Stuttgart & Region

Queer und katholisch – ein Widerspruch? Schwule und lesbische Gläubige berichten

Queerer Gottesdienst in Stuttgart.
Queerer Gottesdienst in Stuttgart. © Clara Eisenreich

Stuttgart. Seit über 25 Jahren findet in der St. Fidelis Kirche in Stuttgart einmal im Monat ein queerer Gottesdienst statt. Anfangs mussten sich die Teilnehmenden in der Seitenkapelle versammeln, zu groß war damals noch die Kritik innerhalb der Gemeinde. Mittlerweile kommen rund 25 Personen zu den Gottesdiensten, auch heterosexuelle Gläubige sind willkommen. Nachwuchssorgen, wie sie sonst der (katholischen) Kirche anhängen, scheint es hier bisher nur in geringem Ausmaß zu geben – obwohl auch manche der alteingesessenen Mitglieder des queeren Gottesdienstes mittlerweile an ihrem Glauben zweifeln, wie sie im Gespräch verraten.

Sonntag, 17.30 Uhr, Adventsgottesdienst. Der Raum ist mit Kerzen geschmückt, die Stühle gegenüber angeordnet. Vor dem Altar liegt eine Regenbogenflagge, Priester Michael, der an diesem Abend den Gottesdienst abhalten wird, trägt eine Stola – ebenfalls in Regenbogenfarben. Sonst weist wenig darauf hin, dass sich dieser Gottesdienst, zumindest im Namen, von anderen Gottesdiensten unterscheidet. Die erste Reihe der Kirchenbänke ist bald schon voll besetzt, die meisten Teilnehmer tauschen sich vor Beginn fröhlich aus. Eine junge Frau, circa 30 Jahre alt, sitzt etwas abseits. Sie sticht nicht nur durch ihr Alter und den räumlichen Abstand heraus, sondern vor allem durch ihr Geschlecht. Die meisten Gäste sind über 50 und männlich.

Frauen in der katholischen Kirche: Hoffnung auf Veränderung

Unter den wenigen Frauen in der Kirche an diesem Abend ist auch Cornelia. Sie kam bereits Anfang der 20000er zum ersten Mal zum queeren Gottesdienst, als sie sich zu Beginn ihres Studiums frisch als lesbisch geoutet hatte. Damals sei sie die einzige Frau gewesen und deswegen vorerst nicht wieder gekommen. Generell seien es ihr zu wenig Frauen in der katholischen Kirche, das Frauenbild zu stereotypisch. Sie stört, dass Frauen immer noch wenig Verantwortung und Aufgaben in der Kirche übernehmen dürfen. Deswegen organisiert sie sich unter anderem im Katholischen Frauenbund. Dort spürt sie "eine andere Spiritualität in einer freieren Form" und setzt sich gemeinsam mit anderen Frauen für Veränderung ein. "Vielleicht geben uns die Männer ja irgendwann Rechte. Das hat beim Frauenwahlrecht schließlich auch geklappt", sagt sie.

Auch in diesem Gottesdienst spricht ein männlicher Priester und verliest ein Mann die Lesung, eine Aufgabe, die Cornelia unter anderem gerne einmal übernehmen würde. Bei den Fürbitten wird für Frieden in der Ukraine gebetet. "Auf dich vertraue' ich und fürcht' mich nicht", singen die Teilnehmenden. Trotz der halb leeren Kirche füllt sich der gesamte Raum mit Gesang.

Einer singt besonders laut mit, sein Name ist Kurt. "Singen ist ganz wichtig. Das hat mir in einer Trauerphase mal sehr geholfen", sagt er beim anschließenden Treffen im Pfarrhaus. Seit circa 15 Jahren kommt er regelmäßig zum queeren Gottesdienst, mittlerweile hat er hier gute Freunde gefunden. Nicht nur die Gemeinschaft, sondern auch das gemeinsame Gottesdienst-Feiern, ist für ihn wichtig. Ihm gefällt die Offenheit, auch in der Gestaltung der Gottesdienst. "Die Zelebranten halten sich nicht an die vatikanische Agenda", sagt er. Evangelische Gottesdienste seien ihm oft zu liberal "da gibt's elendigen Kruschd", sagt er.

Queerfeindlichkeit und Wahlerfolge von AfD und FPÖ: "Die Gruppe, die uns weghaben will, wird immer größer"

"Wie in der normalen Gesellschaft" gibt es auch in der St. Fidelis Gemeinde Mitglieder, denen der queere Gottesdienst missfällt, so Kurt. Wie sich der gesellschaftliche Ton gegenüber LGBTQ+-Community verändert, die AfD immer stärker wird und die FPÖ die österreichische Parlamentswahl mit 29,9 Prozent gewonnen hat, bereitet ihm und anderen Teilnehmern Angst. "Die Gruppe, die uns weghaben will, wird immer größer. Wir haben in den letzten Jahren viel Fortschritt vor allem in der rechtlichen Gleichstellung erreicht, den sie jetzt rückgängig machen wollen. Ich habe weniger Angst um mich und meine Rechte und viel mehr um meine schwulen Freunde, die jünger sind als ich", sagt er.

Queer-feindliche Anfeindungen oder Übergriffe gegen die Teilnehmenden, wie sie zum Beispiel bei einem queeren Gottesdienst in Berlin stattgefunden haben, hat es in Stuttgart laut Teilnehmenden und Veranstaltern noch nicht gegeben. In Berlin hat bei einem von Theologiestudierenden organisierten queeren Gottesdienst eine rechte Gruppe den Gottesdienst und die Teilnehmenden heimlich gefilmt und mit dem Videomaterial queerfeindliche Hetze im Internet betrieben hat, wie unter anderem der Tagesspiegel berichtet hat.

Die Anfänge des queeren Gottesdienstes in Stuttgart

Zu den queeren Gottesdiensten kommen laut Heiko Hauger, der den Gottesdienst mitveranstaltet, vor allem Personen, die in der Jugend positive Erfahrungen gemacht haben und im Erwachsenenalter ihren Platz in der Kirche suchen. Diesen Platz in einer Gemeinde hat vor fast 30 Jahren auch Ulrich gesucht.

Als junger Schwuler hatte er 1996 in Stuttgart keinen Anknüpfungspunkt in der Gemeinde. Er wollte einen Gottesdienst mit Menschen feiern, mit denen er etwas gemeinsam hat. Innerhalb der St. Fidelis Gemeinde findet er fünf Personen und einen Pfarrer, die mit ihm den ersten queeren Gottesdienst in Stuttgart feiern wollen. Der Andrang sei damals so groß gewesen, dass sich beim ersten Gottesdienst 45 Personen in die Seitenkapelle gedrängt hätten. "Es ist ein großer Unterschied zwischen dem, was in Rom passiert und dem was vor Ort passiert", sagt er. Keiner der Stuttgarter Pfarrer und Priester habe Probleme dafür bekommen, einen queeren Gottesdienst zu halten und auch ein Kennenlernen mit Kardinal Kasper, dem ehemaligen Bischof der Diözese Rottenburg/Stuttgart, bei dem sich der queere Gottesdienst vorgestellt hatte, habe er als offen und neugierig in Erinnerung.

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Zweifel am Glauben: "Was bedeutet 'Allmächtiger Gott'?"

Trotzdem hadert er heute immer öfter mit der Kirche und ihren Inhalten: "Ich gehe nicht mehr mit dem mit, was im Gottesdienst gesprochen und vermittelt wird. Was bedeutet 'Allmächtiger Gott'? Wenn man singt 'Allen Menschen wird zuteil Gottes Heil' dann dürfte es doch kein Unheil in der Welt geben?" Zu den Gottesdiensten komme er dennoch gelegentlich, um die Gemeinschaft zu erleben und alte Bekannte zu sehen. Sein Engagement habe sich aber verlagert, mittlerweile beteilige er sich unter anderem beim CSD und bei Weissenburg, einer queeren Stuttgarter Organisation. "Hier sorge ich auch für Gemeinschaft, aber habe das inhaltliche Problem nicht", sagt er.

Queer und christlich: Die katholische Kirche als Teil eines schwulen Lebens

Beim gemeinsamen Abendmahl versammeln sich die Teilnehmenden um den Altar, halten ihre Hände und beten gemeinsam. Anschließend umarmen sich einige. Sie kennen einander, sind sich vertraut. Nicht zuletzt, weil sie ein vermeintlicher Kontrast eint: ihre schwule und lesbische Identität und der christliche Glaube.

"Der Erfahrungsaustausch ist für die meisten Teilnehmenden besonders wichtig", sagt Heiko Hauger. Er selbst hat katholische Theologie studiert. Auf einem Priesterseminar hat er seinen Mann kennengelernt und sich in ihn verliebt . Zu seinem ersten queeren Gottesdienst ging er mit Herzklopfen. "Die Kirche ist meine spirituelle Quelle. Der queere Gottesdienst ein Miteinander", sagt er. 

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Auch Oliver hat in diesem Miteinander einen Ort für seinen Glauben gefunden. Hier hat er gelernt, "dass auch Schwule in der Kirche einen Ort für Akzeptanz finden können. Aufgewachsen ist Oliver in Bolivien in einer Familie, für die die Kirche das wichtigste sei. Geoutet ist er innerhalb seiner Familie nur vor seiner Schwester. "Meine Mama fragt jeden Sonntag, ob ich in der Kirche war", sagt er. Die katholische Kirche "ist ein Teil von meinem Leben, egal wie ich bin". 

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