"Wir missionieren nicht": Was macht die Flughafenseelsorge in Stuttgart?
Kommt man mit der S-Bahn in der Eingangshalle des Stuttgarter Flughafens an, steht man direkt vor einem Counter der Flughafenseelsorge mit der Aufschrift „Kirchliche Dienste“. Einige der Passagiere, die hier vorbeikommen, fragen banale Dinge wie nach dem Weg zur nächsten Toilette, andere suchen Unterstützung. Wo Menschen auf der Durchreise sind und Mitarbeiter Hilfe und Begleitung benötigen, kommt die Flughafen- und Messeseelsorge Stuttgart zum Einsatz. Aber was gehört eigentlich zu ihrer täglichen Arbeit? Wir haben mit den Leitern des Teams gesprochen.
Einsätze der Flughafen- und Messeseelsorge Stuttgart 2022
Über 30 Ehrenamtliche arbeiten bei der Flughafen- und Messeseelsorge Stuttgart. Geleitet wird das Team von Matthias Hiller (Evangelische Landeskirche) und Mechthild Foldenauer (Diözese Rottenburg Stuttgart). Beide sind ausgebildete Notfallseelsorger. Die Flughafen- und Messeseelsorge ist ökumenisch aufgestellt. In einem durchschnittlichen Jahr sind etwa acht Millionen Passagiere auf dem Stuttgarter Flughafen unterwegs. Insgesamt 10.000 Beschäftigte arbeiten hier. „Der Flughafen ist wie eine kleine Stadt“, sagt Foldenauer. Wie wichtig die Aufgabe der Flughafenseelsorge ist, beweisen auch die Zahlen: Im Jahr 2022 half die Flughafenseelsorge in etwa 9000 Fällen. Außerdem gab es 800 größere Einsätze. Dazu zählen Gespräche, die über drei Minuten andauern und Betreuung erfordern. Zusätzlich haben etwa 180 Fälle eine mehrtägige Begleitung verlangt.
Die Flughafenseelsorge kümmert sich um Reisende, Durchreisende, Abholer, Mitarbeiter, Betriebsräte und Geschäftsführer sowie um Einsatzkräfte wie die Bundespolizei. „Unser übergeordnetes Ziel ist zum einen, so menschenfreundlich wie möglich zu sein und zum anderen, die Zivilgesellschaft unterstützend zu beraten“, fasst Hiller zusammen. Dabei werden alle Menschen gleich behandelt - Religion und Herkunft spielen keine Rolle.
Betriebsseelsorge: Konflikte zwischen Mitarbeitenden lösen
Das Team fungiert auch als Betriebsseelsorge. Sie lösen Konflikte zwischen Mitarbeitenden und vermitteln. „Wir sind Teil des Systems Flughafen, aber niemals auf einer Seite“, betont Hiller. Weil die meisten ihre Arbeit nicht einfach verlassen können, hält das Team die Kommunikation durch tägliche Rundgänge aufrecht. „Die Mitarbeiter bauen im Laufe der Zeit Vertrauen auf“, weiß Foldenauer, die erst das zweite Jahr dabei ist: „Ich habe gemerkt, dass meine Arbeit im ersten Jahr mittlerweile Früchte getragen hat“. Am Anfang seien viele noch skeptisch gewesen und haben gedacht, die Seelsorger kommen nur, um zu beten. „Uns ist es wichtig zu sagen, dass wir nicht missionieren.“
In diesem Jahr gab es außerdem zwei Todesfälle in der Belegschaft. „Wir haben eine Trauerfeier veranstaltet und für die Mitarbeiter ein offenes Ohr, wenn sie reden oder Fragen stellen möchten“, so Foldenauer.
Was viele nicht wissen: Direkt neben dem Büro der Flughafenseelsorge, gibt es auch eine kleine Kapelle, die für alle Religionsgemeinschaften rund um die Uhr offensteht. Einmal in der Woche wird ein Mittagsgebet abgehalten. Hier finden auch kleine Aussegnungen statt. Die Flughafenseelsorge begleitet auch, wenn jemand auf einer Reise stirbt. Denn: „Auch im Flughafen sterben Menschen“, sagt Hiller.
Medizinische Notlandungen sind vor allem für Angehörige erschütternd
Was tatsächlich ziemlich häufig vorkomme, sind medizinische Notlandungen, wie Hiller erzählt: „Wenn ein Passagier sofortige medizinische Hilfe benötigt, muss der nächstgelegene Flughafen angeflogen werden.“ Das sei für Angehörige sehr erschütternd. „Dabei stehen wir vor allem Mitreisenden zur Seite und halten den Einsatzkräften den Rücken frei“, sagt Hiller. Vor einigen Monaten zum Beispiel musste ein Mann mitten im Terminal wiederbelebt werden. Während die Rettungskräfte versucht haben ein Leben zu retten, haben sich die Seelsorger um seine Frau gekümmert. Zum Glück sei in diesem Fall alles gut ausgegangen.
Auch andere Einsätze sind dem Team besonders im Gedächtnis geblieben: Die Schülergruppen aus Baden-Württemberg, die nach dem Hamas-Angriff aus Israel zurückgekehrt sind, wurden am Flughafen Stuttgart empfangen. Die Seelsorger standen den sorgenden Eltern bei, welche in einer separaten Ankunftshalle auf ihre Kinder warteten, um vor der Öffentlichkeit abgeschirmt zu sein.
Ein anderer Fall: Während der Flüchtlingskrise 2015 wurden in der Landesmesse Betten für die Menschen aufgestellt. "Die Flughafenseelsorge war vor Ort, um beispielsweise Kindern abends Geschichten vorzulesen", erzählt Hiller.
Ticketkauf und Sprachbarrieren: Flughafenseelsorge unterstützt bei der Weiterreise
Der Flughafen hat rund um die Uhr geöffnet und manchmal nutzen auch Obdachlose den Flughafen als Übernachtungsmöglichkeit. Auch hier kann es sein, dass die Flughafenseelsorge zur Hilfe hinzugezogen wird. „Der Flughafen übt zwar das Hausrecht aus, es wird allerdings niemand rausgeworfen, wenn es Minusgrade hat“, so Foldenauer. Zum Problem werde das erst, wenn sich jemand anderen gegenüber unangenehm verhält.
Hilfe benötigen Passagiere auch immer wieder bei der Weiterreise. So zum Beispiel beim Ticketkauf am S-Bahn-Schalter, wenn gestreikt wird oder Sprachbarrieren die Weiterreise erschweren. Ein großer Teil der Hilfesuchenden seien dabei Arbeitsmigranten, wie zum Beispiel Erntehelfer. „Wir sind auf dem Gelände viel unterwegs, schauen nach dem Rechten oder wo akut Hilfe benötigt, wird“, erzählt Foldenauer.
Vermittlung von Hilfsangeboten rund um Stuttgart
Je nach Bedarf gibt es eine Dusche, Essen oder die Möglichkeit zu telefonieren. Ansonsten vermitteln die Ehrenamtlichen an verschiedene Hilfsangebote oder agieren beratend. Hilfsangebote und Kontakte zu Behörden rund um Stuttgart, mit denen die Flughafen- und Messeseelsorge kooperiert, sind in einem dicken Ordner gesammelt. „Wir wissen nie, was die dringendsten Bedürfnisse der Menschen sind. Deswegen ist es für uns wichtig, immer erst zu fragen und nicht einfach unsere Sichtweise durchzusetzen“, so Hiller.
Und was ist, wenn ein Passagier Flugangst hat? „Das kommt relativ selten vor, aber eine Dame habe ich sogar schon einmal bis ins Flugzeug begleitet“, erzählt Hiller.