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Gegen "Safari-Journalismus": (K)einheit zeigt, der Osten ist keine Kuriosität

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Vanessa Beyer (links) und Lisa Trebs (rechts) wollen mit ihrer Initiative (k)einheit der ostdeutschen Generation Z eine Stimme geben. © Franz Michel

Deutschland. Blau, schwarz und etwas rot. So ist Deutschland auf den meisten Karten, die die Erst- oder Zweitstimmenergebnisse der Bundestagswahl 2025 zeigen, eingeteilt. Aber: Der Blick auf den "blauen Osten" schürt Stereotype, meinen Vanessa Beyer und Lisa Trebs. Mit ihrer Initiative (k)einheit wollen sie Stimmen der ostdeutschen Generation Z, einer Generation, die den Mauerfall nur aus Erzählungen kennt, Gehör verschaffen und so gegen Vorurteile vor allem in Westdeutschland vorgehen. Welche Verantwortung ihrer Meinung nach dabei Medienschaffende und das Bildungssystem auch in Baden-Württemberg tragen.

"Wir sind jetzt nicht die 'Ossis', die Simsons auf dem Land schrauben, wie die ostdeutsche Jugend gerne dargestellt wird", sagt Vanessa Beyer. Ostdeutsch gemacht werden sie vor allem von anderen. Mit (k)einheit soll auch der Begriff ostdeutsch neu besetzt werden, nachdem dieser häufig von rechten Kräften instrumentalisiert und besetzt werde. "In einigen Kontexten ist es wichtig. Bei (k)einheit bin ich ganz klar eine Person, die ostdeutsch gelesen wird", so Beyer. "Aber in anderen Kontexten bin ich eine Frau, Arbeiterkind, Schwester oder Tochter und das ist absolut in Ordnung. Wir arbeiten deshalb viel mit dem Begriff 'hybride Identitäten'."

"Safari-Journalismus": Der Osten ist "eine Kuriosität"

Der Osten werde sehr einheitlich wahrgenommen, nicht differenziert und diversifiziert, da sind sich beide einig. Auch medial nehmen sie eine Verzerrung wahr: Am Tag der Deutschen Einheit oder kurz vor den Landtags- oder Bundestagswahlen werde "mal kurz auf Ostdeutschland geblickt", so Vanessa Beyer. Strukturell mitgedacht werden die neuen Bundesländer aber nicht. Bei diesem "Safari-Journalismus", wie sie ihn nennt, sei der Osten "eine Kuriosität – alle fahren da mal hin und schauen sich das fix am und gehen dann wieder." Man brauche aber mehr Zeit, um die Menschen vor Ort zu verstehen und einen Zugang zu erhalten. "Wenn es in den Medien mal um den Osten geht, wird er meistens negativ dargestellt", sagt Vanessa Beyer. "Aber wenn es um den Gender Pay Gap oder den Gender Care Gap geht, beides fällt in ostdeutschen Bundesländern viel geringer aus als in Westdeutschland, wird darüber nicht berichtet."

"Winner-Takes-All"-Karte stellt Ostdeutschland als AfD-wählende Einheit dar

Doch auch nach den Wahlen scheint dieses Problem sich nicht zu bessern: Wie auch nach der Bundestagswahl, wird Ostdeutschland häufig als eine AfD-wählende Einheit dargestellt. Das ergibt sich aus einer Kartenansicht, die die stärkste Kraft der Erst- und Zweitstimmen hervorhebt. In der "Winner-Takes-All" Karte werden, wenn man nach dem Zweitstimmenergebnis filtert, die neuen Bundesländer bis auf Potsdam und Berlin, blau eingefärbt. Ebenfalls blau sind aber auch einige westdeutsche Wahlkreise. Filtert man hingegen nach Parteistärke der AfD, hüllt sich ganz Deutschland in verschiedene Blautöne. Dunkelblau eingefärbt, mit einem AfD-Zweitstimmenergebnis über 23,3 Prozent, ist hier neben den neuen Bundesländern auch der Osten Bayerns, einige Wahlkreise in Baden-Württemberg sowie die Wahlkreise Kaiserslautern, Homburg und Pirmasens.

Campact: Karte zeigt Ergebnis im Verhältnis zur Einwohnerzahl

Um die "undurchdringliche, dicke, blaue Wand" zu hinterfragen, hat der Verein Campact auf Instagram eine Karte geteilt, in der die Zweitstimmenergebnisse der Bundestagswahl im Verhältnis zur Einwohnerzahl der Bundesländer stehen. Dazu schreibt Campact auf Instagram: " In weniger dicht besiedelten Bundesländern kann eine Partei große Gebiete dominieren, ohne die Mehrheit der Menschen in Deutschland hinter sich zu haben."

Können solche alternativen Karten wirklich dazu beitragen, Stereotype abzubauen? "Ich finde, es ist immer relevant, mit welchem Blick man auf Karten schaut. Je nachdem wie man Daten darstellt, machen sie andere Narrative auf. Und Narrative schlagen dann irgendwo auch Fakten", sagt Vanessa Beyer. "Es wird eben schnell vergessen, dass Menschen in diesen Gebieten leben, die Migrationsgeschichte haben, Menschen, die keine DDR-Erfahrung haben, wie wir, und auch demokratisch wählen." Niemand würde über Pforzheim, Gelsenkirchen oder Kaiserslautern sagen, dass die Menschen dort demokratie-unfähig seien – ein Narrativ, wie es häufig nach Wahlen auf die neuen Bundesländer übertragen wird. "Wenn gesagt wird, der Osten wählt nur blau, ist das für die Menschen, die hier leben, sich engagieren und demokratisch wählen ein Schlag ins Gesicht", sagt Beyer. 

Vorurteile müssen neu besetzt werden

Wie kann nun aber diese Erzählung aufgebrochen werden? Neu besetzt werden müssen laut Vanessa Beyer und Lisa Trebs Vorurteile gegenüber Ostdeutschland. Diesen begegnen beide häufig. "Einmal hat mir jemand aus Hessen einen Witz gedrückt, dass es bei mir in Sachsen ja keine Bananen zu kaufen gibt", so Vanessa Beyer. Auch über ihren Wohnort Chemnitz gibt es Vorurteile: "Dass in diesem angeblichen Dunkeldeutschland, wo ich wohne, nichts passiert außer rechter Gewalt." Diese Stereotype, die, wie beide erlebt haben, häufig innerhalb von Familien weitergegeben werden, benennen sie klar als Problem und Herausforderung – und auch als Aufgabe der Medien und des Bildungssystems, damit aufzuräumen.

"Geschichtserziehung über die DDR ist bei uns auch zu Hause passiert, weil unsere Familien selbst DDR-Erfahrung haben. Durch eigene Eindrücke und Anekdoten haben wir ein vollständigeres Bild bekommen – mit mehr Puzzleteilen als im Geschichtsunterricht vermittelt werden", sagt Lisa Trebs. Wie das in ganz Deutschland gelingen kann, ist beiden klar: Durch Berichte von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. "Gleichzeitig ist es uns auch wichtig, immer wieder zu betonen, dass Geschichte nicht verklärt und Dinge verharmlost werden dürfen", sagt Vanessa Beyer.

Ostbeauftragter setze Zeichen für Repräsentation

Auch eine Ostbeauftragte oder ein Ostbeauftragter, eine der Stellen, die die CDU/CSU in der kommenden Bundesregierung streichen möchte, könne nach den Gründerinnen von (k)einheit diesen Aufgaben gerecht werden. "So eine Position trägt auch dazu bei, dass Wissenslücken und die Aufarbeitung der SED-Diktatur oder die Transformationsprozesse geschlossen werden", so Vanessa Beyer. Die Stelle des Ostbeauftragten sei außerdem ein Zeichen für Repräsentation, weil sich, so Lisa Trebs, "viele Ostdeutsche auch immer noch ungehört fühlen." Eine Ostbeauftragte oder ein Ostbeauftragter könne außerdem, bestimmte Impulse setzen und so auf ostdeutsche Herausforderungen, wie eine Ungleichheit von Ostdeutschen in Führungspositionen oder fehlendes Kapital für zivilgesellschaftliche Organisationen, hinweisen.

Nicht zuletzt müssen aber auch in den Medien ostdeutsche Themen präsenter werden: "Es geht darum, eben nicht nur zu den Ballungszeiträumen zu berichten, sondern auch an anderen Anlässen", sagt Lisa Trebs. Und vor allem: Mit Ostdeutschen sprechen und nicht über sie.

Mehr von (k)einheit: Hier kann man die ostdeutsche Gen Z hören

Wer junge ostdeutsche Stimmen hören möchte, hat auf der Homepage von (k)einheit Gelegenheit dazu. Deutschlandweit veranstaltet die Initiative Workshops, in denen ost- und westdeutsch-Sozialisierte in den Austausch gehen können. Das Filmprojekt über die Generation Z in Ostdeutschland wollen sie mit der Förderung der Stadt Chemnitz als Kulturhauptstadt und mit einer Spendenkampagne finalisieren. Im November wird es im Rahmen der Kulturhauptstadt außerdem eine Ausstellung von (k)einheit geben.

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