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Drastischer Anstieg rechter Gewalt in Baden-Württemberg: Erschreckende Details

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Besorgniserregend sind beispielsweise die Fälle an Schulen und die Zunahme der Bedrohungslage im Alltag (Symbolfoto). © Unsplash.com/Katelyn Greer

Stuttgart. Die Fach- und Beratungsstelle „Leuchtlinie“ hat für Baden-Württemberg im vergangenen Jahr einen „drastischen Anstieg“ rechter Gewalttaten festgestellt. Neben der schieren Zahl bereiten auch andere Entwicklungen Sorge – zum Beispiel die Situation an Schulen.

Trauriger Rekord bei rechter Gewalt: Hauptmotiv Rassismus

Die „Leuchtlinie“ hat 2024 laut Pressemitteilung insgesamt 135 Fälle rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt dokumentiert. Das ist ein Zuwachs von mehr als einem Drittel gegenüber dem Vorjahr. „Mindestens 168 Menschen wurden dabei verletzt, bedroht oder anderweitig angegriffen.“ Das Hauptmotiv in den meisten Fällen: Rassismus.

Die Beratungsstelle berücksichtigt für ihre jährliche Erhebung unter anderem behördliche Meldungen, mediale Berichterstattung und Aussagen betroffener Personen. Der Beratungsbedarf habe 2024 einen Höchststand erreicht. Ein alarmierendes Signal. Alarmierend ist auch, was ein genauerer Blick auf die Gewalttaten offenbart. Fünf Beispiele.

Punkt 1: Intensität der Gewalt nimmt zu

Die Zahl der Körperverletzungen ist im Vergleich zum Vorjahr laut „Leuchtlinie“ um fast 20 Prozent angestiegen. Insgesamt wurden 60 Körperverletzungen erfasst. Dazu komme ein versuchter Mord durch Brandstiftung an einer bewohnten Unterkunft. Auffällig sei, dass mehr als die Hälfte der Taten nicht von einer Einzelperson begangen wurden.

Punkt 2: Rassismus ist weiter Tatmotiv Nummer eins

In 59 Prozent der Fälle sei Rassismus das Tatmotiv. „Besonders häufig wurden antimuslimischer Rassismus (19 Fälle), Anti-Schwarzer Rassismus (14) und Antiziganismus (9 Fälle) registriert.“

Besonders brisant: Acht rassistische Angriffe seien von Polizeikräften oder anderen Vertretern des Staates ausgegangen. Solche Fälle seien geeignet, das Vertrauen in staatliche Strukturen negativ zu beeinflussen.

Punkt 3: Tatort Schule – und Lehrer als Täter?

Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die von rechter Gewalt betroffen sind, sei mit 29 Betroffenen in 23 Fällen weiterhin besorgniserregend hoch. Auffällig dabei: „Schulen und andere Bildungsstätten wurden zunehmend zu Tatorten“, so die Beratungsstelle. 2024 habe es 19 Fälle rechter Gewalt an Bildungsstätten gegeben.

In fünf dieser Fälle seien Lehrkräfte oder Erziehende als Täter benannt worden – für die Beratungsstelle ein Hinweis auf die Gefahr von Machtmissbrauch und institutionellem Rassismus. „Als Konsequenz aus vergangenen Vorfällen müssen strukturelle Maßnahmen zur Prävention und Aufarbeitung entwickelt werden“, sagt Kerstin Müller, Leiterin der „Leuchtlinie“.

Punkt 4: Gewalt gegen queere Menschen steigt drastisch

Queerfeindliche Gewalttaten haben sich laut „Leuchtlinie“ im Jahr 2024 mehr als verdoppelt. „19 Übergriffe auf Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität wurden erfasst“, heißt es in der Pressemitteilung. „Die Angriffe fanden vor allem im Wohnumfeld statt, aber auch bei CSD-Veranstaltungen und im Umfeld von Fußballspielen.“

Besonders beunruhigend ist für die Verantwortlichen in diesem Zusammenhang das verstärkte Auftreten junger extrem rechter, queerfeindlicher Gruppierungen. Gruppen wie jene, die zuletzt bei den „Gemeinsam für Deutschland“-Demos unter anderem in Stuttgart in Erscheinung traten.

Punkt 5: Bedrohungslage im Alltag nimmt zu – besonders im Wohnumfeld

Ein Drittel der Betroffenen waren im Jahr 2024 Frauen und Mädchen, schreibt die „Leuchtlinie“. „Die Angriffe zielten häufig auf rassifizierte Frauen oder politische Gegnerinnen und reichten von massiven Bedrohungen im Wohnumfeld bis hin zu körperlicher Gewalt im öffentlichen Raum.“

Bedrohungen und Nötigungen haben den Erhebungen zufolge im letzten Jahr insgesamt zugenommen. „Besonders häufig wurden die Menschen im Wohnumfeld angegriffen, aber auch öffentlichen Orten, in Bildungsstätten und im Internet.“ Sprich: Dort, wo sie sich im Alltag bewegen.

Rechte Gewalt steigt: „Angriff auf das solidarische Zusammenleben“

Die Beobachtungen der Fach- und Beratungsstelle decken sich mit weiteren Erhebungen. Das Innenministerium Baden-Württemberg vermeldete beispielsweise gerade erst ein Rekordhoch bei Hasskriminalität in Baden-Württemberg. Die Täter stammen der Behörde zufolge vor allem aus dem rechten Spektrum.

„Für Betroffene ist es wichtig, dass die politische Motivation der Tat gesehen wird und die Taten nicht entpolitisiert werden“, sagt Gökay Sofuoglu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde Baden-Württemberg. Die Verantwortlichen der „Leuchtlinie“ sehen in der Zunahme rechter Gewalt einen „Angriff auf das solidarische Zusammenleben“. Die neusten Entwicklungen seien besorgniserregend.

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