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Awareness im Nachtleben: So stärkt die Nachtboje Stuttgart das Sicherheitsgefühl

Symbolfoto Nachtboje Nacht Straße Alleine
Symbolfoto. © Unsplash/Aleksandr Popov

Ein Aufkleber in Neonpink schmückt seit geraumer Zeit die Außenfassaden verschiedener Lokalitäten in Stuttgart und Umgebung. Sie kennzeichnen Einrichtungen, die sich als nächtliche Rückzugsorte anbieten, wenn sich Menschen nachts unwohl fühlen. Awareness bei Nacht, also respektvolles Miteinander, das sich gegen übergriffiges Verhalten einsetzt, ist zurzeit ein vieldiskutiertes Thema. Die Stadt Stuttgart und andere Institutionen haben es sich zur Aufgabe gemacht, das Nachtleben sicherer zu machen - unter anderem durch das Konzept der Nachtboje. Was hat sich seit Beginn des Projektes getan? Wir haben mit teilnehmenden Einrichtungen und den Initiatoren gesprochen.

Nachtboje in Stuttgart: Zufluchtsorte in Notsituationen 

Die Meldungen über sexuelle Übergriffe in der Stuttgarter Innenstadt häufen sich. Immer wieder hört man von Belästigungen in Clubs oder auf der Straße. Einrichtungen, die abends oder nachts sowieso geöffnet sind, fungieren als sogenannte Nachtbojen. Hier sollen Menschen auf ihrem nächtliche Weg von A nach B oder nach Hause die Möglichkeit haben, in Notsituationen einen Zufluchts- bzw. Rückzugsort zu finden. Um einfach mal kurz durchzuatmen.

Wer mitmachen will, kann sich freiwillig als Nachtboje engagieren. Mittlerweile sind es schon über 30 Einrichtungen. Das White Noise ist eine davon: „Bevor die Awareness-Thematik aufkam, wurden bestimmte Situationen sicherlich eher hingenommen, jetzt wird man dafür sensibilisiert“, so Betreiberin Ninette Sander. Das Bewusstsein, nicht mehr alles akzeptieren und hinnehmen zu müssen, werde gestärkt. Durch solche Projekte trauen sich Betroffene eher, Dinge zu benennen und nicht einfach herunterzuschlucken. Dabei solle jeder seine eigenen Grenzen ziehen dürfen ohne in Frage gestellt werden. „Mir ist es ein großes Anliegen, dass sich die Gesellschaft für das Thema öffnet. Das ist ein super Projekt, das es zu 100 Prozent zu unterstützen gilt“, so Sander.

Schon allein Solidarität zu zeigen und zivilgesellschaftlich einzuschreiten, stärke das subjektive Sicherheitsempfinden, findet auch Annika Wagner von der Abteilung für Chancengleichheit der Stadt Stuttgart. „Es gibt Menschen, die die Werte einer offenen Gesellschaft in Stuttgart teilen.“

Wasenboje auf dem Cannstatter Volksfest

Auch die Jugendherberge International Stuttgart ist Teil der Nachtboje: „Wenn jemand aus irgendeinem Grund nicht mehr nach Hause kommen sollte, stellen wir zum Beispiel auch ein Zimmer zur Verfügung“, erzählt Herbergsleitung Helge Dörr. Während der Wasenzeit wurde das ein bis zweimal im Rahmen der Wasenboje auf dem Cannstatter Volksfest in Anspruch genommen. Die Wasenboje ist das Pendant zur Nachtboje und verfolgt den gleichen Ansatz. Der Unterschied liegt darin, dass die Wasenboje ein geschützter Raum ist und hier Fachleuten aus dem psychosozialen Bereich vor Ort sind. Die Nachtboje hingegen basiert auf einer Selbstverpflichtung, niedrigschwellig zu helfen oder bei Bedarf an Beratungsstellen weiterzuvermitteln. 

Als Nachtboje gab es in der Jugendherberge noch keine Vorfälle. Dörr vermutet, dass das auch dem Winter geschuldet ist: „Zurzeit finden keine Open-Air-Veranstaltungen auf dem Wasen statt, weswegen hier nicht so viel los ist.“ Die Einrichtung wertet das allerdings als gutes Zeichen. In der Jugendherberge in Bad Cannstatt fragen zwar tatsächlich immer mal wieder Menschen nach Hilfe. Zum Beispiel, wenn es Streit am Bahnhof gibt. Es bleibe aber bei Einzelfällen.

Das Logo der Nachtboje.
Das Logo der Nachtboje. © Landeshauptstadt Stuttgart

Erfahrungsberichte der Einrichtungen in Stuttgart sind ähnlich

Die Erfahrungsberichte der anderen Einrichtungen fallen ähnlich aus: Alexa Buz, Geschäftsführerin von Subway in Bad Cannstatt und Jack Schupeck von der Löwenstube in Wangen sind als Nachtbojen-Teilnehmer ebenfalls noch nicht zum Einsatz gekommen. Trotzdem sind sich alle einig, dass es gut ist, Anlaufstellen zu wissen, die man im Notfall aufsuchen kann.

Falls dann doch einmal jemand Hilfe braucht, sei es wichtig sensibel zu reagieren, sagt Sander. Wenn man selbst nicht betroffen ist, sei es schwierig abzuschätzen, wie traumatisch die Situation ist. „Viele Menschen verschließen sich erst einmal, wenn sie etwas Schlimmes erlebt haben.“ Der Konsens der befragten Einrichtungen lautet: „Wir waren eigentlich schon immer Nachtbojen.“ Das kann auch Dörr bestätigen: „Gerade in Bad Cannstatt kam es schon immer mal wieder vor, dass jemand vorbeigekommen ist. Und wenn es nur war, um die Toilette zu benutzen oder sich kurz aufzuhalten.“

Nachtboje in Stuttgart: Sichere Finanzierung seit diesem Jahr

Die Abteilung für Chancengleichheit der Stadt Stuttgart hat die Federführung des Projekts übernommen. Das Netzwerk der Nachtboje soll vergrößert werden. Mit dem Ziel, dass es eine Selbstverständlichkeit wird, Menschen von draußen zu helfen.  „Wir haben erst seit diesem Jahr eine sichere Finanzierung für die nächsten drei Jahre", so Annika Wagner von der Abteilung für Chancengleichheit. Dadurch lasse sich jetzt besser planen und stärker in die Akquise gehen. Allerdings müsse sich die Marke erst noch etablieren. „Mittlerweile kommen Einrichtungen aber auch schon auf uns zu.“ Themen wie Awareness, Zivilcourage und vulnerable Gruppen seien zwar gerade im Trend, Wagner ist aber davon überzeugt, dass sich das Projekt noch weiter herumsprechen wird.

Sicherheistdebatten nach Fälle sexualisierter Gewalt in Stuttgart

Hinter den Kulissen gestartet hat das Projekt eigentlich schon 2021. Angefangen hat es mit den Sicherheitsdebatten nach einigen Meldungen über sexualisierte Gewalt auf der Königstraße. Der politische Auftrag aus dem Gemeinderat lautete, sich dem Thema Sicherheit bei Nacht im öffentlichen Raum zu nähern. Um das Thema aus verschiedenen Perspektiven im Blick zu haben, hat sich 2022 eine interdisziplinäre Projektgruppe gegründet. Beteiligt sind unter anderem die kommunale Kriminalprävention, die Polizei in Stuttgart die Wirtschaftsförderung, aber auch die Koordinierungsstelle Nachtleben mit den Nachtmanager, die Clubkultur, die mobile Jugendarbeit und Vertreter verschiedener Beratungsstellen.

„Nach einer Testphase und Quartierspaziergängen mit Jugendlichen und Jugendrätinnen im Oktober 2023, haben wir mit den ersten 25 Nachtbojen und einer großen Plakatkampagne gestartet“, erzählt Wagner. Die Zielgruppe der Nachtbojen ist dabei keinesfalls eingeschränkt. „Wir möchten alle Menschen erreichen, die in ihrem Alltag wegen unterschiedlichen Merkmalen strukturell diskriminiert, bedroht oder belästigt werden."

Sicherheit im öffentlichen Raum ist eine Aufgabe für ganz Stuttgart

Themen wie Sicherheit im öffentlichen Raum, sei eine Gesamtstädtische Aufgabe, wie Wagner findet. „Es gehören viele Bausteine dazu, um eine Stadt sicherer zu machen. Neben Polizeipräsenz spiele auch Stadtplanung und Themen wie Beleuchtung und Unterführungen eine Rolle. „Das Projekt Nachtboje konzentriert sich allerdings auf das zivilgesellschaftliche Engagement, aufmerksam und respektvoll zu sein sowie aufeinander Acht zu geben.“ 

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