Stuttgart & Region

Stuttgart: Reichsbürger-Prozess zeigt Gefahrenpotenzial der Querdenker-Szene

Querdenker Querdenken Demo Stuttgart symbol symbolbild symbolfoto
"Querdenker" auf einer Demo (Symbolfoto). © ZVW/Gabriel Habermann

Der Mammut-Prozess gegen eine mutmaßliche Terrorgruppe in Stuttgart rückt die Gefahr, die von der Reichsbürger-Szene ausgeht, wieder in den Fokus. Was dabei häufig aus dem Blick verloren wird: Das Verfahren gegen die mutmaßlichen Mitglieder der "Reuß-Gruppe" am Oberlandesgericht ist auch ein weiteres Indiz für die potenzielle Gefährlichkeit einer weiteren Szene – die der Querdenker. Aus zahlreichen Gründen.

Angeklagter Markus L.: In Uniform auf der Querdenker-Demo

Am Mittwoch (15.05.) ging es im Prozessgebäude in Stuttgart-Stammheim um einen Schusswechsel, den sich der Angeklagte Markus L. im März 2023 in Reutlingen mit der Polizei geliefert haben soll. Dabei kam auch ein weiterer Vorfall zur Sprache: Bei einer Querdenker-Demonstration in Ofterdingen traten L. und der Mitangeklagte Mathias H. im Mai 2021 laut Generalbundesanwalt widerrechtlich in Militär-Uniform auf. Anwesend waren den Angaben zufolge 90 Personen, „vornehmlich aus der Querdenker-Szene". L. wurde später wegen Verstoß gegen Uniform- und politisches Kennzeichenverbot zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 40 Euro verurteilt. 

Querdenker in Uniform: Ex-Kriminalhauptkommissar unter Terror-Verdacht

Uniformierte auf Querdenker-Demos waren während der Hochphase der Szene-Proteste keine Seltenheit. Im September 2021 haben Polizisten in Berlin laut t-online beispielsweise einen Oberkommissar aus Nordrhein-Westfalen in Gewahrsam genommen. Er hatte in Uniform an einer Demo der Querdenker-Partei "die Basis" teilgenommen. Polizeibeamte sind zur Neutralität verpflichtet. 

Auch innerhalb der Gruppe ist L. nicht der einzige, der in Uniform auf Demos auftrat: Der ehemalige Kriminalhauptkommissar Michael F. aus Hannover, der bis zu seiner Suspendierung rund 40 Jahre im Polizei-Dienst war, trat deutschlandweit auf Querdenker-Demos auf. Er ist in Frankfurt wegen seiner mutmaßlichen Mitgliedschaft in der Reichsbürger-Terrorgruppe um Prinz Reuß angeklagt, die den gewaltsamen Umsturz geplant haben soll. Ihm wird von Seiten der Ermittler eine wichtige Rolle im "militärischen Arm" der Gruppe zugerechnet. 

(Ex-)Militärs im Querdenker-Milieu: "Eure Leichen wird man auf den Feldern verstreuen"

Noch häufiger aber waren Menschen in Militär-Uniform bei den Protesten zu sehen. Für besonders viel Aufmerksamkeit sorgte ein Oberfeldwebel aus Bayern, der mehrfach an Demos der Szene teilnahm. Bei einer Kundgebung drohte er Ende 2021 der Regierung: Er stellte ihr ein Ultimatum, für den Fall, dass die Quasi-Impfpflicht für Bundeswehr-Mitglieder nicht zurückgenommen werden sollte und sagte dabei unter anderem: "Eure Leichen wird man auf den Feldern verstreuen." Darüber berichtete damals unter anderem das Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Ab 21. Mai wird in Frankfurt auch der ehemalige Bundeswehr-Oberst Maximilian Eder wegen seiner mutmaßlichen Rolle in der "Reuß Gruppe" vor Gericht stehen. Die Ermittler rechnen ihn der Führungsriege zu. Auch er nahm vor seiner Festnahme in Uniform an Querdenker-Demos teil und generierte sich dort als Wortführer. Er sagte Sätze wie: "Man sollte das KSK mal nach Berlin schicken und hier ordentlich aufräumen." KSK ist die Abkürzung für das Kommando Spezialkräfte – eine Elite-Einheit der Bundeswehr, der Eder selbst angehört hatte. 

Rekrutierung bei Querdenker-Demos: Ein Ex-Soldat sucht Unterstützer

Menschen, die an der Waffe ausgebildet wurden, unterwegs in einer verfassungsfeindlichen Szene – eine gefährliche Mischung. Köpfe der Szene setzten früh große Hoffnungen in Sympathisanten aus Polizei und Militär. Im Herbst 2020 sagte der Arzt Bodo Schiffmann beispielsweise in einem Video: "Mittlerweile würde ich mir wünschen, irgendjemand würde mal zwischendurch die Regierungsgeschäfte übernehmen, […] es wird hoffentlich auch bei der Bundeswehr Menschen geben, die klug genug sind, über solche Sachen nachzudenken." Auf Telegram existierten zu diesem Zeitpunkt mehrere Kanäle mit Bezug zum Querdenker-Milieu, die sich explizit an aktive und ehemalige Soldaten richteten.

Umgekehrt nutzte die mutmaßliche Terrorgruppe um Prinz Reuß Querdenker-Demos zur Rekrutierung. Der in Stuttgart Angeklagte Marco v. H. soll beispielsweise bei Protesten in Pforzheim für die Gruppe geworben haben, wie die Badischen Neusten Nachrichten berichteten. Laut Generalbundesanwalt soll der ehemalige Zeitsoldat v. H. dem "militärischen Arm" der Gruppe angehört haben. Ermittler sollen bei ihm eine mutmaßliche Feindesliste mit Namen von Politikern und anderen Menschen aus Baden-Württemberg gefunden haben.

"Vereinte Patrioten": Auch hier gibt es Verbindungen ins Querdenker-Milieu

Das sind längst nicht alle Bezüge, die es zwischen der Querdenker-Szene und der mutmaßlichen Reichsbürger-Terrorgruppe gibt. Auch ideologisch, im Verschwörungsglauben, finden sich Parallelen. Die mutmaßlichen MItglieder der Gruppe glaubten laut Generalbundesanwalt an ein "Konglomerat aus Verschwörungserzählungen", zu dem auch die QAnon-Ideologie gehört haben soll. Diese propagiert den Glauben an einen vermeintlichen "tiefen Staat", der für alles Übel auf der Welt verantwortlich gemacht wird. Anhänger dieser Ideologie begründeten damit in der Vergangenheit schwerste Straftaten bis hin zu Mord

Die "Reuß-Gruppe" ist außerdem nicht die erste mutmaßliche Reichsbürger-Terrorgruppe mit Szene-Bezug: Die mutmaßlichen Mitglieder der "Vereinten Patrioten", die unter anderem die Entführung Karl Lauterbachs geplant haben sollen, weisen ebenfalls Verbindungen ins Querdenker-Milieu auf. Im Oktober 2023 gab es beispielsweise eine Razzia bei einem Querdenker aus Waiblingen, dem die Unterstützung der mutmaßlichen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vorgeworfen wird

Mutmaßliche Reichsbürger-Terrorgruppe: Keine Hinweise auf Auflösung

Seit Jahren wird auf die Gefahr hingewiesen, die von der Querdenker-Szene ausgeht. Es gibt zahlreiche Beispiele für Radikalisierungen. Die Mammut-Prozesse in Stuttgart, Frankfurt und München rufen in Erinnerung: Diese Gefahr ist wohl nicht vorüber. Der Senat des OLG Stuttgart führte am dritten Prozesstag in einem Beschluss aus: Eindeutige Hinweise darauf, dass sich die "Reuß-Gruppe" vollständig aufgelöst habe, gebe es bislang nicht. Wie viele Mitglieder der mutmaßlichen Terrorgruppe noch frei herumlaufen, ist völlig offen. Die Verschwiegenheitserklärungen, die bei den Razzien gefunden wurden, deuten darauf hin, dass es einige sein könnten. Es sei nicht auszuschließen, dass sich in Zukunft "neue Führungspersönlichkeiten" finden würden. Wenn das nicht bereits geschehen sei. 

VG WORT Zahlpixel