Grün statt Grau in Stuttgart: Wie die Stadt für kommende Hitzewellen plant
Stuttgart. Ein Blick auf das Thermometer in den vergangenen Wochen macht deutlich: Es war heiß! Nicht selten stieg die Temperatur in Stuttgart weit über die 30-Grad-Marke und auch die Nächte brachten kaum Abkühlung. Vor allem in städtischen Gebieten kann das problematisch werden, denn hier ist die Hitzebelastung besonders hoch und die Möglichkeiten zur Abkühlung meist gering – so auch im Kessel. Wie sieht es hier in Sachen Hitze aus und was macht Stuttgart, um die Stadt für ihre Bewohner∗innen hitzefreundlicher zu gestalten? Darüber haben wir mit Experte Jörn Birkmann gesprochen.
Warum sind Städte besonders von Hitze betroffen?
Der Klimawandel schreitet voran und die Anzahl der heißen Tage im Jahr steigt. Vor allem in den Verdichtungsräumen sei das deutlich spürbar, meint Jörn Birkmann von der Universität Stuttgart. Er ist Professor für Stadtentwicklung und Raumplanung und erforscht unter anderem, wie sich Städte an den Hitzestress anpassen. „Verdichtungsräume umfassen Städte und ihr Umland. Beispielsweise Stuttgart über Pforzheim bis Karlsruhe.“ Es habe einen deutlichen Temperaturanstieg in den letzten 30 Jahren gegeben – durchschnittlich bis zu 20 heiße Tage mehr über diesen Zeitraum. Ein heißer Tag bedeutet 30 Grad Celsius oder mehr.
In städtischen Gebieten tritt dadurch der sogenannte urbane Hitzeinseleffekt auf. „Je näher man in Großstädten, vor allem im Inland, dem städtischen Kern kommt, je höher wird die thermische Belastung.“, erklärt Birkmann. Grund für dieses Phänomen ist der vielfach höhere Anteil an versiegelter Fläche. Das heißt: wenig Grünflächen, dafür zahlreiche bebaute Bereiche mit Gebäuden, Parkplätzen und Straßen. Zudem fehle meist die Durchlüftung der Innenstädte. Der Hitze-Experte erklärt, dass diese Faktoren, dazu führen, dass Städte nicht mehr abkühlen. „Wenn man die Temperatur zwischen Stadt und Umland vergleicht, sieht man teilweise einen Unterschied von bis zu 10 Grad Celsius und das heißt auch, dass die Belastung für Menschen in einer Hitzeperiode ansteigt, da die kühleren Temperaturen für den erholsamen Schlaf ausbleiben.“
Mit diesen Klimaveränderungen muss man in der Zukunft planen, findet Birkmann: „Man kann natürlich versuchen, sich durch Klimaanlagen oder durch das Einschließen in die eigene verschattete Wohnung diesem Hitzestress zu entziehen, aber es braucht auch lebendige Städte. Das heißt, es braucht Städte, die kühlende Räume und Orte anbieten.“
So sieht es in Stuttgart in Sachen Hitze aus
Den urbanen Hitzeinseleffekt kann man laut Jörn Birkmann auch in Stuttgart beobachten. Die Stadt hat einen hohen Versiegelungsanteil und ist besonders durch die vorhandene Kessellage wenig durchlüftet – das gelte übrigens auch für das gesamte Neckartal. Dafür habe Stuttgart aber auch viele Waldflächen zu bieten, die zu einem angenehmeren Klima beitragen können.
Dieses Bild bestätigt auch der zweite bundesweite Hitze-Check der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Diese verortet Stuttgart im gelben Bereich der Hitzebetroffenheit – das aber nur knapp. Der Hitzebetroffenheitsindex (HBI) liegt hier bei 16,14. Jeder HBI über 16,16 bedeutet: überdurchschnittlich von Hitze betroffen. Bei der Berechnung des Index spielen die vier Faktoren Oberflächentemperatur, Versiegelung, Grünvolumen und Einwohnerverteilung nach Hitzebetroffenheit eine Rolle. Der Kessel liegt allerdings nur in puncto Grünvolumen im grünen Bereich. Prof. Jörn Birkmann betont, dass die Stadt um die Lage weiß: „Trotzdem kann man sagen, dass die Sensibilität gegenüber solchen Hitzephänomenen in Stuttgart und der Region schon relativ lange vorhanden ist und in den letzten Jahren noch einmal zugenommen hat.“
Das unternimmt die Stadt bereits gegen heiße Tage
Diese Sensibilität spiegelt sich auch in den Maßnahmen der Stadt wider. Um sich für die kommenden Hitzewellen zu rüsten, hat die Stadt Stuttgart im Juni 2025 den Hitzeaktionsplan ins Leben gerufen. Das Programm informiert nicht nur über Gesundheitsrisiken und klärt über Schutzmaßnahmen auf, sondern beschreibt auch, wie der Kessel hitzeresilienter werden soll. Bereits bestehende Stadtstrukturen und Bauten sollen eine klimaangepasste Aufwertung erfahren und bei Neuplanungen soll das Klima ebenfalls berücksichtigt werden.
Zu den konkreten Maßnahmen in diesem Bereich zählen beispielsweise Dach- und Fassadenbegrünungen, Baumpflanzungsprojekte und sommerlicher Wärmeschutz für Gebäude. Auch an den Hitze-Hotspots soll einiges getan werden: Die Flächen sollen entsiegelt werden, sodass mehr Raum für Grünflächen und Beschattungsmaßnahmen entsteht. Als bereits umgesetztes Positivbeispiel nennt Prof. Jörn Birkmann einen neu geschaffenen Wohnbereich im Neckarpark-Areal in Bad Cannstatt. Dort wurde ein Wohnquartier mit grüner Achse entwickelt, „die sowohl Regenwasser von der Straße und den Dächern aufnimmt, aber eben auch durch Bäume und Grün bei Hitzestress Schatten spenden kann“. Nur irgendwo eine Grünfläche anzulegen sei eben nicht hilfreich. Diese müssen „nahräumlich verfügbar, erlebbar, nutzbar und verschattet sein“, erklärt der Experte.
Das gibt es in Sachen Hitzeschutz noch zu tun
Doch es gibt auch noch einiges zu verbessern. Das findet auch Birkmann: „Der Hitzestress nimmt schneller und stärker zu als gedacht und dadurch muss man auch mehr Anpassungsoptionen – wie kühlende Orte und Wasser – bereitstellen. Kleine, kaum erkennbare Trinkwasserbrunnen auf einem nicht verschatteten und heißen Platz reichen da nicht.“ Die Innenstädte müssten bei Hitzestress eine höhere Aufenthaltsqualität für die Menschen bieten. Auch über die gekühlten Einkaufszentren und Bibliotheken hinaus. Was könnte man also noch tun, um die Stadt hitzefreundlicher zu gestalten?
Bei Gebäuden könne man darauf achten, dass man bei der Isolierung den Hitzestress mitdenkt. Wie bei einer Wärmedämmung im Winter gegen Kälte könne man sich auch durch eine entsprechende Isolierung vor hohen Temperaturen schützen. Bei Fassaden könne ebenfalls darauf geachtet werden, dass man nicht mehr nur reine Glasfassaden, die den Innenraum stark aufheizen, verbaut. Passive Kühlung und die Verschattung von Gebäuden spielen ebenfalls eine Rolle.
Prof. Jörn Birkmann sagt aber auch, dass man nicht durch einzelne Gebäude etwas in der Stadt verändern könne. „Neben Gebäuden, ihrer Ausrichtung und Isolierung sind für Städte die Kaltluftschneisen sehr relevant. Für Stuttgart – zum Beispiel für die Innenstadt – liegen die Entstehungsgebiete der Kaltluft unter anderem in Böblingen. Das heißt, man muss auch diese stadtregionalen Zusammenhänge beachten.“ Bei der Planung neuer Gebäude und Wohngebiete sollte also bedacht werden, dass diese durch ihren Standort die Kaltluftschneisen nicht blockieren, sodass die kühlere Luft ungehindert in den Stadtkern fließen kann.
Wie kann man als Einzelperson zu einer hitzefreundlicheren Stadt beitragen?
Man kann auch als Einzelperson handeln, sagt der Experte. Man müsse dabei aber zwischen Mietern und Eigenheimbesitzenden unterscheiden. Besonders Eigenheimbesitzer und -besitzerinnen seien hier gefragt. Birkmann erklärt, dass diese Personen über eine Entsiegelung von Grundstückteilen nachdenken könnten. „Es gibt immer noch Häuser mit Schottergärten oder stark versiegelten Einfahrten. Hier könnte man als Einzelperson Änderungen vornehmen.“
Sinnvoll wäre ebenfalls eine Art Hitzepass für Gebäude, der für private Wohnungseigentümer und -eigentümerinnen sowie für Genossenschaften verpflichtend ist – ähnlich wie bei einem Energiepass. Man sollte beim Kauf oder Einzug in ein Gebäude wissen, wie dieses gegen Hitze geschützt ist. Der Professor für Stadtentwicklung und Raumplanung betont auch die Akzeptanz von Veränderungen: „Neben einzelnen Maßnahmen und Modellprojekten geht es aber vor allem um die Akzeptanz solcher Maßnahmen – da ist jeder Einzelne gefragt.“




