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Treffen in Stuttgart: AfD-Jugend, Identitäre und das "freundliche Gesicht des NS"

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Eine Fahne der AfD-Nachwuchsorganisation "Junge Alternative" bei einer Demo in Stuttgart. © Gabriel Habermann (Archiv)

Am Samstag (15.07.) hat sich die AfD-Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ (JA) mit dem Dortmunder AfD-Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich getroffen. Das Treffen, dass laut JA in Stuttgart stattfand, wäre an sich schon bemerkenswert genug – doch es kursieren auch Bilder, die Helferich am selben Ort mit Vertretern der rechtsextremen Identitären-Gruppe „Wackre Schwaben“ zeigen. Ein weiterer Schritt der Partei auf dem Weg der Annäherung an offen rechtsextremistische Kräfte?

Identitären-Gruppe: "10.000 Patriotenpunkte" für Matthias Helferich

„Danke an Matthias Helferich für Deinen Besuch bei uns!“ heißt es in einem Facebook-Beitrag der JA Baden-Württemberg vom Sonntag (16.07.). Der Beitrag zeigt ein Bild der JA-Vertreter, darunter der Backnanger Stadtrat Steffen Degler, mit dem Dortmunder Bundestagsabgeordneten.

Es gibt noch ein weiteres Bild dieser Veranstaltung. Die Rechercheplattform IB-Doku hatte darauf zuerst bei Twitter aufmerksam gemacht. Das Foto, das offenkundig am selben Tag und Ort aufgenommen wurde, zeigt Helferich mit Mitgliedern der rechtsextremen Identitären-Gruppe „Wackre Schwaben“. Auf dem Foto ist einer der führenden Köpfe, Michael S. aus Stuttgart, klar zu erkennen. Die Identitären veröffentlichten das Foto hinterher auf diversen Instagram-Accounts und verliehen Helferich dafür „10.000 Patriotenpunkte“.

Matthias Helferich: Chatnachrichten mit Nationalsozialismus-Bezug

Wer Matthias Helferich nicht kennt: Der AfD-Politiker wurde 2021 bundesweit bekannt, als der WDR Auszüge aus Chats von 2016 bis 2017 veröffentlichte. Helferich nannte sich darin unter anderem „das freundliche Gesicht des NS“ – NS steht für Nationalsozialismus. Er fragte außerdem, ob er den „demokratischen Freisler“ bei einem Landeskongress der Partei geben solle. Roland Freisler ist der wohl bekannteste NS-Strafrichter, verantwortlich für etliche Hinrichtungen, darunter die der Geschwister Scholl. Freisler nahm außerdem an der Wannseekonferenz teil, wo die Koordination des Holocaust in engstem Kreis besprochen wurde.

In der AfD sorgte der Vorfall damals für Streit, Helferich ist bis heute kein Mitglieder Bundestagsfraktion und sitzt dort als fraktionsloser Abgeordneter. Der Dortmunder Politiker stellte die Chatnachrichten später als ironisch hin, und entschuldigte sich dafür so „unachtsam“ gewesen zu sein, Gegnern der AfD Angriffsfläche zu bieten. Auch nach diesem Eklat war Helferich bei rechtsradikalen bis rechtsextremen Medien zu Gast, darunter der österreichische Sender „Auf1“.

"Kein Gesinnungs-TÜV": Identitäre wollten angeblich nur "Erinnerungsfoto"

Auf das aktuelle Foto mit den rechtsextremen Identitären angesprochen sagte Helferich unserer Redaktion, er werde aktuell „deutschlandweit von patriotischen Bürgerinitiativen und AfD-Ortsgruppen zum Thema ‚Remigration‘ eingeladen.“ Es komme vor, dass Zuhörer „um Erinnerungsfotos bitten“, wobei er vorher „keine Gesinnungs-TÜVs“ durchführe. „Mir sind alle demokratischen Kräfte willkommen, die sich für den Erhalt unserer Heimat einsetzen.“ JA-Vorstandsmitglied Degler äußerte sich auf Nachfrage ähnlich: „Besucher werden von unser keiner Gesinnungsprüfung unterzogen.“

Bemerkenswert an Helferichs Antwort: Der Begriff „Remigration“ wird in der rechten Szene vor allem von Identitären verwendet. Sie verstehen darunter eine Zwangs-Rückführung von Migranten in deren Herkunftsländer. Unter „demokratische Kräfte“ fallen die Rechtsextremisten nicht, wie nicht zuletzt Verfassungsschutzämter regelmäßig feststellen. Helferich hat dennoch keine Berührungsängste zu dieser Szene. Dem Medium der rechtsextremen Identitären in Österreich, dem „Heimatkurier“, gab er zuletzt ein Interview, in dem er deren Engagement lobte. „Der momentane Siegeszug des patriotischen Lagers in Deutschland ist ohne das beharrliche Engagement des publizistischen, aktivistischen Vorfelds undenkbar.“

AfD, JA und "Vorfeld": "Teil eines großen Mosaiks"

Es ist dieses „Vorfeld“, bestehend aus rechtsextremistischen Organisationen, um das sich sowohl die AfD als auch die Parteijugend zurzeit verstärkt bemühen. Helferich war beispielsweise erst kürzlich beim Sommerfest des „Institut für Staatspolitik“ (IfS) zu Gast, das vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird. AfD-Bundesvorstandsmitglied Maximilian Krah sagte bei dieser Veranstaltung, man sei „derselben Meinung bei den wesentlichen Fragen“.

Die „Junge Alternative“ bekannte sich erst im Herbst im Rahmen ihres Jahreskongresses zu den geladenen rechtsextremistischen Organisationen, darunter auch das IfS. „Als Parteijugend des Widerstands sind wir Teil eines größeren Mosaiks.“ Im April stufte das BfV die JA als gesichert rechtsextremistisch ein, hat diese Einstufung aktuell aber ausgesetzt. Hintergrund ist ein Eilantrag von AfD und JA gegen die Einstufung und das daraus resultierende laufende Verfahren. Technisch gesehen gilt die JA damit wieder, wie die Mutterpartei AfD, als rechtsextremistischer Verdachtsfall.

"Wackre Schwaben"-Führungskader Michael S.: AfD-"Missgeschick" im Landtag

Es ist nicht das erste Mal, dass der Stuttgarter Identitäre Michael S. bei einer JA-Veranstaltung zu Gast war. Am 20. Mai posierte S. für ein Foto im baden-württembergischen Landtag mit JA-Mitglieder und dem AfD-Fraktionschef Anton Baron. Unsere Redaktion hatte zuerst darüber berichtet. Baron sagte dem SWR später, es habe sich um ein „Missgeschick“ gehandelt. Die JA reagierte damals nicht auf unsere Anfrage.

Vor diesem Hintergrund ist unwahrscheinlich, dass die JA von der Anwesenheit der Identitären nichts wusste. Eine Distanzierung von der rechtsextremen Gruppierung erfolgte nicht. Das wäre auch wenig glaubwürdig. Dass sich das "freundliche Gesicht des NS“ und Identitäre auf einer JA-Veranstaltung treffen passt dagegen ins Bild, dass sich Beobachtern in den letzten Monaten bot: Die AfD und ihre Nachwuchsorganisation rücken immer weiter und offener in die Nähe des außerparlamentarischen Rechtsextremismus.

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