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Fehlender Lokaljournalismus stärkt die AfD: Was eine Studie aus Stuttgart zeigt

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Hilft der Wegfall von Lokalzeitungen der AfD? Darauf deutet eine neue Studie hin. © ZVW/Gabriel Habermann

Der Sozialwissenschaftler und Journalist Maxim Flößer (28) hat an der Universität Stuttgart kürzlich seine Masterarbeit vorgelegt. Der Titel: „Bläddle gegen Rechtspopulismus? Einfluss von Lokalzeitungen auf den Stimmenanteil der Alternative für Deutschland bei der Landtagswahl 2021 in Baden-Württemberg“. Wir haben mit ihm darüber gesprochen.

Sie haben für Ihre Masterarbeit rund 1.100 Gemeinden in Baden-Württemberg untersucht – etwa 900 mit, etwa 200 ohne Lokalzeitung. Das Ergebnis: Wo Lokaljournalismus fehlte, erhielt die AfD bei der Landtagswahl 2021 größere Stimmanteile. Wie groß sind die Unterschiede in Zahlen?

Ich habe festgestellt, dass der Unterschied rund 1,6 Prozentpunkte betrug. Das heißt: In den Gemeinden, wo kein Lokaljournalismus vorhanden ist, war die AfD im Durchschnitt um 1,6 Prozentpunkte erfolgreicher bei der Landtagswahl. Natürlich ist es nicht so, dass Lokaljournalismus der einzige Faktor ist, der den Erfolg der AfD beeinflusst. Deshalb habe ich in einem zweiten Schritt die Arbeitslosenzahl, die Bevölkerungsstruktur, die Präsenz von Unternehmen vor Ort, deren Jahresumsatz und weitere Dinge mit reingerechnet. Auch dann war der Unterschied immer noch beständig und statistisch hochsignifikant. Er betrug zwar „nur“ noch 0,6 Prozentpunkte, aber es ist normal, dass sich die Zahl unter Bezugnahme weiterer Faktoren verringert. Das Ergebnis ist ein sehr starkes Indiz dafür, dass die Präsenz von Lokaljournalismus einen Unterschied macht.

Warum ist Lokaljournalismus für das Abschneiden der AfD von Bedeutung?

Da muss man glaube ich grundsätzlich zwei Sachen klären. Erstens: Welche Effekte Studien für Lokaljournalismus nachgewiesen haben. Zweitens: Wodurch sich das Wahlvolk der AfD und anderer populistischer Parteien auszeichnet.

Es gibt viele Studien, die zeigen, dass ein präsenter Lokaljournalismus das politische Wissen der Menschen fördert. Die Menschen wissen, was in ihrer Gemeinde passiert, und haben Infos darüber, warum bestimmte Prozesse in Gang gesetzt werden – oder eben nicht. Wenn ich nicht weiß, warum beispielsweise die Kita verschwindet und dafür eine Mülldeponie installiert wird, oder warum eine Landeserstaufnahmestelle in meine Gemeinde kommen soll, wenn ich den Kontext nicht kenne, dann fehlt mir einfach Wissen über den gesamten Prozess.

Forscher haben weiter gezeigt, dass Lokaljournalismus, wenn er präsent ist, bewirkt, dass sich Menschen verbunden miteinander fühlen. Wenn ich lesen kann, dass der Metzger in meinem Ort sein Repertoire erweitert oder die lokale Fußballmannschaft, bei der meine Tochter oder mein Sohn kickt, erfolgreich ist, dann stärkt das dieses Gefühl von Zusammenhalt. Eine wichtige Aufgabe von Lokaljournalismus ist natürlich auch, den Leuten im Gemeinderat, den Bürgermeisterinnen oder Bürgermeistern auf die Finger zu schauen. Zu prüfen: Machen die ihren Job richtig? Gibt es Korruption oder andere Vorfälle, über die man kritisch berichten muss?

Das alles führt dazu, dass Menschen eine große Zufriedenheit verspüren, mit der Gesellschaft und der Demokratie. Weil sie die Zusammenhänge besser verstehen und sehen, wie dieses Gesellschaftssystem funktioniert – und dass es funktioniert.

Und die Wählerinnen und Wähler der AfD?

Das Wahlvolk von populistischen Parteien zeichnet sich, wenn man so möchte, durch die gegenteiligen Effekte aus. Menschen, die populistische Parteien wählen, verfügen laut Studien über ein geringeres politisches Wissen. Sie sind unzufriedener mit der Gesellschaft und der Regierung und fühlen sich vor allem sozial isolierter. Das sind ganz große Prädikatoren für die Wahlentscheidung. Daher kam ursprünglich auch meine Vermutung: Das Fehlen von Lokaljournalismus stärkt die AfD.

Natürlich kann man darüber streiten, ob man bei der AfD noch von einer populistischen Partei sprechen kann. Ich habe diesem Punkt auch einen ganzen Absatz in der Arbeit gewidmet. Ich denke, die Formulierung „in Teilen gesichert rechtsextrem“ trifft es besser. Was ich aber nicht machen möchte: Alle ihre Wählerinnen und Wähler per se als Rechte abstempeln. Damit macht man es sich finde ich zu einfach. Wenn eine Region abgehängt ist, wenn ich das Gefühl habe, ich bin abgehängt, dann hat die AfD einfach leichtes Spiel. Da braucht es eben Lokaljournalistinnen und Lokaljournalisten, die fragen: Wo liegen denn die Probleme? Lassen die sich wirklich so lösen, wie die AfD behauptet? Und daran zweifle ich sehr.

Wieso haben Sie sich ausgerechnet mit dieser Fragestellung beschäftigt?

Immer wieder liest und erlebt man, dass es weniger Zeitungen gibt, die berichten. Und dass teilweise auch nicht in der Qualität berichtet wird, in der es eigentlich möglich wäre. Gleichzeitig erleben wir weltweit, dass populistische Parteien auf dem Vormarsch sind. 2024 ist ein großes Wahljahr, es sind Kommunalwahlen in Baden-Württemberg und Landtagswahlen im Osten. In Baden-Württemberg gibt es noch relativ viele Lokalzeitungen, und selbst hier konnte ich einen Zusammenhang zu Wahlergebnissen nachweisen. In manchen Gegenden in Ostdeutschland sind es nur noch sehr wenige.

Gibt es Hinweise darauf, dass auch die Qualität der Berichterstattung eine Rolle spielt – oder die Tatsache, wie oft über die AfD in einer Lokalzeitung berichtet wird?

Viele Studien, die ich herangezogen habe, messen erstmal nur die reine Präsenz einer Lokalzeitung. Was nicht gemessen wird: Wie intensiv wird die Zeitung gelesen? Wie ist die Qualität zu bewerten? Und wie oft und in welcher Form wird überhaupt über populistische Parteien berichtet? Der Grund ist, dass Inhaltsanalysen sehr aufwendig sind, weshalb es nicht so viele davon gibt. Gerade die lokale Ebene ist da ein bisschen untererforscht in den Sozialwissenschaften. Man behilft sich meistens mit qualitativen Studien, bei denen man sich Einzelfälle anschaut.

Nichtsdestotrotz ist die inhaltliche Ebene wichtig, weshalb ich ursprünglich Gemeinden miteinander vergleichen wollte. Nur ist das für eine einzelne Person sehr aufwendig – und es stellt sich die Frage, wie ich Qualität überhaupt messe. Ich kann zählen, wie oft die AfD vorkommt. Ich kann durch Textanalyse prüfen, in welchem Kontext berichtet wird. Ich habe beispielsweise eine Studie aus den USA zitiert, die sich angeschaut hat, was passiert, wenn eine Zeitung mal einen Monat nicht über Donald Trump berichtet – und wenn sie berichtet, dann in einem kritischen Kontext. In Interviews mit Redaktion, Leserinnen und Lesern konnten die Forschenden im Kleinen festhalten, dass die Leute weniger polarisiert waren und weniger extreme Ansichten haben.

Deshalb: Keine Frage, das darf man nicht außen vor lassen. Es ist wichtig, sich anzuschauen, ob Medien in der Lage sind, die kritische Einordnung zu liefern, um über Parteien wie die AfD zu berichten. Und dass Leute das dann auch lesen. Gibt es vielleicht auch noch irgendwelche Blogs oder Radiosender, die zusätzlich genutzt werden? Wenn ich Qualität und Mediennutzung besser kenne, kann ich noch präziser Rückschlüsse ziehen, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen Berichterstattung und AfD-Wahlergebnis gibt. So sehen wir, da besteht ein starker Zusammenhang, und ich habe alles getan, um andere Faktoren auszuschließen. Aber ich kann natürlich immer noch nicht klar sagen, dass es perfekt zusammenpasst.

Studien aus den USA haben in der Vergangenheit bereits auf die Bedeutung von Lokaljournalismus für die Beteiligung der Menschen an demokratischen Prozessen oder als Kontrollinstanz, die Steuermittelverschwendung vorbeugt. Gibt es Forschungen, die sich mit ähnlichen Fragestellungen beschäftigt haben, wie Sie in Ihrer Arbeit? Und falls ja: Mit welchem Ergebnis?

Was wir in Studien zu Lokaljournalismus häufig sehen: Die Leute aus Orten, wo es keinen gibt, sind weniger informiert, nehmen weniger oft an Wahlen teil und stellen sich auch selbst seltener als Kandidaten auf. Das ist ein Vorteil für die Amtsinhaber. Was für mich persönlich am spannendsten war: Dass Wahlen polarisierender ausfallen. Die Leute wählen extremer, da gibt es verschiedene Studien, die das zeigen.

Dazu passt auch: Die Leute ersetzen fehlende Lokalzeitungen durch andere Medien. Sie greifen auf nationale Medien zurück, die häufig polarisierter sind und sich mit den großen Streitfragen beschäftigen oder von Aufreger-Themen geprägt sind. Das sollte man sich vor Augen führen, wenn man sich das nächste Mal fragt, ob es den Bericht über einen neuen Kulturverein in Fellbach wirklich braucht. Das ist eine große Stärke, die Lokaljournalismus haben kann, dass er diese „kleinen Themen“ bearbeitet. Und dass er die großen Streit-Themen runterbricht und viel besser am Menschen erklären kann. Ich kann mir vorstellen, dass auch das einen depolarisierenden Effekt hat.

Die AfD macht regelmäßig Stimmung gegen Journalistinnen und Journalisten. Denken Sie der rechtsextremen Partei ist der Zusammenhang zwischen Lokaljournalismus und den eigenen Wahlergebnissen bereits bewusst?

Wo populistische Parteien auf dem Vormarsch sind oder sich sogar anbahnt, dass sie in Regierungspositionen gelangen, sind die zwei größten Feinde Medien und Justiz. Das hat man beispielsweise in Polen gesehen. Das ist eine allgemeine Strategie, die rechte, populistische Parteien verfolgen, dass sie Journalistinnen und Journalisten diffamieren und angreifen. In Thüringen gab es letztes Jahr einen Fall, da wurde ein Reporter der Ostthüringer Zeitung bei einer AfD-Veranstaltung angegriffen und ihm wurden die Reifen zerstochen. Im Lokalen bist du viel näher dran. Rechte Parteien betreiben bewusst auch Hetzen gegen Medienschaffende und alle, die beobachten wollen, was da passiert. Egal ob in Ostthüringen oder Waiblingen: Jeder, der mit Presseausweis bekommt, ist ein Feind. 

Nun sind selbstverständlich nicht alle AfD-Wählerinnen und -Wähler rechtsextreme Hooligans, die Journalisten jagen. Ich denke, das hat eher damit zu tun, dass das AfD-Weltbild auch auf die Anhängerinnen und Anhänger rüberschwappt: Ihr seid abgehängt, ihr seid verloren, euch kann niemand retten außer uns und alle Medien erzählen Blödsinn. Ich glaube, den Rechten kommt das sehr zugute, dass Lokalzeitungen fehlen.

Sie sind selbst Journalist – welche Schlussfolgerungen lassen sich für die journalistische Arbeit aus den Ergebnissen Ihrer Studie ziehen?

Natürlich spielen wirtschaftliche Faktoren eine Rolle. Wenn eine Redaktion nicht gut besetzt ist, und deshalb niemand zur Gemeinderatssitzung geht, ist das ein Problem. Die Verlage müssen sich deshalb die Frage stellen: Warum werden so viele Lokalredaktionen und Außenredaktionen geschlossen? Sollte man nicht sagen: Wir müssen die halten? Wir müssen dafür sorgen, dass die Leute über ihre Gemeinde lesen können. Wenn sie nur alle zwei Wochen mal vorkommt, und dann mit einer Verkehrsmeldung, dann ist das nicht gut.

Die Wähler von populistischen Parteien glauben häufiger auch Falschnachrichten und informieren sich häufiger über Social Media. Das ist per se nicht schlimm, ich bin niemand der sagt TikTok sei böse, aber die erfolgreichste Partei dort ist die AfD. Guter Lokaljournalismus muss da unbedingt auch hinkommen. Die Online-Präsenz der Lokalzeitungen muss besser werden. Der „Mannheimer Morgen“ stellt jetzt beispielsweise häufiger mal Leute vor die Kamera, die etwas erklären. Das ist es, was es braucht: Ich will Zusammenhänge erklärt bekommen, und als junger Mensch will ich sie im Idealfall noch von jungen Menschen erklärt bekommen. Dort, wo ich bin – die Leute sind im Internet.

Lokaljournalismus muss so gut ausgestattet sein wie die tagesaktuelle Redaktion größerer Zeitungen. Es braucht breite Berichterstattung und den Kontakt zu Menschen. Studien zeigen, dass der Kontakt vor Ort vertrauen schafft. Wir Journalisten sind ständig unterwegs, wir lernen jeden Tag neue Leute kennen. Wenn die Menschen wissen, da kommt einer, der schreibt gut, dann sorgt das für Vertrauen. Die Themen vor Ort zu erzählen und zu erklären – das ist, was es braucht.

Maxim Flößer hat in der Kontext Wochenzeitung ausführlich über die Ergebnisse seiner Studie berichtet. Hier nachzulesen.

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