Startschuss für Cannstatter Volksfest in Stuttgart: Das sind die Wasen-Wurzeln
Der Cannstatter Wasen gilt nach der Münchner Wiesen als zweitgrößtes Volksfest der Welt. Doch warum wird in Stuttgart eigentlich jedes Jahr im Herbst gefeiert? Die Ursprünge des Rummels, der am Freitagnachmittag (22.09.) beginnt, reichen über zweihundert Jahre zurück - und liegen am anderen Ende der Erdkugel, rund 12.000 Kilometer entfernt vom traditionellen Festplatz in Bad Cannstatt. Wie ein Vulkanausbruch in Indonesien letztlich zum ersten Wasen geführt hat, lesen Sie hier.
Ausbruch des Tambora: Mit der Kraft von mehreren Millionen Wasserstoffbomben
Auf der indonesischen Insel Sumbawa kann man heute noch den gewaltigen Krater besichtigen, den der Ausbruch des Vulkans Tambora im April des Jahres 1815 verursacht hat. Es war eine der stärksten und schlimmsten Eruptionen seit Jahrhunderten. Die Explosion hatte die Kraft von mehreren Millionen Wasserstoffbomben. Mehr als 90.000 Menschen starben. Und auch die Folgen für die Umwelt waren verheerend. Selbst im tausende Kilometer entfernten Königreich Württemberg.

Vulkanausbruch in Indonesien führte zu Missernten in Württemberg
„Dieser Vulkanausbruch war ein globales Event, das heißt, der Ausbruch war so stark, die Eruptionssäule schleudert so viel Material und Gase in die Stratosphäre, und die Höhenwinde verteilen diesen Auswurf dann über die ganze Welt“, sagte der Historiker Wolfgang Behringer in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
In seinem Buch „Tambora und das Jahr ohne Sommer“ beschreibt er, wie die Katastrophe in Indonesien das Klima fast auf dem gesamten Globus aus den Fugen gebracht hat. Konkret wurde es dunkler auf der Erde. Und da weniger Sonnenlicht ankam, wurde es auch merklich kühler. In Europa sank die Temperatur um ein bis zwei Grad, auf der Schwäbischen Alb schneite es im Juli. Das führte wiederum in den traditionellen Agrargesellschaften zu Missernten, Teuerung und Hunger.
Das erste Cannstatter Volksfest als Erntedankfest
Zum Feiern zumute war den Menschen in Württemberg und in weiten Teilen Westeuropas also keineswegs. 1817 kam es zu einer schlimmen Hungersnot in deren Folge auch Krankheiten grassierten. Beides belastete die von den napoleonischen Kriegen ohnehin gebeutelten Menschen massiv.

Erst langsam besserte sich die Lage, da sich die Asche des Vulkans allmählich verzog und sich die Temperaturen wieder normalisierten. Zur Feier der überstandenen Leiden stifteten der junge König Wilhelm I. von Württemberg und seine Frau Katharina 1818 ein großes Erntedankfest – das erste große Volksfest auf dem Cannstatter Wasen.
Cannstatter Wasen: Leistungsschau der Bauern Württembergs
Dieses landwirtschaftliche Fest sollte von nun an jedes Jahr am Geburtstag des Königs am 28. September stattfinden. Damit wollte das Königspaar aber nicht nur das Ende der langen Leidenszeit feiern, sondern auch die Entwicklung der rückständigen Landwirtschaft im Königreich vorantreiben. So belohnten König und Königin auf dem ersten Cannstatter Fest herausragende landwirtschaftliche Leistungen – es war neben dem klassischen Volksfest also auch eine Leitungsschau, die den Bauern in Württemberg helfen sollte, sich untereinander zu vernetzen und voneinander zu lernen. Alles mit dem Ziel, die württembergische Wirtschaft krisenfester und letztlich auch ertragreicher zu machen.
Von 1882 an wurde auf Weisung von König Karl, dem Sohn und Nachfolger von Wilhelm, das Cannstatter Volksfest nicht mehr alljährlich, sondern nur noch alle zwei Jahre veranstaltet. Bis zum Tod des Königs 1891 blieb diese Regelung erhalten. Auf diesen Umstand und die Auswirkungen beider Weltkriege ist es zurückzuführen, dass insgesamt 28 Jahre „volksfestlos“ blieben.
Im 19. Jahrhundert gab es zunächst auch nur einen einzigen, etwas später drei, dann vier, ab den späten Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts schließlich fünf Volksfesttage. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde zu Beginn der Fünfzigerjahre bereits zehn, dann zwölf und seit 1972 16 Tage lang gefeiert. Seit 2007 dauert das Volksfest 17 Tage.
Bereits zum Premieren-Wasen kamen über 30.000 Besucher
Übrigens: Zum Premieren-Wasen kamen 1818 mehr als 30.000 Besucher, dabei hatte die Oberamtsstadt Cannstatt nur 3.000 Einwohner. Parallel wurde auf dem königlichen Schloss Hohenheim eine „landwirtschaftliche Unterrichts-, Versuchs- und Musteranstalt“ eingerichtet – die Keimzelle der heutigen Universität Hohenheim, die vor allem für ihre agrarwissenschaftlichen Studiengänge bekannt ist.
Parallel plante und leitete Königin Katharina einen Wohltätigkeitsverein, der ab 1817 als halbstaatliche Organisation Funktionen vergleichbar einer innerstaatlichen Entwicklungshilfe übernahm und durch den wiederum 1818 die „Württembergische Sparkasse“ gegründet wurde. Heute bekannt unter dem Namen BW-Bank.
Nicht nur die Ursprünge des Cannstatter Volksfestes liegen also in einer großen Natur- und daraus resultierenden Klimakatastrophe. Ein welthistorisches Ereignis, das Spuren hinterlassen und neben all dem Leid mitunter auch Fortschritt gebracht hat. Und den Stuttgartern einen alljährlichen Riesen-Rummel beschert.