Ausstellung im Rems-Murr-Kreis: Berührende Begegnungen, Hass und Hoffnung (Kommentar)
Eine Woche lang haben wir im Rems-Murr-Kreis die Ausstellung „Menschen – im Fadenkreuz des rechten Terrors“ gezeigt. In Schorndorf, Winnenden und Waiblingen haben wir an zentralen Plätzen auf die Gefahr hingewiesen, die Rechtsextremismus für uns alle darstellt. Dort, wo niemand wegsehen konnte.
57 Porträts des Fotografen Ivo Mayr, gedruckt auf riesigen Aluminiumtafeln, standen dabei stellvertretend für unsere Gesellschaft. Sie zeigen Menschen, die allesamt auf rechtsextremen „Feindeslisten“ stehen. In kleinen Zitaten erzählten sie den Besuchern der Ausstellung aus ihrem Leben.
Man könnte sagen: Wir haben Menschen mit Menschen konfrontiert. Was dabei herauskam? Zutiefst Menschliches.
Der Nationalsozialismus und was wir (nicht) aus ihm lernen
In Schorndorf erzählte mir eine Frau, ihr Großvater habe zur Zeit des Nationalsozialismus bei der Kirche Widerstand gegen die Nazis geleistet. „Trotzdem wählt mein Neffe heute eine rechtsextreme Partei“, sagt sie und schüttelte dabei den Kopf.
Die Frau war sichtlich gerührt, dass in der Stadt, die ihr Großvater Heimat nannte, nun so eine Ausstellung zu sehen ist.
Ebenfalls in Schorndorf sprach ich mit einer Frau, die vor einer der Ausstellungstafeln stehen geblieben war. Die Tafel zeigt die mindestens 187 Todesopfer rechtsextremer Gewalt seit 1990. „Unfassbar, dass so etwas in diesem Land möglich ist.“
Sie erzählte mir, sie habe den Nationalsozialismus erlebt. Als Kind. Sie erzählte mir, Nazis hätten das Haus angezündet, in dem sie mit ihrer Schwester gespielt hatte. Und heute würden junge Menschen abwinken, wenn sie über diese Zeit aufklären wolle. „Ich glaube das, was Sie hier machen, kann die junge Leuten erreichen.“
Und tatsächlich: In Waiblingen standen am ersten Tag zwei etwa zehn- bis zwölfjährige Jungs mit ihren Fahrrädern vor mir. „Was ist das hier?“, frage einer der beiden. Ich versucht es ihm so kindgerecht wie möglich zu erklären.
Er nickte, und zeigte dann mit dem Finger auf seinen Freund. „Der benutzt immer das N-Wort, obwohl es rassistisch ist. Das Wort ist doch rassistisch?“ Ich: „Ja, ist es.“ Daraufhin er zu seinem Freund: „Siehst du, sag ich doch!“
Fahrradfahrende Engländer, Leonard Cohen und Alltagsrassismus
Es gab noch mehr berührende Begegnungen:
Ein Engländer auf Radtour durch Waiblingen, war ganz verwundert darüber, dass es in Deutschland Rechtsextremisten gibt. Und lauschte dann interessiert den Erläuterungen eines Kollegen.
Ein obdachloser Straßenmusiker untermalte die Ausstellung in Schorndorf mit Songs von Neil Young, Bob Dylan und Leonard Cohen. Weil er unbedingt unser Engagement unterstützen wollte.
Die Familie, die in Winnenden an den Stand kam, um sich für die Ausstellung zu bedanken. Weil, so erzählten sie, der Rassismus in ihrem Alltag zuletzt immer stärker zugenommen hätte, und es schön zu sehen sei, dass sich jemand dagegen starkmache.
Es sind Begegnungen wie diese, die uns gezeigt haben, dass die Ausstellung richtig war.
Am Ausstellungsstand: Wo Menschen ihren Hass abladen
Aber tun wir nicht so, als hätte es nicht auch gegenteilige Reaktionen gegeben.
Zwei Personen luden in Schorndorf ihren Hass bei uns ab, spuckten ihn uns regelrecht vor die Füße – in Form von rassistischen, antisemitischen und anderweitig menschenverachtenden Äußerungen. Und einer diffusen Drohung.
Eine Frau in Winnenden sagte mir, wir würden noch für unsere Lügen zur Rechenschaft gezogen. Sie hatte zuvor das ZVW-Banner bemerkt. „Die Medien vertuschen immer alles!“, sagte sie. Ein Beispiel hatte sie auch auf mehrfache Nachfrage nicht parat.
Eine Frau nahm in Waiblingen das Porträt Karl Lauterbachs – der ebenfalls auf einer „Feindesliste“ steht – zum Anlass, die übelsten Verschwörungserzählungen herunterzubeten, ohne Zwischenfragen auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Als ich sie fragte: „Wollen Sie wissen, warum wir Lauterbach hier zeigen?“, reagierte sie dann doch. Mit einem „Nein“.
Es sind Begegnungen wie diese, die uns gezeigt haben, dass die Ausstellung wichtig war.
Die drängende Frage: Was kann ich tun?
Nun haben wir mit dieser Ausstellung natürlich etwas bezweckt: Wir wollten aufmerksam machen, informieren, sensibilisieren – und im Endeffekt erreichen, dass sich etwas verändert. Zum Guten.
„Was kann ich tun?“, fragte ein Mann am Alten Postplatz in Waiblingen am Freitag. „Was kann ich tun gegen Rechtsextremismus?“
Ich kann mich positionieren.
Ich kann aufklären.
Ich kann widersprechen.
Ich kann einschreiten.
„Was kann ich tun?“, frage am selben Ort einen Tag später eine Frau, die sich gerade die Porträts angesehen hatte. Wir redeten ein bisschen. Am Ende kam sie zu dem Schluss: „Ich kann jeden Menschen als Menschen wahrnehmen.“
Am Samstag, dem vorletzten Tag der Ausstellung in Waiblingen, stand plötzlich wieder der Junge vor mir. Diesmal ohne Fahrrad und mit einem anderen Freund. Ohne Begrüßung oder irgendeine andere Form der Einleitung sagte er: „Der hier benutzt auch immer das N-Wort. Sag ihm mal, dass das Wort rassistisch ist.“ Sein Kumpel: „Aber wann hab‘ ich denn …“
Ich tat ihm den Gefallen. Vielleicht hat dieser Junge die Welt schon ein kleines bisschen besser gemacht.
Das Projekt
Das Projekt "Menschen – im Fadenkreuz des rechten Terrors" ist eine Kooperation elf renommierter Regionalmedien in Zusammenarbeit mit dem Weissen Ring e.V., unter Leitung des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV.
Weitere Texte zum Thema finden Sie unter zvw.de/menschen-im-fadenkreuz oder auf www.menschen-im-fadenkreuz.de.