Stuttgart & Region

Am Gedenktag 9. November: Querdenker zeigen "Impfopfer"-Ausstellung in Stuttgart

Schlossplatz
Blick auf das Neue Schloss und den Schlossplatz in Stuttgart. © Alexandra Palmizi

Am Mittwoch (09.11.) will die Querdenker-Szene in Stuttgart im Rahmen einer Demo eine Ausstellung zu angeblichen „Impfopfern“ zeigen. Das wird seit Tagen auf Telegram angekündigt. Der Initiator: Ein Rentner aus Bayern, der im Zusammenhang mit antisemitischen Darstellungen bei dieser Ausstellung im Sommer wegen Volksverhetzung verurteilt wurde.

Was soll in Stuttgart gezeigt werden? Was wissen wir über den Initiator der Ausstellung? Ist das Datum absichtlich gewählt? Weiß die Stadt von dieser Veranstaltung? Eine Suche nach Antworten.

„Galerie des Grauens“: Was die Ausstellung zeigt

Die Ausstellung „Galerie des Grauens“ reproduziert Verschwörungserzählungen der Querdenker-Szene zur Corona-Impfung. Auf Plakaten, die in der Regel an Wäscheleinen hängen, wird die Impfung als „Gen-Experiment“ bezeichnet, vor dem man seine Kinder schützen müsse. Auch angebliche „Impfopfer“ werden auf Plakaten ausgestellt. Die Ausstellung war bereits in zahlreichen deutschen Städten zu sehen und wurde darüber hinaus in Wien gezeigt.

„Wiedergeborener Christ“: Wer steckt hinter der Ausstellung?

Initiator Peter Ganz aus Bayern nennt sich selbst „wiedergeborener Christ“. Ein Experte der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Bayern nannte Ganz gegenüber dem Oberpfalz Echo „Teil der extremen Rechten“. In der Vergangenheit zeigte der Rentner sich mehrfach mit AfD-Politikern, Impfgegnern und Querdenkern.

Peter Ganz selbst fiel während der Corona-Krise mit verstörenden Aussagen auf. Im Rahmen einer Querdenker-Demonstration am 1. August 2022 in Berlin behauptete er, in der Charité würden Kinder gefangen gehalten. Das zeigt ein Video der Gruppe „hessencam“ auf Twitter. In anderen Videos behauptet Ganz, es gebe etliche Menschen in Deutschland, die an einer Corona-Impfung verstorben seien. In einem Video vom Juni 2022 sagt Ganz in Berlin, es handle sich um „über 50.000 Menschen“. Dazu kämen „fünf Millionen Impfopfer-Geschädigte“.

Woher diese Zahlen stammen, ist unklar. Nach eigenen Aussagen bediene er sich bei „verschiedenen Seiten.“ Immer wieder suggeriert Ganz außerdem, es handle sich bei der Corona-Impfung um versuchten Mord. Im Juli veröffentlichte das extrem rechte Medienportal Auf1 ein Interview mit Ganz, in dem er behauptet, „impfgeile Ärzte“ seien „in Altenheime gestürmt“ und hätten „unsere alten Menschen weggespritzt“. Er sprach dabei von „Morden“.

Paul-Ehrlich-Institut: Was offizielle Zahlen verraten

Wie lauten im Vergleich die offiziellen Zahlen? Das Paul-Ehrlich-Institut erfasst Meldungen über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Komplikationen im Zusammenhang mit Corona-Impfungen. Im letzten Sicherheitsbericht, der Meldungen zwischen 27. Dezember 2020 und 30. Juni 2022 berücksichtigt, heißt es: „120 Fälle wurden vom Paul-Ehrlich-Institut als konsistent mit einem ursächlichen Zusammenhang mit der Gabe des jeweiligen COVID-19-Impfstoffs bewertet (synonym: wahrscheinlicher oder möglicher ursächlicher Zusammenhang).“

Dazu kommt: „Ein Vergleich der Anzahl der gemeldeten Verdachtsfälle [..] mit der im gleichen Zeitraum statistisch zufällig zu erwartenden Anzahl der Todesfälle […] ergab für keinen der fünf zugelassenen COVID-19-Impfstoffe […] ein Risikosignal.“

Verurteilt wegen Volksverhetzung: Plakat zeigte Vernichtungslager

Nicht nur Falschbehauptungen werden im Zusammenhang mit der Ausstellung kritisiert: Peter Ganz wurde im Juli 2022 in Landsberg wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 900 Euro verurteilt. Das geht aus einem Bericht des Merkur hervor. Beim Prozess ging es demnach um ein Plakat, das Ganz im Rahmen der „Galerie des Grauens zeigte“ – ein Foto vom Eingang des Vernichtungslagers Auschwitz, versehen mit dem Satz „Denn das Morden nimmt kein Ende“.

Der Merkur schreibt: „Unter der Überschrift ‚Galerie des Grauens‘ habe er, so die Staatsanwaltschaft, das Schicksal der Juden und anderer Bevölkerungsgruppen unter der Nazi-Herrschaft mit der laufenden Impfkampagne gegen Corona gleichgestellt.“

Ganz, der im Bericht nicht namentlich genannt wird, habe diesen Vorwurf vor Gericht zurückgewiesen. Ein Vergleich sei nicht beabsichtigt gewesen, Das Bild zeige „einen „x-beliebigen Wachturm eines Strafgefangenenlagers“ – was nachweislich falsch ist. Dass die Polizei bei einer Hausdurchsuchung Speichermedien mit antisemitischen Inhalten fand, begründete er mit „religiöser Forschung“.

Datum 9. November: Gedenken an die Novemberpogrome

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) hat in Bayern weitere Fälle dokumentiert, in denen zwischen Februar und März 2022 vergleichbare Plakate bei der „Galerie des Grauens“ gezeigt wurden. Ob die Plakate, die den Holocaust verharmlosen, auch in Stuttgart zu sehen sein werden, bleibt abzuwarten. Es hätte einen besonders bitteren Beigeschmack: Am Mittwoch gedenkt die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg auf dem Synagogenplatz, nur ein paar hundert Meter von der „Galerie des Grauens“ entfernt, den Opfern der Novemberpogrome.

„Die Novemberpogrome vom 9. November 1938 waren vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen gegen Juden im gesamten Deutschen Reich“, heißt es in der Ankündigung zur Gedenkveranstaltung. „Sie bedeuteten den Übergang von Diskriminierung, welche die deutschen Juden ab 1933 zu erleiden hatten, zur systematischen Verfolgung, die knapp drei Jahre später in den Holocaust an den europäischen Juden im Machtbereich der Nationalsozialisten mündete.“

Freiburg: Stadt untersagt Ausstellung am Platz der Alten Synagoge

Ein zufällig gewähltes Datum? Peter Ganz antwortete auf unsere Anfrage zu dieser und weiterer Fragen bislang nicht. Fest steht: Bereits in der Vergangenheit hatte er Plätze für seine Ausstellung ins Auge gefasst, die in Verbindung mit dem Gedenken an NS-Verbrechen stehen. In Freiburg war ihm im September untersagt worden, die „Galerie des Grauens“ am Platz der Alten Synagoge zu zeigen. Die Synagoge wurde bei den Novemberpogromen 1938 zerstört.

„Die Ausstellung wurde bereits in anderen Städten gezeigt“, hieß es in der Begründung der Stadt Freiburg. „Hier wurde eine Verbindung zwischen den Verbrechen des Holocausts und Impfschäden hergestellt.“ Die Wahl des Ortes habe man daher als „eine nicht hinzunehmende Provokation“ wahrgenommen. Gezeigt wurde die Ausstellung trotzdem – aber an einem anderen Platz.

In Stuttgart kann die Ausstellung am Mittwoch beim Schlossplatz gezeigt werden. "Gründe für eine Einschränkung der Anmeldung liegen auch nach Rücksprache mit der Landespolizei nicht vor", schreibt eine Sprecherin der Stadt auf Nachfrage.