Kopenhagen," sagt Pierre Dübel. "Dass so eine Künstlerin wie Conchita gewinnen kann, hat mich begeistert. Dass da wirklich so viele Leute angerufen haben und sie unterstützt haben, obwohl im Vorfeld viel politischer Gegenwind kam. Und trotzdem hat sie sich durchgesetzt." Der Sieg von Conchita Wurst, einer Dragqueen, mit der Ballade "Rise Like A Phoenix", gilt bei vielen als Coming Out des ESC.

Was die ESC-Fans am deutschen Vorentscheid stört

Gegenüber des deutschen Vorentscheids macht sich bei den Stuttgarter ESC-Fans Missmut breit. "Das ist irgendwie auch immer jedes Jahr das gleiche. Da sitzen dann irgendwelche Leute auf einer Couch, die überhaupt keinen richtigen Bezug dazu haben, sich noch nicht einmal richtig vorbereitet haben und irgendwelche Kommentare abgeben. Das passt irgendwie nicht zu dieser Show," sagt Pierre Dübel. Er wünscht sich, dass der Fokus im deutschen Vorentscheid stärker auf den Künstlern liegt.

Auch die deutschen Auftritte und Shows seien seiner Meinung nach ausbaufähig. "Selbst Länder, die definitiv weniger Budget haben als wir, stellen mit wenigen Mitteln eine gute Show auf die Beine. Der Vorentscheid in anderen Ländern dauert teilweise mehrere Wochen und begeistert das ganze Land. Das schaffen wir nicht."

Der Eurovision Song Contest braucht eine Verjüngungskur

Die Musik wäre bereits moderner, weg vom "Schlagercharakter", nennt es Pierre Dübel. Diese Verjüngungskur wünschen sich beide auch für das Regelwerk des ESC. Dieses besagt unter anderem, dass Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien und Italien als "Big Five"-Länder sowie das Gastgeberland immer einen festen Startplatz haben. "Ich finde, die Big Five-Regelung kann abgeschafft werden. Alle sollten sich einem Vorentscheid stellen. Dann würde sich Deutschland vielleicht auch mehr ins Zeug legen, um das Halbfinale zu überstehen," sagt Pierre Dübel.

Neu ist dieses Jahr bereits die Moderation des Song Contests. Zum ersten Mal werden die Übertragungen in Deutschland von Thorsten Schorn (die Stimme von "Shopping Queen") begleitet, nachdem Peter Urban nach 25 Jahren 2023 das letzte Mal kommentierte. "Er war eine Konstante. Wenn man seine Stimme gehört hat, wusste man, jetzt geht der ESC los," sagt Pierre Dübel. "Aber es darf gerne mal wieder frisches Blut her. Jemand, der vielleicht auch neue Leute begeistern kann."

Über den ESC-Fanclub Stuttgart

Den Eurovision Club Germany gibt es seit 2000. Weil Manuel Junkers Freundeskreis sich für den ESC nicht begeistern konnte, suchte er nach Fans in seiner Nähe. Die Stuttgarter Gruppe des Vereins hat er selbst gegründet und leitet sie seitdem. Angefangen habe er mit ein paar wenigen Leuten, mittlerweile kommen jedes Jahr neue ESC-Begeisterte dazu. Die Gruppe umfasst aktuell vom jüngsten Mitglied mit 23 Jahren bis zum ältesten Mitglied mit 63 Jahren circa 50 Mitglieder aus dem gesamten süddeutschen Raum. Wer mehr von den Stuttgarter Fans sehen will, kann ihre Reisen und Events auf Instagram (hier) verfolgen.

VG WORT Zahlpixel