VfB Stuttgart

0:1 im Hexenkessel: Warum sich der VfB an Fenerbahce die Zähne ausgebissen hat

Europa League Fenerbahce Istanbul vs. VfB Stuttgart
Der VfB Stuttgart stemmte sich gegen den Lärm von Istanbul, doch Fenerbahce war an diesem Abend reifer und abgeklärter. © Michael Treutner

Istanbul. Es gibt Fußballspiele, die sind weniger Begegnungen als Bewährungsproben. Fenerbahce Istanbul gegen den VfB Stuttgart war so eines. 45.000 Menschen im Şükrü-Saracoğlu-Stadion, ein Lärm, der selbst die Luft zum Zittern brachte, und mittendrin in diesem fulminanten Hexenkessel eine Mannschaft aus Stuttgart, die zeigen wollte, dass sie auf europäischem Parkett mehr kann als nur mitspielen. Am Ende stand allerdings eine knappe 0:1-Niederlage in der Europa League – warum die Schwaben leer ausgegangen sind, lesen Sie hier.

VfB-Trainer Sebastian Hoeneß hatte vor dem Anpfiff die Stichworte geliefert: „Mutig spielen, Kontrolle übernehmen, die Fans ein bisschen rausnehmen.“ Das war der Versuch, gegen Fenerbahce nicht das Drama zuzulassen, sondern das Drehbuch selbst zu schreiben. Und so gab es zwei Veränderungen gegenüber dem 3:0 gegen Wolfsburg: Atakan Karazor, der Ruhepol, kam für den jungen Chema Andres, und vorne durfte Badredine Bouanani für Nikolas Nartey beginnen. Doch schon in den ersten Minuten zeigte sich, dass Kontrolle in Istanbul kein Zustand ist, sondern ein flüchtiger Moment. Der VfB bemühte sich um Ruhe, spielte quer und sicher, doch Fener presste, lief, schrie – und das Publikum brüllte jeden Ballgewinn zu einer Nationalfeier hoch. Die Stuttgarter hielten dagegen, mit Körper, mit Nerven, und überstanden die Anfangsphase ohne Schaden. Das war das erste Zwischenziel: nicht implodieren.

Der Rückschlag: Ein Elfmeter, der alles verändert

Nach 30 Minuten dann die Szene, die das Spiel kippte. Eine Fener-Ecke, viele Arme, viel Körperkontakt – und Angelo Stiller, der Milan Skriniar zu Boden brachte. Der dänische Schiedsrichter Jakob Kehlet zögerte nicht lange: Elfmeter. Hart, aber vertretbar. Kerem Aktürkoglu trat an, verlud Nübel, und das Stadion bebte, als hätte jemand das Dach losgeschraubt. Bis dahin war es ein weitgehend ausgeglichenes Spiel gewesen. Der VfB hatte die beste Chance durch Jaquez (26.), dessen Kopfball knapp vorbeirauschte, Mittelstädt prüfte den Keeper – doch vorne fehlte die letzte Präzision. Und so stand der VfB plötzlich hinten, in einem Spiel, das keinen Fehler verzieh. Hoeneß gestikulierte, forderte Ruhe – aber Ruhe gibt es in Istanbul nicht. Fener roch Blut, Stuttgart wirkte kurz verunsichert, verlor den Ball zu schnell, rannte den eigenen Linien hinterher. Trotzdem: kein Einbruch, keine Auflösung. Nur das Ergebnis blieb, was es war – ein Rückstand.

Nach der Pause kam der VfB besser ins Spiel, mit mehr Ballbesitz, aber weiterhin ohne Durchschlagskraft. Bouanani blieb blass, wurde von Hoeneß nach einer Stunde durch Deniz Undav ersetzt. Fast im Gegenzug drohte das 0:2: Jaquez foulte Nene im Strafraum, wieder Elfmeter – doch diesmal rettete der VAR, der eine Abseitsstellung erkannte. Glück für Stuttgart, das inzwischen alles in die Waagschale warf. Dann, in der 66. Minute, der Moment, der den Abend hätte drehen können: Alvarez trifft Stiller im Strafraum, Schiedsrichter Kehlet zeigt auf den Punkt. Doch erneut greift der VAR ein – kein Elfmeter, weil der Kontakt erst nach dem Abschluss erfolgt. Regeltechnisch korrekt, emotional bitter.

Kampf statt Klasse in Istanbul

Danach wurde das Spiel zäher, härter, lauter. Fener verteidigte die Führung mit jener Abgebrühtheit, die Mannschaften auszeichnet, die an solche Nächte gewöhnt sind. Der VfB suchte weiter nach Lösungen, doch die letzte Linie blieb dicht. In der 82. Minute hatte Undav die große Chance – El Khannouss legte quer, Undav schob vorbei. Symbolisch für den Abend: viel Wille, wenig Fortune.

Am Ende stand ein 0:1. Der VfB war dran, aber nie wirklich gefährlich. Er hatte das Spiel verstanden, aber nicht entschieden. In der Bilanz wird es als Niederlage geführt, in der Entwicklung vielleicht als Fortschritt. Denn die Mannschaft von Sebastian Hoeneß zeigte, dass sie gewachsen ist. Sie ließ sich nicht einschüchtern, sie spielte mit, sie hielt dagegen. Aber sie lernte auch, dass in Europa nicht Talent entscheidet, sondern Timing, nicht Mut, sondern Reife. Fenerbahce war an diesem Abend das reifere Team – abgeklärter, abgezockter, lauter. Der VfB war der Herausforderer, neugierig, ehrgeizig, aber noch nicht so weit, um im Hexenkessel von Istanbul zu gewinnen.

Fenerbahce Istanbul - VfB Stuttgart 1:0 (1:0)

Fenerbahce Istanbul: Ederson - Semedo, Skriniar, Oosterwolde, Brown - Alvarez, Yüksek, Asensio (82. Szymanski) - Nene (80. Aydin), En-Nesyri (87. Durán), Aktürkoglu (87. Talisca)

VfB Stuttgart: Nübel - Assignon, Jaquez (86. Jeltsch), Chabot, Hendriks (77. Leweling) - Karazor (77. Nartey), Stiller - Bouanani (63. Undav), Tiago Tomás (86. Führich), Mittelstädt - El Khannouss

Schiedsrichter: Jakob Kehlet (Dänemark)

Zuschauer: 45.000

Tore: 1:0 Aktürkoglu (34./Foulelfmeter)

Gelbe Karten: E. Alvarez (1), Semedo (1), Oosterwolde (1), Skriniar (1), Durán (1), Yüksek (1) / El Khannouss (1), Stiller (1), Undav (1)

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