Harrys Bude in Stuttgart: 800 Tonnen gerettetes Essen, unzählbares Glück
Essen fair teilen – dieses Motto verwirklichen Harry Pfau (62) und seine an die 50 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer in Harrys Bude vor der Marienkirche in Stuttgart. Verschenkt werden gerettete Lebensmittel, die von Supermärkten und Märkten aufgrund von Fehlern nicht mehr verkauft werden können. Essen, das im Müll gelandet wäre, obwohl es noch essbar ist. Das Besondere dabei: niemand muss sich als bedürftig ausweisen. Jeder bekommt etwas.
Neben der Marienkirche entsteht innerhalb einer Woche Harrys Bude
Harry Pfau, der selbst die Armut aus Zeiten ohne Obhut kennt, ist sich mit einem ganz sicher: „Es kann jeden treffen. Man sieht es den Leuten nicht immer an, ob sie auf der Straße leben.“ Noch vor drei Jahren war er selbst obdachlos. Durch eine Trennung und seine damalige Alkoholsucht kam eins zum anderen. „Wahrhaben will man das am Anfang nicht“, erinnert sich Harry. Trotz seiner eigenen schwierigen Lebensumstände, beteiligt er sich bei einer kirchlich organisierten Essensverteilung. Durch seine dortige Tätigkeit kam er in Kontakt mit Foodsharern, die nicht wussten, wohin mit dem ganzen geretteten Essen. Mit einem kleinen Team bestehend aus Harry und zwei weiteren Helfenden, startete dann im August 2020 die Testphase der Essensausgabe unter dem damaligen Namen „Marienverteiler“ auf dem Kirchengrundstück. Als „Improvisation pur“ bezeichnet Harry die Anfangszeit des Projekts. „Da standen ein paar Kisten und die Leute durften sich das Essen selber wegnehmen.“ Es fehlte an Steuerung, die es braucht, um auch wenn es mal nicht so viel gibt, allen etwas zu geben und fair zu verteilen.
Viel Zuspruch für den Fairteiler am Marienplatz Stuttgart
Seit dem Start hat sich einiges getan: der "Fairteiler" hat sich mit viel Zuspruch, innovativen Ideen und einem neuen Logo, für das Harry Namensgeber und Gesicht ist, wortwörtlich einen Namen gemacht: Im belebten Viertel zwischen der Paulinenbrücke und dem Marienplatz ist „Harrys Bude“ nicht mehr wegzudenken. Etwa 300 Leute kommen täglich vorbei. Bei dem Andrang ist Harry froh, von knapp 50 Ehrenamtlichen bei der Verteilung und auch der Beschaffung der Lebensmittel unterstützt zu werden.
An drei Tagen die Woche holt das Team per Lastenrad Obst und Gemüse auf dem Wochenmarkt. 800 Tonnen Lebensmittel seien bisher durch Harrys Bude gerettet worden (Stand August 2023). „Es ist manchmal schon verrückt, was man alles bekommt“ bekundet er und meint damit die hohe Qualität der Lebensmittel. Einige Marktstandbesitzer legen sogar schon einen Vorrat an fehlerfreier Ware zurück, den sie Harrys Bude gerne schenken. Außerdem bezieht das Team die Lebensmittel auch von Supermärkten oder Bäckereien. „Kühlware dürfen wir keine rausgeben. Das ist ein heikles Thema, denn auch wir werden von der Lebensmittelüberwachung kontrolliert.“ Harrys Bude ist als Sozialbetrieb auch offiziell angemeldet – „die komplette Narrenfreiheit“ hat er also nicht. Und dennoch schafft er im Bereich des Möglichen so einiges.
Warme Mahlzeiten während Corona gewährleisten: Der Fairteiler gehört zur Grundversorgung
Harrys Bude ist zu Zeiten von Corona und Lockdown entstanden. Für Menschen, die auf der Straße leben, waren Themen wie Essens- oder Kleiderbeschaffung also schwieriger als sie ohnehin schon sind. Kurzerhand etablierten sich daher eine dezentrale Versorgung mit warmen Mahlzeiten und ein einmal die Woche stattfindender Geschenkeflohmarkt. Die warmen Mahlzeiten gibt es in verschiedenen Stuttgarter Einrichtungen und an zwei Tagen die Woche eben auch in Harrys Bude. Koordiniert wird das Ganze von "Suppoptimal", einer Initiative der Bürgerstiftung Stuttgart. Natürlich werden auch für die warmen Mahlzeiten bei jeder Gelegenheit gerettete Lebensmittel verwendet: „Foodsharing in Vollendung“ freut sich Harry.
Harry Pfau: „Es ist viel mehr als nur Lebensmittel rausgeben.“
Seit drei Monaten gibt es neben der Marienkirche Schließfächer für Obdachlose. Derzeit sind es 18 Schließfächer, die alle belegt sind. Wichtig für Harry ist, dass die Schließfächer immer zugänglich sind und sich nicht etwa in einem Hinterhof oder hinter verschlossenem Tor befinden. Es passiert aber nicht nur neben Harrys Bude viel, sondern eben auch genau an diesem Ort. Es ist ein Ort der Begegnung und des Informationsaustauschs: Wo kann ich mein Handy laden? Wo bekomme ich medizinische Beratung? Wo kann ich eine Wohnung finden? Das sind ein paar der vielen Fragen, auf die Harry und sein Team eine Antwort haben, oder auf Einrichtungen verweisen können.
Bald soll mit Harrys Lab mehr Aufklärung stattfinden
Mit Harrys Lab soll ein neues eher wissenschaftlicheres Projekt die Essensverteilung in Harrys Bude ergänzen. Neben der Unterstützung von Bedürftigen, liegt Harry der Umweltschutz besonders am Herzen. Im Zuge dessen ist die Planung von Workshops und Seminaren an Schulen und pädagogischen Einrichtungen geplant, um über Themen wie Lebensmittelverschwendung oder nachhaltiges Handeln aufzuklären. „Die meisten Lebensmittel werden in privaten Haushalten weggeschmissen“, daher weiß Harry wo er handeln muss. Finanziert werden das Projekt sowie Harrys Bude selbst rein über Spenden. Auch die Politik ist auf Harrys Bude aufmerksam geworden und plant in Zusammenarbeit eine App, die die Haltbarkeit von Lebensmitteln ermitteln soll. Dass die Presse oder Politik bereits mehrfach auf sein Schaffen aufmerksam geworden ist, empfindet Harry als etwas Postives. „Wir sind wie ein Stachel im Fleisch, der ab und zu mal weh tut“, meint er und spielt damit auf den großen Handlungsbedarf seiner Themen ab.
Weihnachtsaktion und Zukunftsaussichten
Für Weihnachten hat der 62-Jährige auch schon eine Aktion in Planung. Es soll wie im vergangenen Jahr am Österreichischen Platz in Stuttgart eine Weihnachtsfeier geben. Bei kleinen Geschenken und gutem Essen, sollen hier Bedürftige auch in das Vergnügen von weihnachtlichem Beisammensein kommen. Eine kleine Auszeit legt Harrys Bude dann in der ersten Januarwoche ein, um dann voller Tatendrang das neue Jahr anzugehen. „Was in 10 Jahren ist, weiß ich nicht.“ Lautet das Schlusswort von Harry Pfau. Jetzt wolle er aktiv sein und jetzt sei im Hinblick auf Inflation und Klimakrise die Zeit zu handeln.
Wie kann man Harrys Bude helfen
Das Arbeiten in Harrys Bude ist per Dienstplan geregelt. Es gibt drei Schichten am Tag (werktags 10-17 Uhr), die in der Regel doppelt besetzt sind. Das Team freut sich auf jede Hilfe. Wer sich einbringen möchte, meldet sich am besten bei Harry Pfau unter der +49 711 600111 oder kommt einfach mal persönlich bei Harrys Bude in der Tübinger Straße 36 in Stuttgart vorbei.
Die ehrenamtliche Helferin Liane erzählt von einer weiteren Möglichkeit: Sie sei über den Verein Helfende Hände e.V. zu der Tätigkeit in Harrys Bude gelangt. Dieser würde den Bedarf bei verschiedenen Einrichtungen erfragen und dann zuweisen. „Ich möchte etwas zurückgeben, da es mir selbst so gut geht“ berichtet sie über ihren damaligen Beweggrund.
Gespendet werden, kann über das Spendenkonto Bürgerstiftung Stuttgart IBAN DE95 6005 0101 0001 2356 78 mit dem Verwendungszweck „Harrys Bude“.