Rems-Murr-Kreis

Rechte Polizei-Chats: Buch "Staatsgewalt" mit ZVW-Beitrag erschienen

staatsgewalt buch herder verlag
Im Buch "Staatsgewalt" beschäftigen sich Autorinnen und Autoren mit Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden. © Herder Verlag

Am 20. November ist im Herder-Verlag das Buch „Staatsgewalt: Wie rechtsradikale Netzwerke die Sicherheitsbehörden unterwandern“, herausgegeben von Heike Kleffner und Matthias Meisner, erschienen. Unsere Redaktion ist mit dem Beitrag „Wer hat Angst vorm R-Wort“ von Alexander Roth vertreten, den Sie hier in voller Länge lesen können.

In Stuttgart wurde zwei Jahre lang gegen ein Dutzend Polizisten ermittelt, die sich an Chats mit rassistischen Inhalten und Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen beteiligt haben sollen. Von Beginn an versuchten wir beim Zeitungsverlag Waiblingen eine simple Frage zu klären: Handelt es sich hier um einen weiteren rechtsextremen Verdachtsfall? Die Behörden mauern bis heute in fast schon absurder Weise.  Währenddessen gibt es längst den nächsten Skandal: dieses Mal mit mutmaßlich 70 beteiligten Beamt:innen.

Was passiert, wenn Lokaljournalist/-innen ihre Aufgabe ernst nehmen und über rechtsextreme  Verdachtsfälle in den Behörden berichten wollen, haben wir hier aufgeschrieben. Denn das beredete Schweigen, auf das wir mit unseren Standardfragen stießen, ist kein Einzelfall und wäre bei Ermittlungen, die sich nicht gegen Polizist/-innen richten, kaum vorstellbar.

Polizei Stuttgart: "Wir müssen damit offen umgehen"

Stuttgart im Mai 2021:  »Wir müssen damit offen umgehen, nichts verharmlosen und nichts unter den Teppich kehren.«  Mit diesen Worten hatte ein Sprecher des Polizeipräsidiums Stuttgart anfangs Stellung zu den Ermittlungen genommen. Damals richtete sich der Verdacht der Staatsanwaltschaft Stuttgart noch gegen fünf Polizeibeamte, von denen einer beim Präsidium Technik, Logistik, Service der Polizei beschäftigt war, das ebenfalls in Stuttgart sitzt. Auch ein Angehöriger stand unter Tatverdacht.

Die Vorwürfe: Einer der Beamten soll Bilder und Videos mit volksverhetzenden Inhalten sowie Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen mit den anderen Beschuldigten in Einzelchats ausgetauscht haben. Nach Paragraf 130 Strafgesetzbuch und Paragraf 86a Strafgesetzbuch können hierfür jeweils Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren oder Geldstrafen verhängt werden. In der Pressemitteilung war außerdem die Rede von »fremdenfeindlichen Inhalten«.

Rechtsextreme Symbolik im Chat: Behörden mauern

Mehrfach versuchten wir, aufgrund der Pressemitteilung die konkreten Inhalte der Chats herauszufinden. Von der Staatsanwaltschaft Stuttgart wollten wir wissen, welche Kennzeichen welcher verfassungswidrigen Organisationen Gegenstand der Ermittlungen waren. Ob man uns zumindest sagen könne, welchem politischen Spektrum diese zuzuordnen seien? Die rassistischen Inhalte schienen in eine bestimmte Richtung zu deuten.

Kurzum: Wir haben journalistische Routinefragen an Behörden gerichtet. In der Regel bekommen wir darauf eine Antwort. Wenn einschlägige Symbole wie Hakenkreuze an Gebäude geschmiert werden beispielsweise. Oder bei verfassungsfeindlichen Parolen, etwa während einer Demonstration. Doch die Staatsanwaltschaft Stuttgart mauerte – und verwies auf die laufenden Ermittlungen. Aus Sicherheitskreisen erfuhren wir im selben Zeitraum, dass es sich um Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen aus dem rechten Spektrum handeln solle. Im Klartext: rechtsextreme Symbolik.

Ermittlungen eingestellt: Staatsanwaltschaft gibt keine Auskunft

Februar 2022: Das Polizeipräsidium Stuttgart teilt uns auf Nachfrage mit, die Ermittlungen – auch gegen zwei weitere Beamte – seien Ende 2021 eingestellt worden. Auch die Staatsanwaltschaft bestätigt das Ende des Ermittlungsverfahrens und liefert die Begründung: kein hinreichender Tatverdacht. Zur Verwirklichung des Tatbestands der Volksverhetzung nach Paragraf 130 Strafgesetzbuch hätten die Chatinhalte einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen, so die Begründung. Auf eine Pressemitteilung verzichteten die Behörden.

Wir witterten eine Chance, jetzt mehr zu erfahren. Denn noch immer wollten wir wissen: Um welche verfassungswidrigen Organisationen handelte es sich denn nun, deren Kennzeichen im Chat geteilt worden sein sollen? Welchem politischen Spektrum gehören sie an? Die Staatsanwaltschaft mauerte erneut. Es sei kein Straftatbestand erfüllt worden, hieß es jetzt.

Noch mal: Nicht unsere Fragen sind ungewöhnlich; ungewöhnlich ist, über zwei Jahre lang auf offiziellem Weg keine Antworten zu bekommen. Wir hatten es nicht nur bei der Staatsanwaltschaft versucht, sondern auch bei den Polizeipräsidien Stuttgart und Technik, Logistik, Service, gegen deren Mitarbeiter sich der Tatverdacht richtete. Zuletzt im April 2023. Hier verwies man auf noch laufende Ermittlungen.

Konsequenzen für Polizisten: Disziplinarrecht in Baden-Württemberg

Das mag wie ein Widerspruch wirken, ist aber keiner. Parallel zu den strafrechtlichen Ermittlungen hatten die Polizeipräsidien damals dienstrechtliche Ermittlungen gegen die verdächtigten Polizisten eingeleitet sowie gegen weitere Beamte, die an der Kommunikation beteiligt gewesen sein sollen. Uns wurde von insgesamt 13 dienstrechtlichen Verfahren berichtet. Diese Ermittlungen dauern in einigen Fällen noch an – und hatten bereits Folgen: Der betroffene Polizist des Präsidiums Technik, Logistik, Service befand sich Mitte April 2023 weiterhin nicht im Dienst.  »Der Beamte wurde während des laufenden Verfahrens von allen beamtenrechtlichen Verfahren, zum Beispiel einer Beförderungsauswahl, ausgeschlossen«, sagte eine Sprecherin. Ziel der vorläufigen Dienstenthebung sei dessen Entfernung aus dem Polizeidienst. Eine Kürzung der Bezüge werde geprüft.

Baden-Württemberg ist derzeit das einzige Bundesland, in dem seit einer Reform des Disziplinarrechts im Jahr 2008 alle Disziplinarmaßnahmen durch einen Verwaltungsakt angeordnet werden können. Selbst wenn schwerere Maßnahmen wie etwa eine Entlassung aus dem Dienst verhängt werden, muss kein Disziplinargericht eingeschaltet werden. Gegen die Maßnahmen können Beamt/-innen selbstverständlich klagen. Allerdings bleibt das Beamtenverhältnis – und die damit einhergehenden Bezüge – nicht bis zur Rechtskraft eines letztinstanzlichen Urteils bestehen.

Komplexe Verfahren: Polizisten positionierten sich gegen Chat-Inhalte

Fünf Beamte des Polizeipräsidiums Stuttgart, gegen die strafrechtlich ermittelt wurde, sind dagegen wieder im Dienst, der sechste mittlerweile im Ruhestand. Die Polizisten »versehen allerdings bis auf weiteres ausschließlich Innendienst«, sagte dort ein Sprecher. Man habe im Präsidium gegen insgesamt zwölf Polizisten disziplinarrechtlich ermittelt, in fünf Fällen seien diese Ermittlungen bereits abgeschlossen. Das Ergebnis: Man habe kein Dienstvergehen feststellen können. »In diesen Verfahren ging es um den Empfang von zwei Bildern, eines mit volksverhetzendem Inhalt und eines mit der Abbildung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.« Die betroffenen Polizisten hätten sich »aktiv gegen den Versand dieser Bilder durch andere positioniert«, hieß es weiter. Das sei teilweise innerhalb des Chats passiert, teilweise persönlich gegenüber dem Absender, in jedem Fall aber zeitnah. Damit seien sie aktiv für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eingetreten.

Weiterhin teilte der Sprecher der Stuttgarter Behörde mit: »Die noch anhängigen Disziplinarverfahren sind komplex, zumal die dienstrechtliche Bewertung hinsichtlich der Beamtenpflichten bzw. des individuellen Verhaltens über die strafrechtliche Würdigung hinausgeht.« Deshalb und weil das Polizeipräsidium Stuttgart »weiterhin für eine umfassende Aufklärung der Vorfälle steht, erfolgt grundsätzlich keine Auskunft zu einzelnen Chats oder deren Inhalten«. Man arbeite die Vorfälle umfassend auf und entscheide nach Abschluss über die Konsequenzen für die betroffenen Polizisten, so der Schlusssatz.

Wir wandten uns schließlich ans Landesinnenministerium. Noch immer wollten wir wissen, ob in diesen Chats nun rechtsextreme Symbolik zu finden war – oder nicht. Die Antwort: Für Auskünfte zuständig seien die Polizeipräsidien.

Der nächste Skandal: Hakenkreuze und Kinderpornografie

Zum Zeitpunkt der Anfrage an das Ministerium, im April 2023, erschütterte bereits ein weiterer Skandal die Polizei in Baden-Württemberg. Ende 2022 hatten das Landeskriminalamt (LKA) und die Staatsanwaltschaft Ulm weitere Ermittlungen wegen Polizeichats öffentlich gemacht. Ermittlungen, die sich schnell ausweiteten. In jeder Hinsicht.

Es werde mittlerweile gegen 15 Polizist:innen strafrechtlich ermittelt, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft im März 2023 auf Nachfrage. Gegen manche wegen mehrerer Vergehen gleichzeitig. Die Beschuldigten seien bei den Polizeipräsidien Aalen, Ulm, Reutlingen, Pforzheim und dem Präsidium Einsatz mit Hauptsitz in Göppingen beschäftigt.  Gegen acht von ihnen werde wegen des Vorwurfs des Besitzes bzw. der Verbreitung kinderpornografischer Inhalte ermittelt, gegen sechs wegen Volksverhetzung, gegen zwei wegen Gewaltdarstellung und gegen einen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Es seien aber noch nicht alle Akten vorgelegt worden. Fünf Fälle habe man an andere Staatsanwaltschaften abgegeben.

In diesem Zusammenhang wurden bereits Ermittlungen gegen eine Polizistin des Präsidiums in Reutlingen wegen des Vorwurfs des Besitzes kinderpornografischer Inhalte eingestellt. Mangels hinreichenden Tatverdachts, wie ein Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft in Stuttgart mitteilte.

Baden-Württemberg: Großteil der Polizeipräsidien betroffen

Auch im aktuellen Skandal gibt es neben der strafrechtlichen noch eine dienstrechtliche Dimension: Rund 70 Polizist/-innen sollen sich an insgesamt 13 Chatgruppen mit strafrechtlich relevanten Inhalten  beteiligt  haben, die im Laufe der Ermittlungen entdeckt wurden. Das geht aus der Stellungnahme des Innenministeriums zu einem Antrag von Abgeordneten der FDP/DVP-Fraktion im Landtag hervor. Betroffen sind demnach insgesamt neun von insgesamt 13 regionalen Polizeipräsidien, dazu das Präsidium Einsatz, die Hochschule für Polizei Baden-Württemberg und eine weitere, nicht näher benannte Dienststelle außerhalb der Landespolizei. Es fällt leichter aufzuzählen, welche Präsidien nicht dazugehören.

Die Abgeordneten fragten auch nach weiteren verfassungsfeindlichen, volksverhetzenden Inhalten in Chats mit Polizeibeteiligung. Das Ministerium nannte zehn Vorfälle mit insgesamt 56 Polizist/-innen  im Zeitraum  vom 1. Januar 2018 bis zum 30. September 2022 und schrieb:  »Ein strukturelles Problem hinsichtlich verfassungsfeindlicher Inhalte in Polizei-Chats erkennt das Innenministerium nicht.«

Offene Fragen: Warum wird das Wort "Rechtsextremismus" so hartnäckig gemieden?

Auch im aktuellen Fall sind noch einige Fragen offen. Auch hier mauern die Behörden bei manchen Fragen in einer Weise, wie es bei Ermittlungen, in denen es nicht um Polizist/-innen als Tatverdächtige geht, undenkbar wäre. Auch hier sucht man in den bisherigen Pressemitteilungen von Staatsanwaltschaft und LKA vergeblich nach einem Wort: Rechtsextremismus.

In einer Pressemitteilung des Innenministeriums vom Dezember 2022 findet sich immerhin folgender Satz, mit dem Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) zitiert wird: »Bei rechtsextremen Vorfällen haben wir bereits jüngst Beamte mit härtester Konsequenz sofort endgültig aus dem Dienst entfernt.« Ob es auch bei den laufenden Ermittlungen um einen dieser »rechtsextremen Vorfälle« geht, wird hier sprachlich offengelassen. Aber ein anderer Umstand wird erwähnt.

Zu Beginn der Pressemitteilung wird dargestellt, wie man den Verdächtigen auf die Spur kam. Man habe in Ulm zunächst gegen einen 28-jährigen Polizisten ermittelt, heißt es. Es ging um Inhalte, die dieser in Chats geteilt haben soll. Inhalte, die – im Gegensatz zum Stuttgarter Fall – konkret benannt werden: Hakenkreuze und Abbildungen von Adolf Hitler. Das deutet immerhin in eine gewisse Richtung.

Wie es mit den Ermittlungen im aktuellen Fall nach Abgabe des Buch-Textes weiterging, können Sie hier nachlesen. Alle Informationen zum Buch "Staatsgewalt" finden Sie beim Herder Verlag

VG WORT Zahlpixel