Ludwigsburg: AfD hetzt gegen Kinderbuch-Lesung mit Drag-Queen
Die Wiener Drag-Queen Candy Licious will am 22. Oktober in Ludwigsburg aus Kinderbüchern vorlesen. Begleitet wird sie von einem Einhorn, heißt es in der Vorankündigung. Die Veranstaltung soll Kindern Mut machen, soll vermitteln, dass es okay ist, wenn man "anders" ist. Die rechtsextreme AfD und ihre Nachwuchsorganisation, die "Junge Alternative" (JA) machen dagegen Stimmung. Es ist nicht der erste Versuch der Partei, Drag-Lesungen in die Nähe von Kindesmissbrauch zu rücken. Candy Licious und die Veranstalter weisen das scharf von sich.
Botschaft der Veranstaltung in Ludwigsburg: "Wir sind alle Menschen"
"Wir sind alle unterschiedlich und anders und somit sind wir auch alle normal – wir sind alle Menschen." Mit diesen Worten wirbt der Verein "Demokratisches Zentrum Verein für politische und kulturelle Bildung", kurz DemoZ, für die Lesung. "Die bunte Drag-Kunst vermittelt Selbstliebe, Diversität und Akzeptanz – gut verpackt in kindgerechte Geschichten, die genau diese Botschaften enthalten." Es gehe um mutige Helden, ausgeschlossene Tiere und abenteuerliche Piratinnen, "die alle am Ende der Geschichte mit ihrem 'Anderssein' etwas Großes schaffen."
Wo andere eine nette Veranstaltung für Kinder sehen, die positive Werte vermittelt, malen AfD und JA ein bedrohliches Szenario an die Wand. Tenor: Die Kinder sind in Gefahr. Reimond Hoffmann, Mitglied im Landesvorstand der AfD Baden-Württemberg, will sich laut der in Sozialen Medien veröffentlichten Pressemitteilung für ein Verbot von Drag-Lesungen einsetzen. Er rückt die Veranstaltungen in die Nähe von Kindesmissbrauch. Für den AfD-Landtagsabgeordneten Bernhard Eisenhut wird hier "das sexuelle Heranpirschen von erwachsenen Männern an kleine Kinder ermöglicht." Und JA-Landessprecher Severin Köhler warnt im rechter Szene-Tradition vor "Frühsexualisierung", weil Kindern angeblich "Sexbücher" vorgelesen würden.
DemoZ Ludwigsburg will sich von Hetze nicht einschüchtern lassen
Wie AfD und JA darauf kommen, ist den Veranstaltern ein Rätsel. "Wir möchten klarstellen, dass es sich bei der Lesung keinesfalls um sexualisierte Inhalte handelt, sondern das Ziel verfolgt wird, vielfältige Lebensentwürfe darzustellen und damit zum Beispiel Jungen zu ermutigen, wenn sie für ihr Hobby Tanzen gehänselt werden", heißt es auf Nachfrage. Ein Mensch, der ein Kleid trage, trage ein Kleid – nicht mehr. "Wer das alleinige Tragen eines Kleides von wem auch immer für sexualisierend hält, sollte sich fragen, woher diese Einstellung kommt und zum Wohle aller Abstand halten von Personen in Kleidern, egal welchen Alters."
Die "Vielfalt und Schönheit von Menschen aufzuzeigen, und sie zu ermutigen, sie selbst zu sein" sei ein wichtiger Teil des Bildungsauftrags, die Veranstaltung Teil der demokratischen Meinungsbildung. "Die Lesung 'untersagen' zu wollen zeigt eindeutig, welches Verständnis von Meinungs- und Kunstfreiheit die AfD-Politiker haben", so DemoZ. Einschüchtern lasse man sich von "der menschenverachtenden Hetze" nicht und freue sich weiter auf eine "verträumte Kinderbuchlesung".
Kein neues Phänomen: Wie Rechtsextreme gegen Vielfalt mobilisieren
Die Aussagen der rechtsextremen AfD und ihrer Nachwuchsorganisation sind im Kontext ihrer völkischen Familienpolitik und Wertevorstellungen nicht verwunderlich. In rechten bis rechtsextremen Kreisen finden solche Aussagen regelmäßig Anklang. "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bildet einen grundlegenden Bestandteil rechtsextremistischer Ideologie und Agitation", schreibt das Bundesamt für Verfassungsschutz. "Aktuell wird in der rechtsextremistischen Szene vermehrt gegen die LGBTQI+-Community agitiert."
Auch für Len Schmid von der Fachstelle Mobirex im Demokratiezentrum Baden-Württemberg ist das kein neues Phänomen. Hetze gegen Drag-Lesungen habe man zuletzt erst in München und Wien beobachten können. "Es gibt eine massive Mobilisierung gegen Vielfalt, gegen das Aufbrechen von Geschlechterrollen und gegen sexuelle Bildung", sagt Schmid. Vor allem die USA, wo das Verbot von Drag-Lesungen teilweise debattiert wird, teilweise schon umgesetzt ist, und zuletzt mehrere transfeindliche Gesetze erlassen wurden, sei ein Vorbild.
"Antifeminismus, auch von der AfD ausgehend, begründet sich auf der Vorstellung einer natürlichen Geschlechterordnung, die binär und heterosexuell ist, und von der heterosexuellen Kleinfamilie als eine Art ‚Keimzelle der Nation‘ ausgeht." Worte wie "Drag" und "Trans" würden in diesem Kontext miteinander vermischt und als Chiffren genutzt, in die ganz viel hineininterpretiert werde. "Es wird so getan, als seien das alles Pädosexuelle, die nach unseren Kindern greifen." Mit Hilfe von Fake News werde Stimmung gemacht, sagt Schmid. Indem man beispielsweise Videos aus anderen Kontexten verwende und damit suggeriere, bei Drag-Lesung wären alle nackt. Auch das angeblich bedrohte Kind ist laut Schmid in diesem Zusammenhang nur eine Chiffre, die es ermögliche, den Diskurs emotional aufzuladen. "Damit wird versucht, Eltern anzusprechen und zu mobilisieren."
Candy Licous: "Eine Drag-Queen macht ein Kind nicht schwuler oder lesbischer"
Candy Licious hat bereits einige Erfahrungen mit Hetze gegen Kinderbuchlesungen machen müssen. Im März fand eine Veranstaltung unter Polizeischutz statt, wie der ORF berichtete. Im Juni 2022 wurde der Eingang zur Bücherei, in der Candy Licious lesen sollte, zugemauert. Auf der Mauer stand laut "Der Standard" eine queerfeindliche Parole geschrieben. "Absagen musste ich noch nichts", sagt sie, "aber wenn gehetzt wird, dann wird das auch zur Anzeige gebracht."
Dass Rechte gegen ihre Lesungen Stimmung machen, liege auch daran, dass viel Unwissen über das Thema herrsche. "Drag ist eine Kunstform", sagt die Drag-Queen im Gespräch mit unserer Redaktion. "Es ist eine Möglichkeit, um mit Kostümen und bunten Outfits das triste Alltagsleben zu übermalen". Drag stehe für "dressed as a girl" – und sei bei weitem kein neues Phänomen. Seine Wurzeln habe es im Theater. "Das kommt aus einer Zeit, als es Frauen gar nicht erlaubt war, Theater zu spielen, und Männer diese Rollen übernommen haben." Heute könne jeder Drag-Kunst machen, "nicht nur schwule Männer". Auch über die Entwicklung von Kindern herrsche offenbar viel Unwissen, sagt Candy Licious. "Eine Drag-Queen macht ein Kind nicht schwuler oder lesbischer. Mir hat als Kind keine Drag-Queen vorgelesen, trotzdem bin ich heute, wie ich bin."
Lesung in Ludwigsburg: Besorgte Eltern sollen sich selbst ein Bild machen
Candy Licious betont im Gespräch, dass kein Kind gezwungen werde, ihre Lesungen zu besuchen. "Ich hatte mittlerweile auch schon zwei Eltern, die danach zu mir kamen, und meinten, sie hätten sich jetzt ein Bild gemacht", sagt sie. Tenor: Das sei ja gar nicht schlimm. "Von daher lade ich auch gerne besorgte Eltern ein, sich das in Ruhe anzuschauen und nicht vorschnell zu urteilen, dass da irgendetwas Schlechtes passiert."
Die Veranstaltung findet am 22. Oktober beim DemoZ in Ludwigsburg statt. In der Ankündigung heißt es: "Die Kinderbuchlesung eignet sich für Kinder ab 4 Jahre bis 100 Jahre."