Großer Bauernprotest in Stuttgart: "Es ist ein ständiger Kampf mit der AfD"
Bei einer Demonstration in Stuttgart haben Landwirte am Montag (08.01.) mit Unterstützung anderer Branchen ihren Forderungen an die Ampel-Regierung Nachdruck verliehen. Die Verantwortlichen zeigten sich bemüht um einen friedlichen, politisch neutralen Protest, bei dem Argumente im Vordergrund stehen sollen. Die Demo zeigte aber auch, wie schwer es trotz vieler Bemühungen ist, sich gegen Vereinnahmungsversuche durch Querdenker und Rechtsextremisten zu wehren.
Winzer Michael Warth: „Friedlich sein ist der beste Weg“
Gegen 10.30 Uhr beschallte am Montagvormittag laute Musik den Rotebühlplatz im Herzen Stuttgarts. Gegen 11 Uhr rollten dann wie geplant die ersten Traktoren ein – unter Jubel der mehreren hundert Demo-Teilnehmer, die sich bis dahin dort versammelt hatten. Auch zahlreiche Lkws und Transporter von Handwerksbetrieben beteiligten sich am Demonstrationszug. Insgesamt 500 Fahrzeuge seien es gewesen, die sich am Morgen auf dem Cannstatter Wasen gesammelt hatten, sagte Winzer Michael Warth aus Untertürkheim. Nur ein Teil davon fuhr mit zur Kundgebung in der Stadtmitte. Michael Warth hatte die Demo initiiert, sein Namensvetter Klaus Warth, ebenfalls Winzer in Untertürkheim, hatte sie bei der Stadt angemeldet.
„Friedlich sein ist der beste Weg“, sagte Michel Warth gleich zu Beginn der Kundgebung. In seiner kurzen Eingangsrede kritisierte er die Pläne der Bundesregierung, die Steuererleichterungen für Agrardiesel abzuschaffen – eine zentrale Forderung der Bauernproteste. Winzerin Steffi Schwarz aus Stuttgart wünschte sich in ihrer Rede eine Politik des Zuhörens und Verstehens, fühlt sich nach eigener Aussage „vergessen und übergangen“. Die Bauern als „Rückgrat unserer Gesellschaft“ würden nicht genug wertgeschätzt. In den Reden der Verantwortlichen wurde deutlich, dass die Landwirte sich einen sachlichen Diskurs mit den politischen Verantwortlichen wünschen. Man sprach sich gegen persönliche Angriffe und für politische Neutralität aus.
Rechte Szene und Bauernprotest: Hinfiebern auf den 8. Januar
Das hat seine Gründe. Seit Beginn der Bauernproteste versucht die rechte Szene, diese für sich zu vereinnahmen. Der Bauernverband distanziert sich seitdem regelmäßig, in Stuttgart durften Vertreter der AfD bei einer Kundgebung im Dezember nicht sprechen. Der Landesverband war stinksauer. Die rechte Szene reagiert mittlerweile mit ihrer eigenen Erzählung auf die Distanzierungen: Der Verband spalte, heißt es, die Mehrheit der Bauern sehe das bestimmt anders. Dass die AfD selbst Subventionen in der Landwirtschaft ablehnt, wird unter den Tisch fallen gelassen.
Den angekündigten Protesten vom 8. Januar wurde in der rechten Szene regelrecht entgegengefiebert. Rechtsextreme Magazine kündigten Livestreams an, rechtsextreme Parteien teilten Demo-Termine, die Querdenker-Szene rührte die Werbetrommel, als handle es sich um die eigenen Kundgebungen. Jeder wollte mitmischen, jeder den Eindruck erwecken, man sei selbst Teil dieser Bewegung, vielleicht sogar Vorreiter. Manche träumten gar vom „Generalstreik“.
Im Abseits: „Junge Alternative“ muss wieder gehen
Das machte sich auch am Montag in Stuttgart bemerkbar. Schon im Vorfeld hatte die AfD-Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ (JA) zu einer Unterstützung des Protests aufgerufen. Am Vormittag kam dann eine kleine Gruppe rund um Landessprecher Severin Köhler mit JA-Fahnen und Transparenten zur Kundgebung – und wurde offenbar recht schnell gebeten, die Fläche zu verlassen. Winzer Klaus Warth thematisierte das auch auf der Bühne, ohne den Namen der Partei zu nennen. Statt bei der Menge am Rotebühlplatz zu stehen, schoss die JA daher in einigen Metern Entfernung Fotos für die eigene Propaganda.

Im Publik fanden sich einige wenige Anhänger des rechten Vereins „Zentrum“, klar erkennbar an Fahnen und Westen. Auch Aktivisten der Querdenker-Szene waren vor Ort. Der wegen Volksverhetzung verurteilte Ralph B. aus dem Rhein-Neckar-Kreis trieb sich beispielsweise früh im Hintergrund des Wagens herum, auf dem die Reden gehalten wurden und verfolgte zwischenzeitlich einen Pressefotografen über das Gelände. Auch Landtagsabgeordnete der rechtsextremen AfD wie Fraktionschef Anton Baron oder sein Vize Udo Stein, gegen den aktuell die Staatsanwaltschaft ermittelt, standen im Publikum.
Offenes Mikrofon: AfD und Querdenker wittern ihre Chance
Die Verantwortlichen blieben klar in ihrer Distanzierung, folgten auf der Bühne der Linie des Bauernverbandes, mit Rechten nichts zu tun haben zu wollen, und lobten die Arbeit „ihres Präsidenten“ Joachim Rukwied. Die Junge Alternative blieb an den Rand gedrängt, die erkennbar Rechten im Publikum unter den etwa 600 Demonstrierenden in einer verschwindend geringen Minderheit. Dann entschlossen sich die Verantwortlichen, das Mikrofon für alle, die etwas sagen wollen, zu öffnen – und Rechte und Querdenker witterten ihre Chance.
Der größere Teil der Redner beim offenen Mikrofon wies entweder Verbindungen zur AfD, oder in die Querdenker-Szene auf. Wer sich nicht mit diesem Milieu beschäftigt, dürfte sie kaum kennen. Ihre Reden blieben regelrecht unauffällig, aber gespickt mit szenetypischen Themen. Die aus Querdenker-Kreisen bekannte Esther S. freute sich darüber, „dass die Spaltung ein Ende hat“ und forderte die Anwesenden dazu auf, Menschen in Not zu helfen. Ralph B. hielt ebenfalls eine kurze Rede. „Hört endlich auf, euch von irgendwelchen Menschen zu distanzieren“, sagte er, und dass niemand Umsturzfantasien hege. Eine Frau in „Zentrum“-Weste richtete übermittelte Grüße des rechtsradikalen Vereins, auch ein ehemalige AfD-Landtagskandidat schnappte sich das Mikrofon.
AfD-MdB Dirk Spaniel am Mikrofon: Ein „Stuttgarter Bürger“
Ein Auftritt irritierte besonders: Trotz der klaren Distanzierung von seiner Partei, deren Namen die Veranstalter nicht mal in den Mund nehmen wollten, durfte der AfD-Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel sprechen – zur sichtlichen Freude der „Jungen Alternative“. Vorgestellt wurde der Bundestagsabgeordnete der rechtsextremen Partei als „Stuttgarter Bürger“, seine Parteizugehörigkeit erwähnten weder die Veranstalter noch Spaniel selbst. Spaniel nannte Stuttgart „das Herz des Widerstands“. Der AfD-Politiker stellte den Bauernprotest in eine Linie mit den Querdenker-Demonstrationen der vergangenen zwei Jahre. Er wetterte gegen Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) und forderte die Demonstrierenden auf, eine andere Politik zu wählen.

„Wir wussten, wer Herr Spaniel ist“, sagte Michael Warth im Anschluss auf Nachfrage. Und erklärte, welche Linie man bei der Demonstration fahren wollte: Symbole von Parteien wollte man vermeiden, Parteizugehörigkeiten nicht nennen. Er selbst engagiere sich politisch bei der CDU, andere Landwirte bei FDP, Grünen und anderen Parteien. Spaniel habe – wie jeder andere auch – als Bürger sprechen dürfen, unter der Bedingung, dass er seine Partei nicht erwähne und keine politische Rede halte.
Protest-Initiator: AfD versucht Whatsapp-Gruppe zu infiltrieren
Die Gefahr, dass die AfD und andere rechte Gruppierungen die Bauernproteste für sich vereinnahmen könnten, sei ihm durchaus bewusst. „Es ist ein ständiger Kampf mit der AfD“, so Michael Warth. Vor drei Wochen eröffnete er eine Whatsapp-Gruppe, um den Protest zu organisieren. Anfangs zeigte kaum jemand Interesse. Dass daraus so eine große Demonstration werden würde, hätte er nicht für möglich gehalten. Früh hätten sich immer wieder AfD-Leute in seiner Whatsapp-Gruppe zu Wort gemeldet, die er allesamt angeschrieben habe, um sie dazu bewegen, das zu unterlassen. „Mittlerweile versucht die AfD über andere Leute die Gruppe zu infiltrieren.“ Er sei bemüht, dem Einhalt zu gebieten, aber es sei schwierig.

Wie schwierig, das ließ auch der Montag in Stuttgart erahnen. An der ablehnenden Haltung zur AfD ließen die Veranstalter keinerlei Zweifel aufkommen. Sie machten deutlich, dass sie sich nicht politisch vereinnahmen lassen wollen. Der Ausschluss der „Jungen Alternative“ mit ihren Plakaten war nur eines der klaren Signale, die dahingehend gesendet wurden.
Das offene Mikrofon wussten die, die den Protest so gerne für sich vereinnahmen wollen, trotzdem für ihre Inszenierungszwecke zu nutzen. Dirk Spaniel zeigte sich in einem Video auf seiner Facebook-Seite am Nachmittag sichtlich erfreut, posierte vor Plakaten und machte Scherze über die Distanzierung der Veranstalter von der rechtsextremen Partei. Der Beitrag lässt keinen Zweifel daran: Spaniel war als AfD-Mann dort, nicht als „Stuttgarter Bürger“.