"Goldschmiede gab es nur im Mittelalter": Ist der Handwerk-Nachwuchs auf Tiktok?
Chiara zeigt auf TikTok (hier zu ihrem Account) und Instagram (hier) ihren Alltag als Auszubildende in einer Goldschmiede. Dabei begegnet ihr neben Kommentaren wie "Ich dachte Goldschmiede gab es nur im Mittelalter" vor allem viel Interesse. Kann Social Media dem Handwerk helfen, wieder mehr Nachwuchs zu bekommen? Welche Erfahrungen macht Chiara auf ihren Accounts? Welche Social Media Strategien hat die Handwerkskammer? Welchen Schwierigkeiten begegnen zwei Goldschmiedinnen aus Stuttgart?
Chiaras erstes Tiktok zur Goldschmiede ging direkt viral
Auf Tiktok hat Chiara schon vor ihrer Ausbildung ab und zu etwas hochgeladen, sagt sie. Gerade mit Blick auf Booktok (eine Tiktok-Community, die sich mit Büchern und dem Lesen beschäftigt) kam ihr irgendwann die Frage auf: Wo gibt es Leute, die über das Handwerk aufklären? Ihr erstes Tiktok zur Goldschmiede ging direkt viral. Dann kamen die ersten Fragen zu ihrer Ausbildung. Ihr Frage-Antwort-Format hat sich bereits wenige Monate später auf ihrem Account etabliert.
Mittlerweile postet sie regelmäßig Inhalte zu ihrer Ausbildung, erzählt wie die Berufsschule abläuft und zeigt die Einrichtung ihrer eigenen Werkstatt in ihrer Wohnung. Als Reaktion bekommt sie viel Interesse entgegen gebracht.
"Ich glaube viele denken, dass da alte Männer mit ihrem Schmiedehammer in einem Schuppen sitzen und irgendetwas schmieden," sagt Chiara. Sie findet, dass immer noch zu wenig gezeigt wird, wir modern das Goldschmiedehandwerk zum Beispiel mit der Arbeit am 3D-Drucker auch ist. Die Aufklärung über handwerkliche Berufe fehlt ihr bei der jungen Zielgruppe und auch auf Social Media. Wie setzen Handwerkskammer und Stuttgarter Goldschmiede das um?
Handwerkskammer der Region Stuttgart habe sich schwer getan mit Tiktok
"Wir haben uns zu Beginn ein bisschen schwer getan mit Tiktok", sagt Angela Kustermann-Deck von der Stabstelle Kommunikation und Politik der Handwerkskammer der Region Stuttgart. Grund seien Bedenken zum Datenschutz gewesen. Nun nutzt die Handwerkskammer auch diese Plattform verstärkt und schaltet auch die aktuelle Kampagne "Zeit, mitzumachen" auf den sozialen Medien wie Instagram und Tiktok. Man habe erkannt, wie wichtig die Präsenz auf Tiktok sei, um eine junge Zielgruppe zu erreichen.
Neben der Imagekampagne gibt es mittlerweile auch Berufsinsider, die in Videoclips kurze Einblicke in ihren Beruf geben sollen. "Wir wollten gerne privatere Einblicke geben und die Menschen hinter dem Beruf zeigen," sagt Angela Kustermann-Deck. Auf Tiktok sind diese jedoch schwer zu finden.
Wie werden junge Menschen auf Handwerksberufe aufmerksam?
Nach ihrem Abitur 2022 stand Chiara, wie viele Jugendliche, vor der großen Frage nach der Zukunft. Schon während der Schulzeit war ihr klar geworden, dass sie später gerne handwerklich arbeiten will. Dennnoch hat sie erstmal nach Studiengängen gesucht und überlegt, Zahnmedizin zu studieren. Erst später ist sie auf die Ausbildung zur Goldschmiedin gestoßen.
Das scheint auch die Handwerkskammer wahrzunehmen: Mit Ausbildungsbotschaftern und Info-Touren will sie für handwerkliche Ausbildungsberufe werben und informiert Lehrkräfte und Eltern. Denn vor allem letztere gelte es laut Angela Kustermann-Deck zu überzeugen.
"Man sagt immer, der Beruf könnte aussterben, aber auf der anderen Seite ist die Nachfrage so hoch, dass viele keinen Ausbildungsplatz finden," sagt Chiara. Über ihre Social Media Accounts erreichen sie viele Nachrichten, in denen sie nach Tipps zur Ausbildungssuche gefragt wird. Auch ihre eigene Suche nach einem passenden Betrieb war schwer. Von 50 Bewerbungen habe sie nur von zwei Betrieben eine Einladung zum Probearbeiten bekommen.
Wie passt das zusammen? Auf der einen Seite die Kritik, dass junge Menschen nicht mehr mit den Händen arbeiten wollen, auf der anderen Seite verzweifelte Jugendliche auf der Suche nach einer Ausbildungsstelle?
Haben Goldschmiede in Stuttgart Nachwuchssorgen?
Mit welchen Problemen Ausbilder sich konfroniert sehen, beschreiben uns Dina Marschall und Anja Stober. Beide haben Goldschmieden in Stuttgart und bilden in ihren Betrieben selbst aus. "Einen Azubi auszubilden bedeutet auch immer Verantwortung. Dafür muss man auch genug Zeit haben. Gerade wenn man alleine arbeitet und voll ausgelastet ist, kann das sehr zeitintensiv werden," sagt Anja Stober. Ihre Auszubildenden kommen meist von der Goldschmiedeschule in Pforzheim. Diese seien schon erfahrener und dadurch direkt einsatzbereit. Sie selbst hat in der Regel zwei Auszubildende in ihrem Betrieb – je nach Qualität der Bewerbungen. Warum dennoch so viele Ausbildungsplätze fehlen, erklärt sie sich unter anderem durch den Mangel an Ausbildungsstellen und den hohen Zeitaufwand für die Ausbilder. Für viele kleinere Betriebe seien auch die Ausbildungsgehälter eine finanzielle Belastung.
Dina Marschall stimmt dem zu: "Die Oldies unter den Ausbildern mussten früher teilweise sogar noch für die Ausbildung zahlen. Für einen Ein-Mann-Betrieb sind die Ausgaben wie Ausbildungsvergütung plus Krankenversicherung kaum zu stemmen. Da verstehe ich, dass das viele nicht mehr wollen."
Als zweiten, stärkeren Grund, sieht sie die fehlende Meisterpflicht. Seit 2004 darf man ohne Meistertitel einen eigenen Betrieb führen. Der Meistertitel ist für sie ein Qualitätsmerkmal. "Nach dem Meister hatte man eigentlich eine schöne abgerundete Ausbildung. Das ist alles weggefallen. Wenn ich mit irgendwelchen besonderen Techniken ankomme, kann der Geselle das gar nicht," sagt sie.
Videos aus der Goldschmiede werden dem Beruf nicht gerecht
Uneinigkeit herrscht bei den beiden Stuttgarter Goldschmiedinnen über Goldschmiede und Goldschmiedinnen, die den Beruf auf Social Media präsentieren. "Das sieht dann immer so aus als bastel ich daheim so ein bisschen," sagt Dina Marschall.
Anja Stober hingegen filmt selbst gerne ihre Arbeiten und teilt diese auf Instagram. Das Interesse an den Videos sei hoch: "Vielen wird erst durch das Video klar, wie viel man an so einem Ring oder einem Schmuckstück überhaupt wirklich von Hand macht."




