Stuttgart & Region

Wie ein Verein in Stuttgart für ökologischen Weinbau begeistern will

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Vereinsgründer Axel Musch in seinem Reich. Entstanden ist die ÖGN aus der Idee, einen kleinen Weinberg am Cannstatter Zuckerle zu bewirtschaften. © Danny Galm

Axel Musch und seine Mitstreiter vom Verein „Ökologische Gemeinschaft Naturwein“ wollen in Stuttgart für nachhaltigen Weinbau begeistern. Dabei bewirtschaftet der mittlerweile 70 Personen starke Zusammenschluss ein paar malerische, aber enorm arbeitsintensive Steillagen am Cannstatter Zuckerle in traumhafter Kulisse direkt über dem Neckar. Was hinter dem Projekt steckt und wie man sich beteiligen kann.

Von hier oben hat man eigentlich alles im Blick. Der Fernsehturm auf Degerlochs Höhen am Horizont, der Neckar unten im Tal und in der Ferne blitzt sogar die Kuppel der Grabkapelle auf dem Württemberg auf. Und wer die steilen Stufen in den Weinbergen unterhalb von Steinhaldenfeld nach oben gekraxelt ist, bekommt eine kleine Ahnung davon, was es bedeutet, hier Tausende Reben zu schneiden, zu pflegen und im Herbst dann zu lesen. Mit Maschinen kommt man hier nicht weit, hier ist alles Handarbeit. Axel Musch liebt genau das. Das Urtümliche, das Echte. Weshalb er und seine Mitstreiter die Begeisterung für das Winzer-Handwerk wecken wollen. Vor allem in der Steillage.

Warum der Weinbau in Württemberg kämpfen muss

Was manch einen überraschen mag: Der Weinbau in der Region muss kämpfen. Neue Absatzmärkte müssen gefunden werden und auch Nachwuchs in der Wengerter-Branche. Themen, die nicht nur Stuttgart und das Remstal betreffen. „Der Weinbau in Württemberg hat es gerade nicht leicht“, sagt Musch, der mit seinem Verein mittlerweile 1,3 Hektar am Cannstatter Zuckerle bewirtschaftet. „Für hiesige Verhältnisse ist das recht viel“, so Musch. Es gebe nur noch „wenige Ertragswinzer, die hier noch wirklich ihr Geld damit verdienen“.

Der Grund: Der Kunde zahle ungern den Mehraufwand, den ein Winzer durch die Plackerei in der Steillage hat. „Der Aufwand ist exorbitant“, sagt Musch: „Meiner Meinung nach müsste ein Steillagen-Wein zwei Euro mehr kosten als ein Wein, den du mit einem Traktor bearbeiten kannst.“

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Unten im Tal der Fluss, oben in der Steillage die Reben. © Danny Galm

Musch hat jahrelang beim Weingut der Stadt Stuttgart gearbeitet. Der studierte Agrarwissenschaftler hat dort eine Winzer-Ausbildung gemacht, aber nicht abgeschlossen, da ihm zu Beginn des dritten Lehrjahres eine Stelle im Bereich Event-Management und Marketing angeboten wurde. „Ich würde trotzdem von mir behaupten, dass ich ein versierter Winzer bin. Den Herausforderungen im täglichen Geschäft kann ich mich stellen.“ 2020 kam die Idee auf, einen eigenen Weinberg zu kaufen – 0,15 Hektar. Klein, aber sein. Schnell wurde ihm klar: Das schaffe ich nicht allein. Laubarbeiten, Pflanzenschutz, Unkraut jäten, Reben abbinden … Also wurde der Freundeskreis aktiviert. „Da waren viele fachfremde Leute dabei, die mir geholfen haben und da kam mir dann zum ersten Mal die Idee mit der ÖGN“, erzählt Musch auf der sonnigen Terrasse mitten im Weinberg.

Das sind die drei Säulen der ÖGN

ÖGN steht für „Ökologische Gemeinschaft Naturwein“. Aus Marketing-Sicht natürlich etwas sperrig, aber halt treffend. „Es geht darum, den Leuten den Weinbau nahezubringen, es selbst zu machen und es biologisch zu machen“, erläutert Musch. Die drei Säulen der ÖGN. 2021 war das Pilotjahr, im April 2022 folgte die Vereinsgründung. Mittlerweile hat der Verein sieben Weinberge. Fünf davon sind in Mitgliederhand. 70 Mitglieder sind es aktuell. „Es ist alles auf ehrenamtlicher Basis. Wir sind schließlich ein Verein. Du kannst helfen, musst aber auch nicht.“

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Axel Musch hat jahrelang beim Weingut der Stadt Stuttgart gearbeitet. © Danny Galm

Der Mitgliedsbeitrag beläuft sich auf 365 Euro pro Jahr. Seinen Ernteanteil – im vergangenen Jahr waren es rund 40 Flaschen pro Mitglied – kann man sich als eine Art Aufwandsentschädigung erarbeiten. Dafür muss man im Jahr grob 24 Stunden mithelfen. Aktuell gibt es etwa alle 14 Tage einen Arbeitseinsatz, der via App organisiert wird. In der Hochphase steht dann wöchentlich Arbeit im Wengert an. Und interessierte Laien brauchen keine Berührungsängste zu haben: Vieles sei simples „Learning by doing“. Das jüngste Mitglied ist 15 Jahre alt, das älteste feierte unlängst 80. Geburtstag.

Die Übermenge des produzierten Weins wird später an eine Kellerei abgegeben. Verkaufen darf die ÖGN ihren Wein nämlich nicht. „Wir sind ein gemeinnütziger Verein, der Naturschutz betreibt“, erklärt Musch, „wir betreiben keinen Weinbau. Das wäre ein Problem mit der Gemeinnützigkeit.“ Für viele Mitglieder sei die Menge des produzierten Weins ohnehin zweitrangig. „Darum geht es uns ja nicht“, sagt Musch.

Ein Vorbild für die ÖGN sei eine solidarische Landwirtschaft von Jan-Philipp Bleeke an der Mosel gewesen (mehr zur „SoLaWino“: https://jpbwinemaking.com/cs-vino/). Ein ähnliches Projekt in Stuttgart gibt es mit der „Weinfrequenz“ von Florian Wachter (weitere Infos: https://www.weinfrequenz.com/). „Alle haben die Idee, den Weinberg erlebbarer zu machen“, sagt Musch. Sie seien mit der ÖGN indes die Einzigen, die das Ganze als „Non-Profit-Projekt“ betreiben, „im Sinne der Gemeinnützigkeit“.

So sieht ein normaler Arbeitseinsatz bei der ÖGN in Stuttgart aus

Ein normaler ÖGN-Arbeitseinsatz – Ausnahme natürlich die zeitintensive Lese-Zeit - startet um 9 Uhr am Morgen und ist in der Regel um 13 Uhr zu Ende. „Und dann gibt’s Vesper“, lacht Musch. Auch das gehört schließlich zu einem richtigen Vereinsleben. Das Gemeinschaftsgefühl. „Viele Leute suchen sich diesen Ausgleich und kommen am Wochenende gerne her.“ Dabei bringen die meisten neuen Vereinsmitglieder keinerlei Vorerfahrungen mit. „Alle konsumieren Wein“ sagt Musch, „und viele wollen wissen, wo kommt mein Wein her und wie wird er produziert.“

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Im Weinberg gibt es immer was zu tun. © Danny Galm

Wer ein Jahr im Weinberg gearbeitet hat, bekommt ein Gefühl dafür, wie viele Arbeitsstunden in einem Viertele stecken. Von der Rebe bis in die Flasche ist es ein langer Weg. Und genau diesen Prozess kennenzulernen und besser zu verstehen, hat sich die ÖGN zum Ziel gesetzt. Langfristig will man zudem echten Naturwein herstellen. „Oder besser gesagt: naturbelassene Weine“, sagt Musch. Das bedeutet: „Im Weinberg wird biologisch oder biodynamisch erzeugt. Und im Keller wird anschließend versucht, so viel wie möglich wegzulassen.“ Heute könne man selbst aus dem schlimmsten Traubenmaterial noch einen trinkbaren Wein machen. Es gebe „einen ganzen Katalog von Schönung, über Filtration bis Power-Hefen“.  

Und auch bei der ÖGN muss aktuell noch ein bisschen in die Trickkiste gegriffen werden, um beispielsweise einen Rosé zu produzieren. Aber der junge Verein aus Stuttgart steht ja gerade erst am Anfang. „Wir wollen in Zukunft auf sogenannte Piwi-Sorten, also pilzwiderstandsfähige Reben, umstellen“, blickt Musch voraus.

Wo selbst bei der ÖGN die Weinberg-Romantik aufhört

Dieses Projekt startet jetzt. „Gerade beim Pflanzenschutz hört die Weinberg-Romantik dann endgültig auf“, warnt Musch. Warum? Im Hochsommer müssten in langen Klamotten Schwefel- und Kupfer-Präparate ausgebracht werden– „und das stinkt dann eben nach faulen Eiern“. Hunderte Meter Schlauch müssen die Steillagen nach oben geschleppt werden, um dann jede Rebe zu benetzen.

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Viel Grün, kein Glyphosat. Bei der ÖGN soll alles sauber bleiben. © Danny Galm

Dabei glauben viele, dass biologisch erzeugte Lebensmittel gar keinen Pflanzenschutz benötigen. „Das ist aber falsch“, sagt der studierte Agrarwissenschaftler, „biologisch erzeugte Lebensmittel brauchen sogar mehr Pflanzenschutz, da die eingesetzten Mittel nicht so lange wirken. Deshalb müssen sie ständig erneuert werden. Man kann nur protektiv arbeiten.“ Man habe das Ziel, „die Biodiversität zu erhalten“. Insektenschutz-Mittel kommen dementsprechend in den ÖGN-Weinbergen überhaupt nicht zum Einsatz.

Und wer jetzt Lust bekommen hat, genau diese vielfältige, fordernde und erfüllende Arbeit im Weinberg kennenzulernen, der ist bei der ÖGN in besten Händen.

Wie kann ich Mitglied bei der ÖGN werden?

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