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Verringert sich die Aufmerksamkeit von Jugendlichen? Uni Stuttgart forscht

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Symbolbild. © Pixabay

Wie wird in den sozialen Medien mit unserer Aufmerksamkeit gespielt? Nimmt die Aufmerksamkeit von Jugendlichen wirklich ab? Antworten auf diese Fragen will Sibylle Baumbach von der Universität Stuttgart gemeinsam mit ihrem Forschungsteam finden. In ihrem Forschungsprojekt will sie unter anderem untersuchen, wie Kurzgeschichten die Aufmerksamkeit der Leser steuern. Untersucht werden sollen Kurzgeschichten ab dem 19. Jahrhundert bis zu heutigen neuen Formen der Kurztexte. Diese nennt sie "Mikroliteratur" und meint damit Posts auf X (ehemals Twitter) oder Instagram Stories.

Frau Prof. Dr. Sibylle Baumbach
Prof. Dr. Sibylle Baumbach will in ihrem neuen Projekt zu Kurzgeschichten und Mikroliteratur forschen. © Universität Stuttgart, Jan Potente

Die Fähigkeit, Aufmerksamkeit schnell zwischen unterschiedlichen Dingen wechseln zu können, beschreibt Sibylle Baumbach als Hyperattention. "Hyperattention ist die Notwendigkeit, dauernd stimuliert zu werden, aber auch die Fähigkeit, in unterschiedlichen Kontexten schnell springen zu können," definiert sie den Begriff. Diese Fähigkeit brauche man in der über-medialen Welt. Aktuell sei es wichtig, zwischen Kontexten springen zu können und sich auf viele Dinge gleichzeitig konzentrieren zu können. "Das ist unser Überlebenstraining," sagt Baumbach.

Deswegen möchte sie in ihrer Forschung auch digitales Lesen und digitale Formen von Kurztexten untersuchen. "Wir sind so daran gewöhnt, kleine Nachrichten aufzunehmen und eine hohe Stimulation zu haben," sagt sie. 

Soziale Medien spielen mit hoher Stimulation

Mit dieser hohen Stimulation spielen Medien wie Instagram oder X ganz bewusst: "Wenn ich jetzt auf Instagram oder X etwas lese, bin ich leichter abgelenkt. Hier ist es einfach, auf ein anderes Profil zu klicken oder einem Link zu folgen," sagt sie. Hier gehe es besonders darum, Aufmerksamkeit der Leser zu lenken und mit deren Aufmerksamkeitskapazität zu spielen. Bei X werde der Leser von einer einzelnen Kurznachricht durch Verlinkungen "in einen größeren Text überführt," sagt Baumbach.

Was haben die Texte des 19. Jahrhunderts mit Instagram Stories gemeinsam?

Wo aber liegen die Gemeinsamkeiten zu Kurzgeschichten im 19. Jahrhundert? "Gerade in dieser Zeit gab es eine große Sorge um Aufmerksamkeit," sagt Baumbach. "Am Ende des 19. Jahrhunderts gab es enormen technologischen Fortschritt. Vor allem im Bereich der Kommunikationstechnologie," sagt sie. Als Medien wie Film und Fotografie und Werbung präsenter geworden sind, habe die Kurzgeschichte geboomt. "Das war das Medium der Zeit. Sehr schnelllebig, sehr kurze Texte," sagt sie. Vor allem um Leute zu informieren, seien Kurzgeschichten ein beliebtes Genre gewesen. 

Ähnlichkeiten zum 21. Jahrhundert liegen nicht nur im rasanten technologischen Fortschritt. "Ähnlich ist auch die gleichzeitige Angst, dass diese Informationsflut, der wir auf einmal ausgesetzt werden, dazu führt, dass wir uns nicht mehr auf eine Sache konzentrieren können," sagt sie.

Uni Stuttgart: Projekt will Aufmerksamkeit von Kindern und Jugendlichen erforschen

Sibylle Baumbach findet, dass die Angst vor einem Aufmerksamkeitsdefizit bei Jugendlichen oft zu eindimensional gesehen wird. "Es ist nicht so, dass Kinder und Jugendliche nur auf dem Handy Kurztexte auf Twitter oder Instagram lesen. Sie lesen auch noch gerne längere Texte, auch viel länger als Kurzgeschichten," sagt sie.

Trotzdem soll das Projekt, eine Zusammenarbeit aus dem Bereich der Computerlinguistik, Psychologie und Literaturwissenschaften, auch Erhebungen in Schulen durchführen. Mit Lesestudien bei Jugendlichen der elften Klasse, einer Generation, die mit den digitalen Medien aufgewachsen ist, soll herausgefunden werden, wie Kurzgeschichten in den Unterricht integriert werden können. Können Schüler und Schülerinnen so lernen, wie sie ihre Aufmerksamkeit gezielt einsetzen? Kann man Kurztexte einsetzen, um zu zeigen, wie Aufmerksamkeit, zum Beispiel in den sozialen Medien, gelenkt wird?

Aktuell seien noch viele Fragen offen. Zu welchen Ergebnissen Sibylle Baumbach mit ihrem Forschungsteam kommen wird, wird sich in fünf Jahren zeigen. 

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