Wenn das Geld für Essen nicht reicht: Heilsarmee Stuttgart hilft Bedürftigen
Stuttgart. Am Sonntag, pünktlich um 11.30 Uhr düst ein roter Bus unter die König-Karls-Brücke in Stuttgart-Bad Cannstatt. Schon einige Minuten vorher hat sich eine Menschentraube versammelt. Der rote Bus kommt im Auftrag der Heilsarmee Stuttgart. Ehrenamtliche Helfer verteilen jeden Samstag und Sonntag Essen und Kleidung an Menschen, die es im Leben nicht leicht haben. Bereits seit 2020 ist die evangelische Freikirche hier im Einsatz.
Obdachlos mit Anfang 20: Das Leben in einer Notunterkunft
Minusgrade hat es an diesem Sonntag im Dezember noch nicht. Trotzdem mag man sich kaum vorstellen, dass Menschen bei diesen Temperaturen draußen schlafen müssen. Zwei unter ihnen, die sich in die Schlange eingereiht haben – 20 und 21 Jahre alt – mussten diese Erfahrung schon machen. Sie sind heute das erste Mal da, wie sie erzählen. „Wir wohnen seit zwei Tagen in einer Notunterkunft für Obdachlose.“ Dort haben sie über einen Flyer von der Essensausgabe erfahren. Der 21-Jährige erzählt, dass er mehrere Jahre auf der Straße gelebt hat. „Ich habe mich mit meinen Eltern nicht mehr verstanden. Sie haben mich nicht rausgeworfen, aber es hat einfach nicht geklappt und wir haben beschlossen, dass ich gehe.“
Ein Kumpel habe ihn dann „vor der Obdachlosigkeit gerettet“ und bei sich aufgenommen. Seine 20-jährige Begleiterin wurde vor zwei Monaten von ihren Eltern rausgeworfen. Auch sie ist zuletzt bei diesem Kumpel untergekommen. „Vor einer Woche mussten wir gehen, weil unser Freund psychisch krank geworden ist und es sehr viel Streit gab“. Bis sie in ihrer jetzigen Notunterkunft untergebracht wurden, haben sie ihr ganzes Hab und Gut, dass in sechs Taschen passt, gepackt und einige Nächte auf der Straße geschlafen - die ersten drei Nächte am Bahnhof, eine Nacht auf der Königstraße.
Notunterkunft für Obdachlose ist nichts „für Menschen mit schwachen Nerven“
Die Eva Stuttgart (Evangelische Gesellschaft Stuttgart e.V.) hat ihnen dann eine Notunterkunft als Zwischenlösung vermittelt. „Dort bekommt man Bett, Bettzeug und ein Dach über dem Kopf. Man lebt wie in einer Zelle“, erzählt der 21-Jährige. „Es ist nicht so sauber und man ist dort auf sich alleine gestellt“. Viele der Bewohner seien psychisch krank und nicht stabil. „Es ist die Hölle – für Menschen mit schwachen Nerven ist das nichts“, so der 21-Jährige. In ein paar Tagen haben sie noch mal ein Gespräch, wie sie erzählen. „Da wird dann geklärt, ob wir eine WG, eine Wohnung oder in eine Unterkunft mit Betreuung vom Staat bezahlt bekommen.“ „Wenn es Platz gibt, geht das relativ schnell. In anderen Unterkünften lebt man wie in einer Wohngemeinschaft zusammen, da ist es dann auch schön“, erklärt er.
In nur wenigen Minuten sind die Kisten mit frischem Gemüse ausgeladen und Tische mit Essen und warmen Getränken aufgebaut. Auch die Bedürftigen packen mit an. Für viele ist es ein fester Termin, man kennt sich untereinander, findet hier neben einer warmen Mahlzeit auch Gesellschaft und Gespräche. Oft sind es die gleichen Gesichter. Markus Piechot, Kapitän der Heilsarmee-Korps Stuttgart, begrüßt sie alle persönlich, spricht manche sogar mit dem Vornamen an und verteilt kleine Päckchen mit Süßigkeit. Gemeinsam mit seiner Frau Birgit Piechot organisiert er die Essensausgabe. „Für die Menschen ist es wichtig, zu wissen, dass immer jemand da ist“, sagt er.
Lebensmittel kommen von der Tafel
„Wir machen keine Sozialarbeit, wir sind eine Kirchengemeinde, die etwas für die Menschen am Rande der Gesellschaft machen und aktiv sein will“, betont Piechot. An diesem Tag seien vergleichsweise wenig da, wie er feststellt. „Gestern waren es um die 150.“ Durch den Ukraine-Krieg seien sehr viel mehr hinzugekommen.

Die Lebensmittel kommen von der Tafel – Reste, die man sonst übers Wochenende hätte wegschmeißen müssen. Neben frischem Gemüse und Salat gibt es auch eine warme Suppe und Getränke. Wenn Vesperkirche ist, pausiert die Essensausgabe. Ansonsten kommt der Bus das ganze Jahr bzw. immer dann, wenn es ihnen erlaubt ist. Ausnahmen seien zum Beispiel, wenn Festivals oder das Volksfest auf dem Wasen direkt nebenan stattfinden. Freitags wird in Zusammenarbeit mit der katholischen Kirchengemeinde Essen unter der Paulinenbrücke ausgegeben.
„Mir geht es gut, deswegen möchte ich etwas weitergeben“
Renate Kiss ist Mitglied bei „Target Hope“, eine Organisation, die Hilfsprojekte unterstützt und auch bei der Essensausgabe mithilft: „Man merkt, dass die Menschen total dankbar sind. Sie bedanken sich in verschiedenen Sprachen und das finde ich sehr schön. Mich beschäftigt es, wie schlecht es manchen Menschen geht. Mir geht es gut, deswegen möchte ich etwas weitergeben“, erzählt sie.
„Geld reicht kaum und ohne Essen ist es schwer zu überleben“
Eine Frau aus Mazedonien, die seit etwa 8 Jahren in Deutschland lebt, erzählt, dass sie jedes Wochenende hierherkommt. „Ich bin sehr froh, dass es die Essensausgabe gibt. Gott sei Dank hilft uns jemand. Ich bin arbeitslos, mein Mann bekommt nur eine kleine Rente. Das Geld reicht kaum und ohne Essen ist es schwer zu überleben.“ Neben ihr steht ein Paar, ebenfalls aus Mazedonien. Weil die beiden nicht so gut Deutsch sprechen, übersetzt sie. Die drei haben sich hier kennengelernt. Der Mann ist sehr krank und kann deshalb nicht arbeiten. Die drei nutzen auch andere Angebote der Heilsarmee, wie sie erzählen. So gibt es zum Beispiel einen Abendtreff, wo gemeinsam gevespert wird, jeden Donnerstag kann man sich beim " Café Connect" zum Kaffee treffen.

Man kann viel machen, um zu helfen
Britta, Lea, Noah, eine Familie aus Ludwigsburg hilft an diesem Sonntag zum ersten Mal mit. „Es ist toll zu sehen, wie die Menschen strahlen und sich freuen“, sagt Lea. „Die Essensausgabe ist christlich motiviert und auch ein Aspekt der Nächstenliebe. Das ist das, was wir vertreten und weitergeben wollen“, ergänzt Noah. „Die Menschen, die hierherkommen, erleben meist wenig Annahme. Viele können mit den Situationen, wie die Menschen leben, nicht umgehen. Man kann aber so viel machen, um ihnen zu helfen“, ist sich Britta sicher.