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AfD-Wahlerfolge in Hessen und Bayern: Was wir daraus lernen müssen (Kommentar)

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Ein AfD-Wahlplakat. © ZVW/Gabriel Habermann

Die AfD ist in Hessen zweitstärkste, in Bayern drittstärkste Kraft*. Das ist das Ergebnis der Landtagswahlen, die am Sonntag (08.10.) in beiden Bundesländern stattfanden. Höchste Zeit, daraus ein paar Lehren zu ziehen, meint unser Redakteur Alexander Roth.

Lehre 1: Die AfD ist eine rechtsextreme Partei

Die AfD hat sich seit ihren rechtspopulistischen Tagen stetig radikalisiert. Man konnte zuletzt regelrecht dabei zusehen, wie die Partei jede Angst verlor, als zu radikal gelten zu können. Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, warnte sogar vor Mäßigung. Deshalb ist es jetzt geboten, das auszusprechen, was Sache ist: Die AfD ist mittlerweile eine offen rechtsextreme, und keine rechtspopulistische Partei mehr. Um das festzustellen, muss man nicht erst auf die Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz warten. Verharmlosen wir die Partei also nicht mit Labels, die ihr nicht gebühren.

Lehre 2: Rechtsextremismus ist kein ostdeutsches Problem

Lange Zeit hat man sich in den sogenannten alten Bundesländern darauf ausgeruht, kopfschüttelnd Richtung Ostdeutschland zeigen zu können. Aufmärsche zutätowierter Neonazis, die gut ins Bild von dem passen, was sich viele noch heute unter Rechtsextremismus vorstellen, haben das erleichtert. Damit ist es – hoffentlich – spätestens jetzt vorbei. Denn Rechtsextremismus ist mitnichten ein Problem, das ausschließlich die sogenannten neuen Bundesländer betrifft. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Walter Lübcke wurde in Hessen erschossen. Sein Mörder hat dort für die AfD geworben, die nun zweitstärkste Kraft im Bundesland ist.

Lehre 3: Wahlentscheidung nicht verharmlosen

Wenn wir uns eingestehen, dass Rechtsextremismus ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, dann können wir damit aufhören, Wahl-Entscheidungen zu verharmlosen. AfD-Wähler sind keine Protestwähler, es sind mündige Bürger, die ganz bewusst eine rechtsextreme Partei wählen. Mehrere Untersuchungen, zuletzt die „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, zeigen das rechtspopulistische bis rechtsextreme Weltbild dieser Menschen. „Die Wählerinnen und Wähler wollen diese Partei“, sagte Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, bereits im Sommer gegenüber dem ZDF. „Darin besteht der Ernst der Lage.“

Lehre 4: Auch Medien haben die AfD groß gemacht

Es ist eine bittere Wahrheit: Auch Medien haben die AfD groß gemacht. Wer über die AfD berichtet, muss sich mit der Partei auskennen, ihre Aktivitäten und Aussagen einordnen, verstehen, was sie mit welchen Mitteln erreichen will. Das war in den vergangenen Jahren nicht immer der Fall, auch wir haben sicherlich Fehler gemacht. Das muss sich aber dringend ändern.

Denn: Wie keine andere Partei verstehe es die AfD, Medien für ihre Agenda einzuspannen. Sie hat über Jahre die Grenze des Sagbaren verschoben, Rechtsextremismus wieder salonfähig gemacht, und systematisch Institutionen, die auf die Gefahr hingewiesen haben, abgewertet. Viel zu oft wurde der AfD dafür unbeholfen bis unkritisch eine Bühne geboten. Noch immer gelingt es der Partei mühelos, ihre Schlagworte und Themen prominent im öffentlichen Diskurs zu platzieren. Ein gutes Beispiel: In den letzten Wahlkampf-Wochen wurde viel über den angeblichen „Pull-Faktor“ Sozialleistungen gesprochen. Ein Thema, das die AfD seit Jahren bespielt. Als die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung dann von den Parteien wissen wollte, wie sie eigentlich zur Erkenntnis kommen, dass es diesen „Pull-Faktor“ gebe, obwohl Untersuchungen dagegen sprechen, konnte keine Partei das vernünftig begründen.

Das Platzieren von Worten und Aussagen im politisch-medialen Diskurs hat Methode. Die „Zeit“ wies kürzlich auf eine zentrale Aussage Björn Höckes hin, die er schon 2018 im Rahmen einer Rede traf: „Wer die Begriffe prägt, der prägt die Sprache, wer die Sprache prägt, der prägt das Denken, wer das Denken prägt, prägt den politischen Diskurs und wer den politischen Diskurs prägt, der beherrscht die Politik, egal ob er in der Opposition ist oder in der Regierung.“

Diese Sätze sollte man im Hinterkopf haben, wenn man über die Partei berichten will. Unabhängig von den Strategien der AfD sollten sich Medien außerdem klar machen: Rechtsextremismus taugt nicht zum wohligen Gruseln oder als Clickbait-Futter. Er ist eine reale Gefahr – für die Demokratie und das Leben derer, für die im völkischen Weltbild kein Platz ist. Behandeln wir das Thema also mit dem gebotenen Ernst.

Lehre 5: Mehr Respekt und weniger Populismus in der Politik

Die Politik spielt der AfD ebenfalls in die Karten. Die demokratischen Parteien wirken zerstritten, das populistische Grünen-Bashing der AfD wurde im Wahlkampf auch von konservativ-liberaler Seite betrieben. Dass im Bayern-Wahlkampf laut BR vor einem Zelt, in dem die Grünen-Spitzenkandidatin Katharina Schulze eine Rede hielt, Steine verkauft wurden, verwundert da nicht. Wie es anders geht, zeigten die demokratischen Parteien zuletzt in Göppingen, wo sich nach einem Vorfall auf dem Stadtfest Politikerinnen und Politiker mit der Landtagsabgeordneten Ayla Cataltepe (Grüne) solidarisierten.

Auch die Strategie, Feuer mit Feuer zu bekämpfen, geht nicht auf. Ober-Polterer Friedrich Merz, der zuletzt durchs faktenferne Schüren von Ressentiments auffiel, ist angetreten die AfD zu halbieren. Was draus wurde, wissen wir. Eine Analyse des Mannheimer Politikwissenschaftlers Marc Debus legte am Beispiel CDU/CSU kürzlich nahe, dass die programmatische Annäherung an die AfD der Partei eher noch helfe. „Die Daten deuten – bei aller Vorsicht […] – darauf hin, dass eine Verringerung der Distanz zwischen Union und AfD […] mit einem höheren Stimmenanteil für die AfD einhergeht“, so Debus. Höchste Zeit also, umzusteuern. Harte Diskussionen in der Sache müssen nicht populistisch und ohne Respekt vor dem politischen Gegenüber ausgetragen werden.

Lehre 6: Zusammenarbeit mit der AfD? Undenkbar

Viel wurde in den letzten Wochen über die Zusammenarbeit demokratischer Kräfte mit der AfD gesprochen, auch am Beispiel Backnang. Spätestens wenn im nächsten Jahr in Brandenburg, Sachsen und Thüringen die Landtagswahlen anstehen, wird gar die Frage wieder aufkommen: Kann man mit der AfD eine Regierung bilden? Die demokratischen Parteien sollten hier eigentlich nicht lange überlegen müssen. Rechtsextremisten zu mehr Macht zu verhelfen, war noch nie eine gute Idee. Der Wille der Wählenden taugt übrigens nicht zum Argument, warum man in einer Demokratie mit der AfD kooperieren müsse, auch wenn er gerne dafür herangezogen wird. Wer CDU, Grüne, SPD, FDP oder andere wählt, wählt schließlich ganz bewusst eine demokratische Partei.

Lehre 7: Junge Wählerinnen und Wähler werden nicht erreicht

Die demokratischen Kräfte erreichen die jungen Wählerinnen und Wähler nicht in dem Maße, wie es der AfD gelingt. Der rechtsextremen Partei gelingt es seit langem, das jüngere Publikum dort zu erreichen, wo es sich aufhält. Die Partei ist in den Sozialen Medien stark vertreten, und schafft es, dort ihre Inhalte auch mittels Influencerinnen und Influencer unter die Leute zu bringen. Aber es ist nicht nur mangelnde Digitalkompetenz anderer, die der AfD hier einen Vorsprung verschafft. Die hochemotionalen Inhalte der Partei passen besser zu den Algorithmen der Plattformen als die der demokratischen Konkurrenz. Die Emotionen, die dabei vor allem geweckt werden: Wut und Hass. Man sollte der AfD daher nicht nacheifern. Dennoch muss die Politik versuchen, sich hier stärker zu engagieren.

Lehre 8: Die Gefahr des Rechtsextremismus in Erinnerung rufen

Womit wir wieder beim Thema Rechtsextremismus wären: Wenn junge Leute in Hessen und Bayern eine rechtsextreme Partei wählen, ist das auch ein Versagen der Gesellschaft, die Gefahr von Rechtsextremismus gut genug zu vermitteln. Warum war Rechtsextremismus nicht stärker Thema im hessischen Wahlkampf, trotz dem rechten Terror von Hanau, trotz der Hinrichtung Walter Lübckes? Warum nicht in Bayern, wo 2016 beim rechtsextremen Anschlag auf das Olympia-Einkaufszentrum in München zehn Menschen starben?

Fragen stellen sich auch weit über den Wahlkampf hinaus: Warum plant die Ampel-Regierung angesichts der aktuellen Entwicklung, die Mittel der Bundeszentrale für politische Bildung zu kürzen? Warum verhindern in Gütersloh AfD, CDU und eine lokale freie Wählervereinigung die Finanzierung einer NS-Gedenkstätte, während andere Gedenkstätten parallel auf die wachsende Bedrohung durch Rechtsextremismus hinweisen?

Der stellvertretende Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, Rikola-Gunnar Lüttgenau, sagte gegenüber der ARD, die aktuelle Situation an den Gedenkstätten sei „ein Seismograph dafür, dass versucht wird, diese Grundfeste der heutigen Bundesrepublik ins Rutschen zu bringen." Björn Höcke, dem mächtigsten Mann in der AfD, der „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ forderte, dürfte das nichts ausmachen. Allen anderen sollte das Anlass zur Sorge sein. Halten wir also die Erinnerungen hoch. Machen wir weiter auf Gefahren aufmerksam, die der Demokratie drohen. Hier zu sparen, wird sich am Ende nicht bezahlt machen. 

*Zuvor stand hier fälschlicherweise, die AfD sei auch in Bayern zweitstärkste Kraft. Dabei wurden aktuelle Hochrechnungen nicht berücksichtigt. Wir bitten, das zu entschuldigen und haben den Fehler korrigiert. 

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