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Wie Forschende aus Stuttgart vor Irland eine neue Fischart entdeckt haben

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Der Wissenschaftler Bram Couperus vom WMR bei den Vorbereitungen für die „Blauer Wittling-Erhebung“ 2022. Im Hintergrund der St. Michael’s Mount in der Nähe von Penzance in Cornwall. © Ton Meijer

Forschende des Naturkundemuseums Stuttgart haben in Zusammenarbeit mit dem Wageningen Marine Research (WMR) aus den Niederlanden eine neue Fischart entdeckt. Was auf den ersten Blick banal klingt, ist bei näherer Betrachtung ein höchst seltenes Ereignis. Über eine besondere Entdeckung vor der irischen Küste.

Das ist die Neuentdeckung: Der große kleine Fisch

Fünf Zentimeter lang ist der kleine Kerl. Microichthys grandis, wörtlich großer kleiner Fisch, heißt er ab sofort. Und sieht so aus:

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Die neu entdeckte Fischart Microichthys grandis, wörtlich übersetzt der große kleine Fisch.

© Bram Couperus

Das Team aus Stuttgart und des WMR haben ihn im vergangenen Jahr im Rahmen einer Erhebung über den Blauen Wittling, eine Dorschart, entdeckt. Diese Untersuchung wird jährlich durchgeführt, um die Bestände des Blauen Wittlings zu bewerten und Fangempfehlungen auf europäischer Ebene festzulegen. Der Fund wurde nun in der Fachzeitschrift "Ichthyological Research" veröffentlicht, wie das Naturkundemuseum am Donnerstag (13.04.) mitteilte.

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Das niederländische Fischereiforschungsschiff „Tridens“, mit dem die Forschenden um Bram Couperus die „Blauer-Wittling-Erhebung“ durchführen. © Bram Couperus

„Ein sehr seltenes Ereignis“

„Eine neue Fischart im Nordostatlantik zu entdecken, ist ein sehr seltenes Ereignis“, sagt der Forscher Bram Couperus vom WMR. „In der Geschichte unseres Instituts, das in den 1950er Jahren gegründet wurde, hat es das noch nicht gegeben.“ Der Fisch wurde in einem Gebiet gefangen, in dem viel gefischt wird, vor allem von niederländischen Fischern. „Man würde daher erwarten, dass die Art schon einmal gefangen wurde. Wenn das der Fall ist, ist sie zumindest bis zum letzten Jahr unbemerkt geblieben“, sagt Couperus.

Der Blaue Wittling lebt in der Tiefsee, genauer gesagt in der sogenannten mesopelagischen oder Zwielichtzone. „In dieser Tiefe findet man auffällige Arten, wie Laternenfische und Tiefsee-Anglerfische. Unter diesen befand sich plötzlich ein unbekannter Fisch“, so Couperus. Und um die Identität des Unbekannten zu klären, kam nun das Team vom Stuttgarter Rosensteinmuseum ins Spiel.

Der Fischexperte aus Stuttgart kommt ins Spiel

Dort arbeitet der Fischexperte Ronald Fricke. „Tiefseekardinalfische der Gattung Microichthys sind von drei weiteren Arten bekannt, die im Mittelmeer und im Ostatlantik leben“, sagt Fricke.

Sie leben demnach freischwimmend in tiefen Gewässern und nur wenige Exemplare sind der Wissenschaft bekannt. „Die Entdeckung der neuen Art vor Irland ist für uns sehr aufregend, denn sie scheint näher mit einer Mittelmeerart aus Sizilien verwandt zu sein, als mit den anderen atlantischen Arten von den Azoren“, so der Stuttgarter Fachmann.

Warum die Fischart so lange unentdeckt geblieben ist

Fricke stellt außerdem eine Theorie zur Zoogeographie der Art auf: „Derzeit gibt es zwei Artenpaare, eines im Atlantik, das andere im Mittelmeer. Während der Salinitätskrise im Mittelmeer vor etwa 6 Millionen Jahren war das Mittelmeer trocken und konnte nicht von Fischen besiedelt werden, so dass ein Artenpaar im Atlantik überlebte. Als sich die Straße von Gibraltar wieder öffnete, wanderten sie in das Mittelmeer ein, aber aufgrund des viel wärmeren Tiefseewassers im Mittelmeer passten sie sich an diese Bedingungen an und entwickelten sich zu zwei eigenen Arten."

Ein Grund dafür, dass der Fisch bisher nicht bemerkt wurde, ist sicherlich, dass er nur rund 5 Zentimeter groß ist. Somit kann er leicht durch die Maschen eines Netzes schlüpfen oder beim Fangen übersehen werden. Die bisher bekannten Arten dieser Fischgruppe sind sogar noch kleiner als das gefangene Exemplar.

Der lateinische Name dieser Gattung lautet daher Microichthys, was so viel wie kleiner Fisch bedeutet. Die neue Art erhält den Zusatz grandis. Damit lautet ihr vollständiger Name Microichthys grandis, wörtlich also großer kleiner Fisch.

Wo lebt der große kleine Fisch

Der große kleine Fisch wurde im Porcupine Bank Canyon gefangen, einer Unterwasserschlucht mit Kaltwasserkorallen entlang des westlichen Rands der Porcupine Bank.

Die von den Forschenden angewandte Fangtechnik umfasste keine Bodenschleppnetze. Dies liegt daran, dass der Blaue Wittling eine so genannte „pelagische Art“ ist. Diese schwimmt in Schwärmen im offenen Wasser und nicht in der Nähe des Meeresbodens. Fischerboote, die in diesem Gebiet fischen, verwenden ebenfalls ein pelagisches Netz.

Die Forschenden vermuten, dass die neu entdeckte Art von Natur aus sehr selten ist. Außerdem ist sie so klein, dass sie normalerweise durch die Maschen des Netzes hindurchgleitet, was die Fangchancen sehr gering macht. Und die Entdeckung zu einem ganz besonderen Ereignis.

Originalpublikation

  • Fricke, R., Couperus, B. Microichthys grandis, a new species of deepwater cardinalfish from off Ireland, northeastern Atlantic Ocean (Teleostei: Epigonidae). Ichthyol Res (2023).
  • DOI: https://doi.org/10.1007/s10228-023-00909-1
  • Veröffentlicht: 13.04.2023

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