Reichsbürger in Baden-Württemberg: Wie viele Anhänger hatte die Reuß-Gruppe?
Stuttgart. Vor den Oberlandesgerichten in Stuttgart, Frankfurt und München laufen aktuell Prozesse gegen eine mutmaßliche Reichsbürger-Terrorgruppe um den Adligen Heinrich Prinz Reuß. Den Angeklagten wird vorgeworfen, einen gewaltsamen Umsturz des politischen Systems in Deutschland geplant zu haben. Viele Spuren führten bislang nach Baden-Württemberg. Aber wie viele Anhänger hatte die Gruppe dort? Eine Kleine Anfrage des Landtagsabgeordneten Oliver Hildenbrand (Grüne) hat dazu neue Details ans Licht gebracht.
Ermittlungen gegen Reichsbürger: Immer wieder Baden-Württemberg
Wo es um mutmaßlichen Reichsbürger-Terror geht, ist Baden-Württemberg meistens involviert. Diesen Eindruck konnte man in den letzten Jahren gewinnen. Auch bei den Prozessen gegen die "Patriotische Union", wie die Reuß-Gruppe sich selbst nannte, sind mehrere Personen aus Baden-Württemberg angeklagt – darunter Markus L. aus Reutlingen, der sich als einziger auch wegen des Verdachts des versuchten Mordes vor Gericht verantworten muss. Außerdem gehen die Ermittler davon aus, dass die Vorbereitungen zur Errichtung einer "Heimatschutzkompanie" im Bereich Tübingen-Freudenstadt bereits weit fortgeschritten waren. Diese pseudo-militärischen Organisationen sollten den Ermittlern zufolge nach dem angestrebten Umsturz "Säuberungen" auf kommunaler Ebene durchführen.
Aber wie viele Menschen in Baden-Württemberg wussten davon, wie viele beteiligten sich vielleicht sogar daran? Der grüne Landtagsabgeordnete Oliver Hildenbrand hat dazu das Innenministerium befragt. Er wollte unter anderem wissen: Wie viele Einsatzmaßnahmen der Polizei gab es im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die mutmaßliche Reichsbürger-Terrorgruppe? Wer war davon betroffen? Was wurde sichergestellt? Wie viele Ermittlungsverfahren laufen noch? Und wie viele Menschen aus Baden-Württemberg haben die "Verschwiegenheitserklärung" der Gruppe unterzeichnet, bei deren Missachtung der Tod durch Hinrichtung angedroht wurde?
Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen 43 Menschen
Am Mittwoch (11.12.) veröffentlichte der Landtag die Antworten des Innenministeriums. Die Anzahl mutmaßlicher Unterstützer der Gruppe lässt sich daraus erwartungsgemäß nicht ablesen, aber es gibt Hinweise, die zumindest eine Ahnung vermitteln.
Die Ermittlungen zur Reuß-Gruppe hat zunächst zentral der Generalbundesanwalt (GBA) geführt. Laut dem baden-württembergischen Innenministerium hat der GBA mittlerweile Ermittlungen gegen 43 Personen aus diesem Ermittlungskomplex an die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart abgegeben. Unter den Verdächtigen sind 29 Männer und 14 Frauen im Alter von 22 bis 79 Jahren. Und noch eine interessante Zahl findet sich in dem Dokument: "Zum derzeitigen Stand der Ermittlungen wird davon ausgegangen, dass 32 Personen in den in Baden-Württemberg geführten Ermittlungsverfahren eine sogenannte Verschwiegenheitserklärung unterzeichnet haben."
Durchsuchungen in Baden-Württemberg: Mehr als ein Dutzend Fälle
Die Ermittlungen gegen die Reuß-Gruppe wurden am 7. Dezember 2022 mit Razzien in mehreren Bundesländern öffentlich bekannt. Seitdem gab es immer wieder Durchsuchungsmaßnahmen im Zusammenhang mit den Ermittlungen – in Baden-Württemberg laut Innenministerium bislang an folgenden Orten: Überlingen, Reutlingen, Rottenburg, St. Johann, Tübingen, Ebersbach an der Fils, Sulz am Neckar, Empfingen, Spaichingen, Aldingen, Jettingen, Starzach und Mötzingen. Dort wurden Wohnungen, Arbeitsstellen und Fahrzeuge durchsucht. Polizeikräfte haben dabei insgesamt mehr als zwanzig Waffen und mehrere Tausend Schuss Munition sicher gestellt. In den meisten Fällen hatten die Besitzer dafür eine waffenrechtliche Erlaubnis.
Blinde Flecken: Was sich aus der Antwort des Innenministeriums nicht ablesen lässt
Die Antwort des Innenministeriums hat aber auch blinde Flecken: Sie bezieht sich "ausschließlich auf Ermittlungsverfahren [...], die in Landeszuständigkeit zentral von der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart geführt werden." Parallel dazu laufen aber auch beim Generalbundesanwalt weiter Ermittlungen, die Baden-Württemberg betreffen. Wie die Stuttgarter Zeitung damals berichtete, wurde Anfang Juni 2024 beispielsweise ein Haus in Althengstett im Landkreis Calw durchsucht. Es habe noch weitere Durchsuchungen im Landkreis gegeben, die ebenfalls im Zusammenhang mit den Ermittlungen stehen, hieß es damals.
Dazu kommt, dass die Angaben maximal die Anzahl derer erahnen lässt, die sich im Dunstkreis einer mutmaßlichen Reichsbürger-Terrorgruppe bewegt haben könnten. Und das nicht nur, weil hier die Ermittlungen des Generalbundesanwalts außen vor bleiben. Die Ermittlungen gegen die Reuß-Gruppe, aber auch gegen die Reichsbürger-Gruppierung "Vereinte Patrioten" haben gezeigt, dass weitere Personen, die mutmaßlich mit den Gruppen in Kontakt standen, als Zeugen geführt werden. Gegen diese Personen wird nicht ermittelt, sie können aber durchaus radikale Ansichten haben und ein hohes Gewaltpotenzial aufweisen. In manchen Fällen werden aus Zeugen im Laufe der Ermittlungen auch Verdächtige.
Reichsbürger-Szene in Baden-Württemberg: Weiter ein drängendes Thema
Die Reichsbürger-Szene bleibt weiter ein drängendes Thema in Baden-Württemberg. Das Personenpotenzial wächst nach Einschätzung des Landesamtes für Verfassungsschutz kontinuierlich an und lag zuletzt (inklusive "Selbstverwalter" die sich nicht auf das Deutsche Reich beziehen) bei etwa 4.000 Personen. Es gibt durchaus Stimmen, die diese Zahl für zu niedrig halten.