Terror-Ermittlungen gegen Reichsbürger: Gewaltfantasien eines Reutlinger Zeugen
Am 22. März sorgte eine Razzia im Reichsbürger-Milieu für Aufsehen. In Reutlingen wurde dabei ein SEK-Beamter angeschossen, auch in Stuttgart gab es eine Durchsuchung. Die Maßnahmen standen im Zusammenhang mit Terror-Ermittlungen der Bundesanwaltschaft und betrafen vor allem Personen, die im Verfahren als Zeugen geführt werden. Der Schütze von Reutlingen war einer dieser Zeugen. Ein weiterer Mann, dessen Wohnung im Reutlinger Stadtteil Altenburg durchsucht wurde, fiel in der Vergangenheit mit Umsturz- und Gewaltfantasien auf. Und besuchte Querdenker-Demos.
Razzia in Reutlingen-Altenburg: Unter dem Radar der Öffentlichkeit
Durch die Schüsse auf SEK-Beamte ging die Razzia in Reutlingen-Altenburg am 22. März in Medienberichten eher unter. Die Südwestpresse berichtete zuerst darüber, und legte am 31. März mit einer großen Recherche zu der betroffenen Person nach. „Der Durchsuchte verbreitet gefährliche Hetze“, heißt es darin. Er besuche regelmäßig Querdenker-Demos in der Region und sei bei einer AfD-Veranstaltung im März 2022 als Ordner eingesetzt gewesen. Der Name des Mannes ist unserer Redaktion bekannt.
Wie der Südwestpresse wurden auch uns Aufnahmen des Einsatzes zugespielt, die den SEK-Einsatz in Altenburg zeigen. Und Dokumente, die einen eindeutigen Bezug zwischen dem Mann und einem Account beim Messenger-Dienst Telegram herstellen. Auch unsere eigenen Recherchen zeigen, dass vom Account des Mannes in den letzten zwei Jahren in zahlreichen Kanälen dutzende radikale Beiträge abgesetzt wurden. Die Inhalte: Antisemitismus, Morddrohungen, Umsturzpläne. Die Feindbilder: Politiker, Mediziner, Journalisten.
Gewaltfantasien auf Telegram: „Munition geht auf mich“
2021 hatte der Fall eines belgischen Berufssoldaten für Aufsehen gesorgt. Der ehemalige Scharfschütze und mutmaßliche Rechtsextremist hatte Medienberichten zufolge einem prominenten Virologen mit dem Tod gedroht. In einem Telegram-Kanal, dem auch der Mann aus Altenburg angehörte, wurde das Gerücht gestreut, der Soldat sei „nach Berlin unterwegs“.
Der Mann aus Reutlingen-Altenburg fragte: „Was will er dort?“ Die Antwort: „Na er scheint ja nicht glücklich mit dem Staat zu sein. Ich glaube das zwar nicht, aber ginge er dorthin, dann bestimmt nicht, um auf Zivilisten zu schießen.“ Der Reutlinger: „Gut. Wenn er die richtigen trifft – Munition geht auf mich.“
Feindbild Politiker: „Alle aufhängen“
Politiker sind ein gängiges Feindbild in den Beiträgen des Mannes. Zu einem Video, das Winfried Kretschmann zeigt, schrieb der Reutlinger: „Aufhängen und fertig.“ Im Juni 2021 schrieb er, dass es „schön“ wäre, wenn man es schaffen würde, dass „die Regierung wegkommt“. Er schlägt dafür ein konkretes Datum vor, wenige Tage später. „Dann ist das BRD-Verbrecherregime Geschichte“, schrieb daraufhin ein anderer Nutzer. Dem Reutlinger ist das offenbar nicht genug. „Und alle aufhängen.“ Ein anderer Beitrag des Mannes lautet: „Wir sind erst frei, wenn die baumeln.“
Warten auf den „Tag X“: „Treffpunkt bei mir – maximal bewaffnet“
Diese Vorstellung von einem „Tag X“, an dem das demokratische System gestürzt wird, zieht sich wie ein roter Faden durch die Beiträge des Mannes. Er schreibt immer wieder von Blockaden der Bahngleise und Autobahnen, gibt Tipps, wie man gegen Polizeibeamte vorgehen könnte. Auch deutet er an, er sei in irgendwelche Pläne eingeweiht. Andere Kanal-Mitglieder nennt der Reutlinger „Feiglinge“, beschwert sich, dass die meisten „nur schreiben“ würden oder darüber, dass der „Tag X […] nie kommt, da alle zu feige sind.“ Manchmal stößt er offenbar dennoch auf Gleichgesinnte. „Guter Junge“, schreibt er in einer Chatgruppe beispielsweise an einen anderen Nutzer. „Wenn es soweit kommt, Treffpunkt bei mir – maximal bewaffnet.“
Hass auf Impfärzte und Journalisten: Die Tötungsfantasien des Reutlingers
Der Hass des Reutlingers richtet sich auch gegen Menschen, die andere gegen das Coronavirus impfen. Insbesondere, wenn es dabei um Kinder geht. Als in einem Reutlinger Kanal über mobile Impfteams an Schulen diskutiert wird, schreibt er man solle die Mitarbeiter „rausholen, verprügeln, aufhängen.“ Wer sein Kind impfe, werde erschossen.
Egal, in welcher Gruppe sich der Reutlinger beteiligt – stets fällt er mit radikalen Äußerungen auf. Ein lokales Medienhaus berichtet nicht im Sinne der Querdenker-Szene? Leute wollen kündigen, er schreibt: „abfackeln“. Ein Club führt die 2G-Regelung ein? Man könnte Plakate aufhängen, sagt er. „Oder anzünden“.
Der Zeuge: Ein mutmaßlicher Reichsbürger, der den Holocaust leugnet
Neben den radikalen Äußerungen hängt der Mann offenbar unzähligen Verschwörungserzählungen an: Von QAnon über die Vorstellung einer flachen Erde bis hin zum Reichsbürgertum. Video- und Fotomaterial, dass er in einem bekannten Telegram-Kanal der Reichsbürger-Szene teilte, zeigt ihn mit anderen Personen an einem Bismarck-Denkmal, eine Reichsflagge in der Hand. An anderer Stelle äußert er sich mehrfach antisemitisch, leugnet den Holocaust und gibt Juden die Schuld am Zweiten Weltkrieg. Ein Nazi, schreibt er, sei er nicht.
Dann kommt der 22. März 2023. SEK-Einsatz beim Wohnhaus des Mannes. Aufnahmen, die uns vorliegen, zeigen, dass Beamte ihn nach draußen führen. Die Maßnahme steht laut Südwestpresse im Zusammenhang mit den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen eine mutmaßliche Reichsbürger- und Querdenker-Terrorgruppe um den Adligen Heinrich Prinz Reuß. Wir hatten bereits mehrfach über die Ermittlungen berichtet.
Radikaler Zeuge? Parallelen zu einer Durchsuchung in Waiblingen
Den Beschuldigten in diesem Verfahren wird vorgeworfen, den gewaltsamen Umsturz des politischen Systems geplant zu haben. Doch der Mann, so radikal seine Äußerungen auch sein mögen, gehört nicht zu diesen Beschuldigten. Er befindet sich auf freiem Fuß. Laut Südwestpresse bestätigte er via Telegram selbst, dass bei ihm durchsucht wurde. Und nahm nach unseren Informationen nur wenige Tage nach der Razzia schon wieder an einer Querdenker-Demo teil. Für eine Stellungnahme war er am Freitagnachmittag telefonisch nicht zu erreichen.
Es mag irritierend wirken, dass jemand, der sich derart radikal äußert, in einem Ermittlungsverfahren lediglich als Zeuge geführt wird. Doch das ist kein Einzelfall: Im April 2022 wurden die Wohnräume eines Querdenkers in Waiblingen durchsucht. Die Razzia stand im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen eine andere mutmaßliche Terrorgruppe aus Querdenkern, Reichsbürgern und Rechtsextremisten namens „Vereinte Patrioten“. Wir hatten damals berichtet. Auch der Waiblinger fiel durch radikale Aussagen auf Telegram auf. Auch er wurde im Verfahren als Zeuge geführt.
Verbindungen im Terror-Netzwerk? Werbung für die „Vereinten Patrioten“
Der Leitende Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Koblenz, die zunächst die Ermittlungen führte, erklärte das damals auf Nachfrage so: „Die Strafprozessordnung sieht die Möglichkeit vor, auch bei Zeugen zu durchsuchen, wenn die Durchsuchungen Aufschluss über eine Straftat geben könnten.“
Die Fälle aus Waiblingen und Reutlingen-Altenburg weisen aber eine noch konkretere Verbindung auf. Eine Verbindung, die erneut auf mögliche personelle Überschneidungen des Umfelds zweier mutmaßlicher Terror-Netzwerke hindeuten könnte: Auf Telegram warb der Reutlinger zeitweise für eine Gruppe, deren Mitglieder es mutmaßlich ernst meinten mit dem „Tag X“. Es war nicht die Gruppe um Heinrich Prinz Reuß. Sondern die „Vereinten Patrioten“.