Stuttgart & Region

Identitäre Bewegung in Baden-Württemberg: Schlecht getarnte Rechtsextremisten

Polizei
Symbolfoto. © Benjamin Büttner

Rechtsextremistische Identitäre aus Baden-Württemberg sind aktiver als noch vor einem Jahr. Das sagte das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) auf Nachfrage unserer Redaktion. Für die Region Stuttgart ist dabei vor allem eine Gruppe relevant: Die „Wackren Schwaben“. Deren Aktionen gehen aber mitunter weit über die Landesgrenzen hinaus – eine Bestandsaufnahme.

Roter Rauch in Peutenhausen: Asylunterkunft wird zur Zielscheibe

9. Februar 2023, Peutenhausen in Oberbayern. Sechs Vermummte zünden Rauchkörper vor einer Unterkunft für Geflüchtete. Sie tragen burgunderrote Jacken und schwarze Kappen. Ein weißes Tuch, das die Stauferlöwen zeigt, verdeckt die Gesichter der Männer. Während roter Rauch in die Luft steigt, rollen sie ein Banner aus. Es markiert die Unterkunft als „Gefährderstandort“.

Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, wurden drei der sechs Männer wenig später in einem weißen Transporter auf einem Rastplatz entdeckt. Sie wurden vorläufig festgenommen. Die andren drei Beteiligten konnten bislang nicht identifiziert werden, wie Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern-Nord auf Nachfrage mitteilten. Laut einem Sprecher der Staatsanwaltschaft Ingolstadt wird gegen die Männer wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, Nötigung und Volksverhetzung ermittelt.

Rechter Terror: Das Raunen vom "Bevölkerungsaustausch"

Warum Peutenhausen? In dem kleinen Ort soll es Ende 2021 eine Einbruchserie und sexuelle Übergriffe gegeben haben, wie der Bayrische Rundfunk berichtet. Die Stimmung sei gekippt, der Bürgermeister habe daraufhin erklärt, keine Geflüchteten mehr aufnehmen zu wollen. Laut Süddeutsche Zeitung wohnten die Tatverdächtigen zum Zeitpunkt der Aktion der Rechtsextremisten nicht mehr im Ort.

Schon am Tag des rassistischen Vorfalls in Peutenhausen bekannten sich die „Wackren Schwaben“ auf Telegram dazu. Sie veröffentlichten Bilder des Geschehens und forderten eine Schließung der Unterkunft in Peutenhausen. Auch der „Bevölkerungsaustausch“ solle gestoppt werden – es handelt sich dabei um eine rechtsextreme Verschwörungserzählung, mit der Rechtsterroristen regelmäßig Anschläge begründen. „Diese Aktion war natürlich nur der Auftakt - stellt euch auf weitere Besuche ein!“

Verfassungsschutz: "Wackre Schwaben" sind Teil der Identitären

Das LfV rechnet die „Wackren Schwaben“ der Identitären Bewegung (IB) zu. „Es ist davon auszugehen, dass es sich um eine Weiterführung der Regionalgruppe ‚IB Schwaben‘ unter neuem Namen handelt“, so ein Sprecher.

Die Umbenennung ist Teil eines Strategiewechsels, der seit 2021 vollzogen wird. Die IB versucht, Strukturen zu verschleiern, Behörden die Arbeit zu erschweren und Repressionen zu entgehen. „Hintergrund sind neben dem Symbol-Verbot in Österreich im August 2021 auch das Verbot der Partnerorganisation ‚Génération identitaire‘ in Frankreich im März 2021 sowie zahlreiche Sperrungen entsprechender Social-Media-Konten", sagte ein Sprecher des LfV. Schon 2021 schrieb die Behörde, dass die Gruppierung aber „keineswegs […] von ihren rechtsextremistischen Überzeugungen“ abrücke.

Aktivist aus Stuttgart: Mit Boxhandschuhen fürs Herzogtum

Momentan beobachten die Verfassungsschützer, dass die Rechtsextremisten sich vermehrt um internationale Vernetzung bemühen. „So berichteten die 'Wackren Schwaben‘ über Aktionen bzw. Kontakte nach Österreich, Frankreich und in die Schweiz“, sagt ein LfV-Sprecher. Zum Teil dürfte das auch mit dem Selbstverständnis der Gruppe zusammenhängen: Sie beziehen sich mit ihrem Namen offenbar auf das mittelalterliche Herzogtum Schwaben, das auch Gebiete außerhalb der heutigen Bundesrepublik Deutschland umfasste.

Zum Kern der „Wackren Schwaben“ gehört unseren Recherchen zufolge auch mindestens ein Aktivist aus Stuttgart. Er ist unter anderem im Video zu einem Aktivistenwochenende vom November 2022 zu sehen. Motto: „Widerstand & Revolution“.  Die Aufnahme zeigt ihn mit Boxhandschuhen bei Kampf mit einem anderen Rechtsextremisten. In der Region ist die Gruppe vergangenes Jahr mehrfach in Erscheinung getreten – auch in Landkreisen wie Ludwigsburg und Schwäbisch Hall, in der direkten Nachbarschaft zum Rems-Murr-Kreis.

Rechtsextremismus in der Region: Vorfälle in Asperg und Kirchberg

Im April 2022 trafen sich die schwäbischen Rechtsextremisten zum Aktivistenwochenende in Kirchberg an der Jagst im Kreis Schwäbisch Hall. Das zeigen Recherchen des Journalisten Timo Büchner. Das Treffen fand demnach im „Jugendheim Hohenlohe“ des völkischen „Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e.V.“ statt – einem der zentralen Treffpunkte der extremen Rechten in Baden-Württemberg. „Das Programm der ‚Aktivistenwochenenden‘ ist eine Mischung aus Ideologie, Musik sowie Ausdauer- und Kampfsport“, schrieb Büchner in seinem Artikel für Belltower News.

Im Juli versuchten die „Wackren Schwaben“, den Fall der getöteten Schülerin Tabitha E. (17) aus Asperg für Ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Die Rechtsextremisten stellten ein Holzkreuz auf, angeblich, um der Schülerin zu gedenken. Bürgermeister Christian Eiberger ließ es zur Seite stellen, da es mit den Angehörigen von Tabitha E. nicht abgesprochen war. Die Folge: Eine Welle des Hasses gegen Eiberger, dem in Online-Kommentaren teilweise der Tod gewünscht wurde.

Inszenierung ist alles: Wie Identitären-Aktionen ablaufen

„Die extreme Rechte zeigt nur dann Aktivitäten bei Gewaltverbrechen, wenn die Tatverdächtigen nicht ihrem rassistischen und völkischen Weltbild entsprechen“, schrieb die Fachstelle Mobirex zum Vorfall in Asperg auf Twitter. In dieses Schema passt auch, dass die „Wackren Schwaben“ sich im Dezember 2022 in Illerkirchberg im Alb-Donau-Kreis zeigten. Mit einem Banner forderten sie die Schließung der dortigen Unterkunft für Geflüchtete. Ein Asylbewerber soll vor dem Gebäude zwei Schülerinnen angegriffen haben, eine von ihnen starb.

Die Aktionen der Identitären laufen oft ähnlich ab: Eine kleine Gruppe fährt irgendwo hin, oft in den frühen Morgenstunden, damit niemand die Inszenierung stört. Die Rechtsextremisten zeigen sich dort vermummt mit Plakaten, zünden Rauchkörper, bringen Banner an oder Ähnliches. Jemand fotografiert, filmt oder beides. Die Bilder landen auf Telegram, Instagram und Twitter. Hinterher lässt man sich dann vom Österreicher Martin Sellner, Kopf der deutschsprachigen Identitären, und dessen Dunstkreis für das hauseigene "Nachrichtenportal" interviewen.

Angst in Peutenhausen: Geflüchtete halten Nachtwache

So auch im Fall Peutenhausen. Ob der IB-Aktivist aus Stuttgart an der Aktion vor der dortigen Unterkunft beteiligt war, ist unklar. Entsprechende Hinweise ließen sich bislang nicht unabhängig bestätigen. Die drei festgenommenen Verdächtigen sind laut Polizei und Staatsanwaltschaft nicht in Stuttgart wohnhaft. Bei den Geflüchteten vor Ort hat die Aktion der Rechtsextremisten neben anderen Vorfällen für Verunsicherung gesorgt, wie der Bayrische Rundfunk berichtet: „Sie haben Wachdienste eingerichtet, schlafen in Schichten und wollen nur noch weg aus Peutenhausen.“

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