„Sind keine Problemfälle“: VfB-Fanclub prangert Behandlung bei Europa-Reisen an
Stuttgart/Remshalden. Man könnte es als Randnotiz abtun, als eines dieser Nebengeräusche, die den europäischen Fußball mittlerweile begleiten wie der Videobeweis die strittige Szene. Aber Jens Weber will das nicht mehr. Weber ist Vorsitzender des VfB -Fanclubs „Friends Forever 1996“ aus Remshalden, einer Gruppe, die seit bald drei Jahrzehnten durch Europa reist, oft individuell, immer neugierig auf Städte, Menschen, Kulinarik. Und nun hat Weber genug. „Wir sind Fußball-Fans und keine Problemfälle“, schreibt er in einem offenen Brief an VfB-Boss Alexander Wehrle, der unserer Redaktion vorliegt – es ist ein Satz, der sich liest wie eine Anklage.
Sie wollen unseren VfB-WhatsApp-Channel abonnieren? Dann klicken Sie hier auf diesen Link .
Der Anlass? Der anstehende Auswärtstrip nach Deventer in der Europa League. Die Go Ahead Eagles gelten nicht als Angstgegner, die Kleinstadt an der IJssel nicht als Pulverfass – und doch werden die mitreisenden VfB-Anhänger behandelt, als müsste man eine Hochrisikopartie kontrollieren. Der Bürgermeister heißt sie zwar „herzlich willkommen“, verabschiedet aber gleichzeitig eine Verordnung, die ihnen den Zutritt zur Innenstadt untersagt. Die Fans dürfen nur zu einem ausgewiesenen „Fan Meeting Point“ an den Stadtrand, Transferpflicht mit Bussen, die Tickets für das Spiel gibt es ausschließlich dort, Stadionzugang nur im Kollektiv, Rücktransport ebenfalls organisiert. Der Bewegungsradius: gleich null.
Symptom einer Entwicklung, die längst kein Einzelfall mehr ist
Weber und seine Mitreisenden empfinden das als Entmündigung. Als Kollektivhaft. Als strukturelle Vorverurteilung. Und als Symptom einer Entwicklung, die längst kein Einzelfall mehr ist. Denn auch die aktive Stuttgarter Fanszene – Commando Cannstatt, Schwabensturm, Schwaben Kompanie, Crew 36 und Südbande – beschreibt seit Monaten dieselbe Entwicklung. Wer als Fußballfan Europa bereise, so ihre Darstellung, bekomme an jeder Ecke das Gefühl vermittelt, nicht erwünscht zu sein. In Madrid hätten paramilitärisch auftretende Polizeieinheiten gereicht, um das erste Champions-League-Spiel seit Jahren beinahe eskalieren zu lassen – nur das besonnene Verhalten der Fans habe Schlimmeres verhindert. Fanmaterial sei auf eine Zaunfahne beschränkt worden, dazu ein strenges Verbot des Wortes „Ultras“ auf Kleidung oder Schals.
In Turin, so heißt es, sei der Zugang selbst mit gültigem Ticket verweigert worden, wenn jemand in Bereichen außerhalb des Gästeblocks einen deutschen Ausweis vorzeigte. Bestellungen seien storniert worden, Fanmaterial erneut massiv eingeschränkt. Noch drastischer sei der Abend an der serbischen Grenze vor Belgrad gewesen: Nacktkontrollen, Gewaltandrohung, später ärztlich attestierte Verletzungen. Die Ultras entschieden sich, nicht ins Stadion zu gehen – der Punkt, an dem es ihnen reichte. Auch in Basel, Istanbul und Stuttgart selbst hätten sich laut der Gruppen Szenen abgespielt, die mit „freiem Europa“ wenig zu tun hätten: langes Warten an Einlasstoren, Überfüllung, mangelnde Toiletten, Blocksperren weit nach Mitternacht. Das Wort, das sie dafür benutzen, klingt wie ein Echo: „Man fühlt sich wie Vieh.“
Vor diesem Hintergrund bekommt Webers Brief aus Remshalden eine größere Resonanz. Denn was dort nüchtern beschrieben wird – Ticketzwang, Bewegungsbeschränkung, Kollektivkontrolle – ist Teil eines Bildes, das viele Auswärtsfahrer inzwischen kennen. Und während die UEFA nach außen beschwichtigt und hinter den Kulissen angeblich an Lösungen arbeitet, wächst der Frust. Das Misstrauen wird zur Grundhaltung – und genau gegen dieses Prinzip richtet sich der offene Brief.
Weber schreibt sachlich, aber unmissverständlich. Die Mitglieder des Fanclubs seien „noch nie in irgendeiner Weise negativ aufgefallen“, sie hätten „Athen bis St. Petersburg, Glasgow bis Lissabon, Kopenhagen bis Budapest, Madrid bis Belgrad, Manchester bis Istanbul“ bereist, ohne Probleme. Nun aber drohe die Freude an internationalen Auswärtsreisen zu kippen. Wenn man gezwungen werde, zwölf Stunden vor und nach dem Spiel im „Gewahrsam“ von Treffpunkten, Shuttles, Blocksperren und Anweisungen zu verbringen, wenn Flüge und Unterkünfte plötzlich nicht mehr passen, weil Behörden kurzfristig entscheiden, dann werde aus Abenteuer Bürokratie – und aus Leidenschaft Pflichtprogramm unter Aufsicht.
Was der VfB Stuttgart für seine Fans tun kann
Die Erwartung an den VfB ist dennoch nicht naiv. Der direkte Einfluss sei begrenzt, heißt es im Schreiben. Doch der Klub solle seine Stimme „deutlich lauter“ erheben, Allianzen suchen, das Thema in Verbänden, Medien und Politik platzieren. Denn von alleine werde sich nichts ändern. Und dass die Fanszene zum Kollateralschaden sicherheitspolitischer Symbolik werde, ist für Weber und seine Mitstreiter keine Option. Sollte Rom ähnlich restriktiv werden, kündigen sie an, nicht im Sammelkonvoi, sondern individuell unterwegs zu sein – und wenn ihnen der Eintritt ins Stadion verwehrt würde, dann wäre das „wohl oder übel hinzunehmen“. Was aber bleiben würde, wäre ein Bruch in einer 30-jährigen Reisekultur.
Die Mitglieder des Fanclubs schreiben auf, was viele Auswärtsfahrer längst fühlen, aber selten so gesammelt aussprechen: dass ein Stück Freiheit verloren geht, das früher zum Fußball gehörte wie das Auswärtstrikot und das Bier vor dem Stadion. Die VfB-Fanbetreuung um Christian Schmidt steht mit dem OFC aus Remshalden bereits im Austausch, zuletzt auch auf einer Regionalkonferenz. Man sei, heißt es, im Gleichklang. Der Klub werde sich weiter für die Belange seiner Fans einsetzen.



