Fans vs. Politik: Wie sicher ist es im Stadion? Die Frage ist längst beantwortet
Stuttgart/Bremen. Borussia Dortmund, St. Pauli, HSV, VfB Stuttgart – Fans verschiedenster Lager protestieren gegen neue Sicherheitsmaßnahmen in den Stadien. Pyrotechnik, personalisierte Tickets, zentrale Verbotskommissionen: Wer entscheidet über Sicherheit – Politik oder Fußball? Und wie bleiben die Stadien Orte von Leidenschaft und Freiheit? Ein Blick auf die hitzige Debatte, die in Bremen bei der Innenministerkonferenz auf dem Tisch liegt.
Am Anfang steht die Stille. Minutenlang, als hätte jemand die Stecker gezogen. Fanlager, die einander eher misstrauen, als gemeinsam etwas zu beschwören, sie schweigen Seite an Seite. Nicht aus Müdigkeit, sondern als Vorspiel zu einem Satz, der in vielen Stadien hochgehalten wird wie ein kleines Grundgesetz: „Populismus stoppen!“ Unlängst zu beobachten auch beim Auswärtsspiel des VfB Stuttgart in Dortmund. Eine Woche später in Hamburg lief die Stuttgarter Fanszene vor dem Spiel gegen den HSV vom Gästebereich bis zur heimischen Nordkurve – um dort an einer Kundgebung der vermeintlichen Kontrahenten zu eben jenem Thema teilzunehmen. Vor der Fankurve des HSV ergriffen gar Vertreter der Cannstatter Kurve das Wort auf dem Podium.
Stille, die lauter ist als jeder Pfeifkonzert-Protest
Gemeinsam für Interessen, die die Fans einen. Über unterschiedliche Farben und Rivalitäten hinweg. Es ist diese verblüffende Allianz, die in diesen Tagen den Innenministern in Bremen gegenübersteht. Dort soll die Innenministerkonferenz über härtere Sicherheitsmaßnahmen beraten – und auch darüber, ob Fußballstadien künftig weniger Orte der Leidenschaft als Räume der Kontrolle sein sollen. Der Fußball reagiert darauf mit seinem erstaunlichsten Mittel: einer Stille, die lauter ist als jeder Pfeifkonzert-Protest.
Der aktuelle Konflikt begann im Oktober 2024, als Vertreter der Sportministerkonferenz und der Fußballverbände zusammenfanden. Das Ergebnis: eine Aufgabenliste, die fast nach einem Generalumbau klang – mehr Sicherheit, mehr Überwachung, mehr Struktur. Seitdem arbeitet eine Arbeitsgruppe mit dem majestätischen Namen „Bund-Länder-offene-Arbeitsgruppe“ (BLoAG) an Vorschlägen, die nun in Bremen auf dem Tisch liegen. Und die Fans, sonst ein mitunter chaotischer Vielklang, haben sich sortiert.
Im Zentrum des Zorns stehen drei Punkte: eine mögliche zentrale Stadionverbotskommission, die Stadionverbote schon dann ermöglichen könnte, wenn lediglich ein Ermittlungsverfahren läuft. Personalisierte Tickets, die den Einlass zu einer Art Ausweiskontrolle machen würden. Und ein schärferes Vorgehen gegen Pyrotechnik, jenes ewige Konfliktthema zwischen Faszination und Gefahr.
Wie sich der VfB Stuttgart in der Debatte positioniert hat
Die Fans sehen darin einen Generalverdacht – eine Verschiebung des Fußballerlebnisses hin zu einem sicherheitspolitischen Experimentierfeld. „Ein grobes Bild ohne Schärfe“, sagt die Fanorganisation Unsere Kurve. Die Politik dagegen spricht von wachsenden Risiken, von Spielen, die ohne massives Polizeiaufgebot nicht mehr durchführbar seien.
Und doch wäre das Bild unvollständig ohne jene Stimmen, die versuchen, die Temperatur aus der Debatte zu nehmen. Ausgerechnet aus Baden-Württemberg hat sich eine bemerkenswerte Front gebildet: VfB Stuttgart, SC Freiburg, 1. FC Heidenheim, TSG Hoffenheim und der Karlsruher SC haben eine gemeinsame Stellungnahme veröffentlicht – ein Versuch, die Debatte dahin zurückzubringen, wo sie hingehört: in die Mitte zwischen Freiheit und Sicherheit.
„Für Fankultur. Für Sicherheit. Für Dialog.“ So beginnt das Papier, das ungewöhnlich klar macht, wie sensibel die Klubs reagieren, wenn es um die Atmosphäre ihrer Stadien geht. Fankultur, schreiben sie, sei ein Alleinstellungsmerkmal des deutschen Fußballs. Sicherheit und Atmosphäre seien keine gegensätzlichen Werte, sondern zwei Seiten derselben Verantwortung.
Erfolgsmodell Stadionallianzen: Wie Baden-Württemberg vorangeht
Ihr stärkstes Argument liefern sie gleich mit: der aktuelle Jahresbericht der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze. Dort steht, dass die Zahl der Verletzten in deutschen Stadien deutlich gesunken ist. Der Fußball sei sicher, schreiben die Clubs. Und sie haben ein Modell, das diesen Satz empirisch untermauert: die Stadionallianzen in Baden-Württemberg. Vereine, Polizei, Kommunen, Fanprojekte – alle arbeiten dort seit Jahren zusammen, mit spürbaren Ergebnissen. Weniger Polizeistunden. Weniger Kosten. Mehr Sicherheit.
Seit Einführung der Stadionallianzen sind jährlich rund zwei Millionen Euro Einsatzkosten eingespart worden, vor Corona. Und noch mehr nach der Pandemie: über eine Million Euro. Summen, die den Klubs bei Hochrisikospielen hätten in Rechnung gestellt werden können, ohne dass dadurch irgendjemand sicherer geworden wäre. Der Fußball sagt: Kooperation wirkt besser als Rechnungsstellung.
Deshalb sprechen sich die Klubs klar gegen verpflichtende Ticket-Personalisierungen aus, gegen pauschale Maßnahmen, gegen das, was sie „kollektiv wirkende Einschränkungen“ nennen. Sie wollen Prävention stärken, Dialog vertiefen – und Stadionverbote dort belassen, wo sie hingehören: als Instrument der Vereine. Nicht „mit der Gießkanne“, wie sie schreiben, sondern individuell, nach belastbaren Nachweisen und mit schnellerer Justiz, damit Entscheidungen fairer und nachvollziehbarer werden. Eine zentrale Kommission, finden sie, solle nur Rechtsaufsicht haben – nicht Macht über Einzelschicksale.
Es ist diese Art von Klarheit, die dem Fußball in der politischen Debatte oft fehlt. Während Innenminister wie Daniela Behrens (SPD) strengere Maßnahmen fordern und Bayerns Joachim Herrmann gar von einer „Gespensterdiskussion“ spricht, erzählen die Klubs eine andere Geschichte: dass Sicherheit und Freiheit kein Nullsummenspiel sind. Dass Fans nicht Problem, sondern Teil der Lösung sind. Dass Debatten, die über ihre Köpfe hinweg geführt werden, zwangsläufig eskalieren.
Stadien als Orte, an denen Menschen sich zeigen dürfen, wie sie sind
Zwischen diesen Polen steht der Fußball selbst, der nun auch DFB-Präsident Bernd Neuendorf sagen hört, dass man sich konstruktiv bewegen müsse – sonst drohten behördliche Zwangsmaßnahmen, die niemand wolle. Es ist ein Satz, der klingt, als würde der Fußball gerade lernen, dass die Freiheit seiner Stadien nicht selbstverständlich ist. Vielleicht ist es deshalb so still in den ersten Minuten. Weil diese Stille genau das ist, was die Innenminister in Bremen so selten hören: das Geräusch eines Fußballlands, das sich Sorgen macht. Um seine Kurven, seine Rituale, seine Unabhängigkeit. Um das Gefühl, dass der Fußball nicht nur Spielergebnisse produziert, sondern ein soziales Versprechen: ein Ort, an dem Menschen sich zeigen dürfen, wie sie sind – laut, bunt, widersprüchlich.
Die IMK wird Lösungen finden müssen. Die Kurven werden weiter wachen. Und der Fußball wird sich, wie so oft, irgendwo zwischen beiden verorten müssen. Die Antwort auf die Frage, wie sicher deutsche Stadien sind, ist längst gegeben. Die Frage, wie frei sie bleiben, steht erst am Anfang.





