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Waren Beziehungen früher beständiger? Wie Social Media Freundschaft verändert

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Symbolfoto. © Daria Nepriakhina, unsplash.com

Wer bin ich? Was charaktierisiert mich? Individuelle Aspekte seien auch in Freundschaften wichtiger geworden. Welchen Einfluss haben die sozialen Medien auf unsere Freundschaften? Antworten gibt Dr. phil. Kai Erik Trost von der Hochschule der Medien in Stuttgart. Er beschäftigt sich wissenschaftlich mit Freundschaften und hat unter anderem den Einfluss von sozialen Medien auf die Beziehungen Jugendlicher untersucht.

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Kai Erik Trost forscht an der Hochschule der Medien in Stuttgart zu Freundschaften. © Clara Eisenreich

Social Media: Kontrahent zur Freundschaft

"Social Media wird eher als Kontrahent zu Freundschaften gesehen," so Kai Erik Trost. Die Jugendlichen, mit denen Trost für seine Studie gesprochen hat, seien umfänglich auf Social Media vernetzt und würden digitale Medien nutzen, um mit ihren Freunden zu kommunizieren. Obwohl das für sie normal ist, kritisieren sie die Effekte, die die sozialen Ebenen auf sie habe. "Wenn Jugendliche von der Welt erzählen, wie sie vor Social Media war, von früher, von den Eltern, dann erzählen sie das häufig mit einer gewissen Nostalgie. Sie glauben, dass es früher vielleicht einfacher war, nicht so stressig, dass Freundschaften mehr Beständigkeit hatten," beschreibt Trost. Ob das empirisch belegbar ist, stellt Kai Erik Trost infrage. 

Immer erreichbar: Was macht das mit Jugendlichen?

Jugendliche empfinden in ihren Freundschaften oft Unsicherheiten und Druck - ausgelöst von Social Media. Da sei das Gefühl, immer antworten zu müssen, immer online zu sein, unruhig zu werden, wenn Freunde länger nicht antworten. Zudem bestehe eine Sorge, Textnachrichten falsch zu interpretieren oder den falschen Emoji zu setzen. Was banal klingen mag, hat auf Freundschaften Einfluss. "Das sind natürlich auch Effekte von Social Media, die Freundschaftsbeziehungen durch den Kontakt gleichzeitig intensiver und auch fragiler machen," sagt Trost.

Trotz all dem sei die Online-Kommunikation in Freundschaften mittlerweile unumgänglich: Ohne Partizipation auf Social Media könne man Beziehungen heute nicht mehr führen. Reine offline-Freundschaften existieren nicht mehr. Die Sozialen Medien sind Teil unserer Gesellschaft.

Selbstbestätigung und Authentizität: Wonach suche ich in Freundschaften?

Verändern würden sich deshalb auch die Werte, auf die wir in Freundschaften achten. Wie Trosts Forschungen zeigen, zählen zu diesen heute primär Selbstbestätigung, Authentizität und Unterschiedlichkeit. Freundschaft diene heute auch immer dem Vergleich mit anderen. In Freundschaften könne man sich so immer wieder neu entwerfen. Einfluss darauf haben auch die Sozialen Medien. Heute hätten wir einen Zwang zur Veränderung, eine stärkere Dynamik. Handeln sei weniger statisch. Konservative Bilder, über die eine Selbstdefinition über einen längeren Zeitraum möglich gewesen sei, gebe es nicht mehr. Freundschaft müsse deshalb helfen, sich als authentische Person zu empfinden.

Sind unsere Freundschaften durch zu viel Außeneinwirkung unbeständiger geworden? "Ich glaube nicht, dass Freundschaftsbeziehungen in der Praxis fragiler sind. Aber sie werden von den Erzählerinnen und Erzählern so entworfen und so erlebt," sagt Trost.

Social Media hat einen positiven Einfluss auf Bekanntschaften

In Bezug auf langjährige Freundschaften, die zum Beispiel räumliche Distanz mit den sozialen Netzwerken zu überbrücken versuchen, stelle sich laut Trost die Frage, ob und wie Freunde die sozialen Medien nutzen. Die "Einstiegshürde", Kontakt aufzunehmen, sei bei Whatsapp, Instagram und Co. zwar gering. Dem gegenüber stehe jedoch ein hohes Ablenkungspotential. "Wir haben viele mediale Angebote, so viele attraktive Optionen, uns relativ einfach zu unterhalten. Viel mehr als das früher der Fall war." Dort hätte es durch Phasen des Nichtstuns untereinander mehr Solidarität gegeben. "Heute ist es fast schwierig, long-distance-Verbindungen aufrechtzuerhalten," sagt Trost.

Gerade aber auf Bekanntschaften hätte Social Media einen positiven Einfluss. Über lange Distanzen, unterschiedliche Sozialräume oder unterschiedliche Kulturen können so Beziehungen leichter gehalten werden. Das habe einen positiven Effekt auf die Beteiligten. "Lockere Freundschaften können helfen, aus der Bubble rauszukommen. Weil sie diese Freunde uns zum Beispiel auch andere Werte vorleben oder eine andere Lebensrealität haben," sagt Trost. 

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