Der 20. Elfmeter bringt die Entscheidung: VfB gewinnt Spektakel in Braunschweig
Braunschweig. Es gibt diese Pokalspiele, die man nicht vergisst. Nicht, weil sie fußballerisch brillant wären, sondern weil sie ausufern, sich immer weiter aufschaukeln und irgendwann in ein absurdes Spektakel kippen. Ein solches erlebte der VfB Stuttgart, der Titelverteidiger im DFB-Pokal, am Dienstagabend (26.08.) in der ersten Runde beim Zweitligisten Eintracht Braunschweig. 4:4 nach 120 Minuten, 11:10 nach Elfmeterschießen, der 20. Versuch brachte die Entscheidung. Letztlich war es Assignon, der Neuzugang, der die Nerven behielt. Und Keeper Alexander Nübel, der sich nach einer schwachen Partie doch noch zum Helden aufschwang.
VfB-Trainer Sebastian Hoeneß hatte seine Mannschaft im Vergleich zum misslungenen Bundesliga-Start in Berlin auf gleich fünf Positionen verändert. Verletzungen zwangen ihn dazu, aber nicht nur. Luca Jaquez (Nasenbeinbruch) und Jeff Chabot (Adduktoren) wurden durch die jungen Jeltsch und Hendriks ersetzt, dazu erhielten Assignon, Führich und Tiago Tomás ihre Chance. Es war mehr als nur Rotation, es war auch eine Botschaft: Nach den Niederlagen im Supercup gegen Bayern und in der Liga bei Union Berlin war klar, dass der VfB einen anderen Auftritt brauchte.
„Wir sind der Titelverteidiger, das wollen wir so lang wie möglich bleiben“, hatte Hoeneß vor dem Anpfiff gesagt. Und er hatte noch etwas hinzugefügt: „Wir müssen kaltschnäuziger sein.“ Es sollte sich als Mahnung erweisen, die seine Spieler schneller vergaßen, als ihrem Trainer lieb sein konnte.
Nübel patzt, Stuttgart wankt
Denn kaum war das Spiel in Fahrt, lag der VfB schon hinten. Sven Köhler, Braunschweigs Kapitän, zog aus 30 Metern ab, Alexander Nübel sah den Ball kommen, hatte die Hände dran – und ließ ihn ins Tor rutschen. Ein Fehler, so simpel wie folgenschwer. Er passte zu einem Auftakt, in dem Stuttgart erneut alles andere als wach war.
Zum Glück gibt es Demirovic. Der Stürmer glich wenig später per Kopf aus, und eigentlich hätte der Favorit nun Ruhe und Kontrolle finden müssen. Doch das Gegenteil trat ein. Braunschweig presste mutig, störte das Zentrum, gewann die zweiten Bälle – und Stuttgart mühte sich. Die rechte Seite mit Assignon und Tiago Tomás war faktisch lahmgelegt, und so lief alles über die linke Flanke mit Mittelstädt und Führich. Hoeneß stand gestikulierend in seiner Coaching-Zone, aber seine Mannschaft verlor weiter den Ball, wenn es gefährlich wurde.
Ein Spiel ohne Ordnung
Die zweite Halbzeit begann, wie die erste geendet hatte: Stuttgart schwamm, Braunschweig rannte. Erst nach einer Stunde stellte Demirovic mit seinem zweiten Tor das 2:1 her. Es schien, als ob der Favorit den Weg gefunden hätte, doch es war nur ein Trugschluss. Di Michele Sanchez traf für Braunschweig zweimal, zum 2:2 und zum 3:2, und plötzlich stand Stuttgart kurz vor dem Aus. Es brauchte den Joker Woltemade, der in der 89. Minute das 3:3 erzwang. In der Nachspielzeit hatte Demirovic die Entscheidung auf dem Fuß, schoss aber aus acht Metern vorbei. Es passte ins Bild: Der VfB konnte sich Chancen erspielen, aber nicht das Spiel aneignen.
Der Wahnsinn nimmt seinen Lauf: Verlängerung, Regen, Elfmeterschießen
Die Verlängerung begann kurios: Ein Eigentor brachte Stuttgart das 4:3, Braunschweig antwortete durch Conteh mit dem 4:4. Es war längst ein Abend, in dem die Ordnung keine Rolle mehr spielte. Braunschweig traf die Latte, Nübel rettete einmal großartig, Stuttgart drängte, fiel aber immer wieder in alte Muster: zu ungenau, zu unkonzentriert.
So kam es, wie es im Pokal fast immer kommt, wenn es dramatisch werden soll: zum Elfmeterschießen. Und pünktlich zum ersten Schuss setzte der Regen ein. Nübel hielt zunächst zwei Elfmeter, Stuttgart verschoss seinerseits zwei. Nach fünf Schützen stand es 2:2, nach zehn 9:9. Es war das Elfmeterschießen, das nicht enden wollte. Bis zum 19. Versuch: Nübel hielt gegen Frenkert. Und dann war da Assignon, der Neuzugang, der seine vielleicht wichtigste Aktion im VfB-Trikot hatte: Er traf zum 11:10.
Der Titelverteidiger lebt – aber wankt
Der VfB Stuttgart hat den Auftakt überstanden, er hat eine Blamage vermieden, er ist in Runde zwei. Alles andere aber bleibt fraglich. Die Defensive wirkt löchrig, die Offensive fahrig, die Ballkontrolle lückenhaft. Es war ein Abend, der zeigte, dass dieser Titelverteidiger noch sehr viel Arbeit vor sich hat. Am Samstag wartet Borussia Mönchengladbach in der Bundesliga, am Sonntag wird die zweite Pokalrunde ausgelost. Der Titelverteidiger ist weiter, ja. Aber er weiß jetzt, dass der Weg dorthin ein sehr langer werden kann.
Eintracht Braunschweig - VfB Stuttgart 7:8 i.E. (1:1,3:3,4:4)
Eintracht Braunschweig: Hoffmann - Ehlers, Frenkert, Breunig (63. C. Conteh) - Aydin, Köhler (90. Polter), Marie, Di Michele Sanchez (95. Bell Bell) - Gómez, Heußer (73. Ba) - Yardimci (63. Szabó)
VfB Stuttgart: Nübel - Assignon, Jeltsch (115. Zagadou), Hendriks, Mittelstädt - Karazor, Stiller (96. Andrés) - Tiago Tomás (96. Vagnoman), Undav (71. Woltemade), Führich (71. Leweling) - Demirovic
Schiedsrichter: Florian Exner (Münster)
Zuschauer: 20.865
Tore: 1:0 Köhler (8.), 1:1 Demirovic (12.), 1:2 Demirovic (60.), 2:2 Di Michele Sanchez (77.), 3:2 Di Michele Sanchez (85.), 3:3 Woltemade (89.), 3:4 Ba (92./Eigentor), 4:4 C. Conteh (105.)
Elfmeterschießen: 1:0 Szabó, 1:1 Woltemade, Nübel hält von Gómez, 1:2 Mittelstädt, Nübel hält von Marie, Hoffmann hält von Andrés, 2:2 Aydin, Zagadou verschießt, 3:2 Polter, 3:3 Leweling, 4:3 Bell Bell, 4:4 Demirovic, 5:4 Ba, 5:5 Hendriks, 6:5 Ehlers, 6:6 Vagnoman, 7:6 C. Conteh, 7:7 Karazor, Nübel hält von Frenkert, 7:8 Assignon
Gelbe Karten: Köhler (1), Frenkert (1), C. Conteh (1) / Hendriks (1), Karazor (1), Jeltsch (1), Assignon (1), Leweling (1)