Stuttgart & Region

"Obdachlosen auf Augenhöhe begegnen": Unterwegs mit dem DRK-Kältebus Stuttgart

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Das Fahrzeug des DRK-Kältebusses kurz vor der Abfahrt gegen 22 Uhr. © Clara Eisenreich

Die Nacht vom 11. auf den 12. Januar startet für André Edlich (41) und seine Kollegin Laura (24) früh: Bereits gegen 21 Uhr beginnen sie damit, den Kältebus Stuttgart mit Tee, Schoko- und Müsliriegeln, Instant-Suppen und Wärmepads auszustatten. Schon kurz darauf werden sie aufbrechen, um obdach- und wohnungslose Menschen zu unterstützen. Das Thermometer pendelt zwischen minus drei und minus zwei Grad. Wir haben die beiden bei ihrer Tour begleitet.

Kältebus Stuttgart fährt erst ab Temperaturen unter null Grad

Für Laura und André ist es in diesem Winter erst die dritte Fahrt. Denn der Kältebus Stuttgart, der sich in der Regel von 22 bis 2 Uhr um hilfsbedürftige Wohnungslose in der Stadt kümmert, fährt erst ab Temperaturen unter null Grad. Grund dafür ist, wie die Stadt Stuttgart auf Nachfrage mitteilt, dass erst dann der Erfrierungsschutz beginnt. André findet das unzureichend: "Auch fünf oder sieben Grad sind kalt - gerade auf der Straße." Letztes Jahr seien er und sein Team von Mitte November bis Mitte März durchgefahren. Diesen Winter sind die Temperaturen bisher milder.

Auch wenn sich beide von der Stadt mehr (finanzielle) Förderung für den Kältebus und andere Projekte des DRK wünschen, betonen Laura und André, dass mehr Fahrten für das Ehrenamt auch belastend sein könnten. Denn auch das DRK hat Nachwuchssorgen.

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Kofferraum des Kältebusses: Neben Instant-Suppen, heißem Tee und Kaffee befinden sich auch warme Schuhe, Isomatten und Decken unter den Spenden. © Clara Eisenreich

Für die beiden Ehrenamtlichen ist es oft schwierig, die Fahrten mit dem Kältebus zeitlich mit ihren Vollzeitjobs unter einen Hut zu bringen. Laura, die als Sozialarbeiterin tätig ist, freut sich deshalb umso mehr über ihre neue Vier-Tage-Woche, die sie seit Beginn des Jahres hat. Für André, Lokführer, Ausbilder und Vater von drei Kindern, stellen die Fahrten oft eine Herausforderung dar. Ab und an wäre eine kurze Nacht machbar, sagt er, aber gerade wenn er als Lokführer in der Früh- oder Spätschicht arbeitet, sei eine Fahrt mit dem Kältebus nicht möglich. Trotzdem sieht er sein Ehrenamt als "wahnsinnig sinnvoll" an und freut sich vor allem über das direkte, positive Feedback, das er durch seine Arbeit beim Kältebus bekommt. Im Laufe der Tour wird dies immer wieder deutlich. 

Der erste "Stammkunde" erwartet den Kältebus bereits

Am ersten Stopp der Nacht, die erst gegen drei Uhr enden wird, treffen wir einen "Stammkunden", wie André ihn nennt. Der ältere Mann erwartet das Team an einer Tankstelle. Den Kältebus, und auch André und Laura, kennt er schon aus vergangenen Jahren. Er scheint nicht nur die warme Mahlzeit, sondern auch das kurze Gespräch dankend anzunehmen. Einen warmen Tee möchte er nicht haben. Für die Freiwilligen des DRK ist genau das wichtig: Sie bieten Essen, Kleidung und Schlafsäcke oder Isomatten an. Was davon ihre Kunden annehmen möchten, sollen sie jedoch selbst entscheiden. "Am Ende geht es bei unserer Arbeit darum, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Wir wollen die Personen annehmen und als Gegenüber ansehen - egal ob mit oder ohne Wohnung", beschreibt Laura ihre Einstellung.

Im Laufe der Nacht werden wir einigen Personen begegnen, die das Angebot des Kältebusses in unterschiedlichem Maß annehmen möchten. Viele, die den Kältebus in dieser Nacht zum ersten Mal antreffen, sind anfangs zurückhaltend. Andere kennen den Kältebus schon und freuen sich über ein wechselndes Angebot von Essen und Getränken. An diesem Abend haben André und Laura Eistee im Lagerraum. Über den freut sich der zweite Stammkunde unserer Tour besonders.

Auch Wünsche der Obdach- und Wohnungslosen werden angenommen und weitergeleitet. Viele fragen nach langen Unterhosen, warmen Handschuhen und Jacken, von denen in dieser Nacht nur wenige oder unpassende im Gepäck sind. Ausgegeben werden mehrere Schlafsäcke und Isomatten. "Einige sind gerade zu Beginn des Winters noch nicht so gut ausgerüstet. Außerdem ist es angenehm, den Schlafsack innerhalb oder nach der Saison zu wechseln - schließlich ist er für die meisten Wohnzimmer, Schlafzimmer und Bad zugleich", erklärt André. Alles, was der Kältebus auf seiner Fahrt verteilt, finanziert sich durch Sach- oder Geldspenden. Gerade die wärmespendenden Instant-Nudeln und Schokoriegel, um schnell Energie zu tanken, kommen gut an. 

Routenplanung: Dabei können aufmerksame Passanten helfen

Die Route, die wir an diesem Abend abfahren, wird bereits im Vorfeld abgesteckt. Die Freiwilligen des Kältebusses halten in einem Protokoll fest, wo sie die Obdach- oder Wohnungslosen angetroffen haben und welche Lebensmittel sie ausgegeben haben. So wissen alle Helfer, wohin zukünftige Fahrten nötig sind. Außerdem erreichen das Team Tipps von Privatpersonen über die Telefonnummer des Kältebusses. Bereits vor Beginn unserer Fahrt liegen sechs Nachrichten im Posteingang. In diesen weisen Passanten darauf hin, wo sie Obdach- oder Wohnungslose angetroffen haben und wie es der Person geht.

Dafür, wie man selbst helfen kann, hat Laura einige Ratschläge."Wichtig ist, dass man die Person anspricht und fragt, ob sie Hilfe möchte, und uns erst anschließend anruft", betont Laura. Auch sollten Passanten nicht direkt die Polizei oder den Rettungsdienst einschalten, ohne vorher mit der obdachlosen Person gesprochen zu haben. Wichtig sei auch, dass man akzeptiere, wenn das Gegenüber keine Hilfe in Anspruch nehmen möchte. Denn jeder habe das Recht, Nein zu sagen. Das passiere auch dem Team des Kältebusses auf seinen Touren. Sollte jemand keine Hilfe wünschen, wird auch das im Protokoll vermerkt.

"Für mich ist es vor allem wichtig, dass Obdach- und Wohnungslose nicht heruntergestuft werden", fasst Laura zusammen. Mit ihrer Arbeit möchte sie deutlich machen, dass Obdach- oder Wohnungslose keine grundsätzliche Gefahr darstellen. Dennoch versteht sie, dass bei vielen oft eine gewisse Hemmschwelle existiert. Dennoch hofft sie darauf, dass diese überwunden und abgebaut werden könne.

In der Kälte draußen zu schlafen sei oft eine bewusste Entscheidung 

Auf unserer Tour treffen wir nicht an allen angegebenen Orten Personen an. "Die, die nicht gefunden werden wollen, finden wir auch nicht. Die meisten, die unser Angebot nutzen wollen, kennen auch die Orte, die wir anfahren", betont Laura. Viele schlafen außerdem in den Notunterkünften der Stadt. Diejenigen, die während der kalten Jahreszeit noch auf der Straße schlafen, haben diese Entscheidung Laura zufolge meist ganz bewusst getroffen. Viele hätten sich so an das Leben auf der Straße gewöhnt, dass sie die Strukturen und geschlossenen Räume in den Notunterkünften als einengend empfinden.

Im Kontakt zwischen den Ehrenamtlichen und den Obdach- und Wohnungslosen wird eins ganz deutlich: Die Personen treffen ihre eigenen Entscheidungen und diese werden vom Team des Kältebusses akzeptiert. Weder drängt es seine Hilfe auf, noch erwartet es bedingungslose Dankbarkeit. 

Kältebus in Stuttgart: So können Sie helfen

Den Kältebus in Stuttgart erreichen Sie unter der Telefonnummer 07 11/21 95 47 76. Diese Telefonnummer sollten Sie anrufen, wenn Sie eine obdach- oder wohnungslose Person angetroffen haben und diese die Hilfe des Kältebusses in Anspruch nehmen möchte. In medizinischen Notfällen sollten Sie über die 112 Hilfe rufen.

Wenn Sie den Kältebus mit Sachspenden unterstützen möchten, können Sie dies nach Absprache mit dem DRK über sozialarbeit@drk-stuttgart.de tun. Geldspenden nimmt der Kältebus über das Konto des DRK-Kreisverbands Stuttgart bei der BW Bank Stuttgart an: IBAN: DE05600501010001130113, BIC: SOLADEST600, Verwendungszweck: Kältebus.

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