Stuttgart & Region

Maschinenpistole und Zuckerwatte: Mit Polizisten auf dem Frühlingsfest Stuttgart

Wasenwache
Von links nach rechts: Fabian Usenbenz, Daniel Rouvel und Marie-Theres Finkbeiner. © Benjamin Buettner

Das Stuttgarter Frühlingsfest zieht täglich tausende Menschen an. Zu bestimmten Zeiten strömen regelrechte Massen über das Gelände am Cannstatter Wasen. Und wo viele Menschen sind, gibt es erfahrungsgemäß auch Verbrechen. Die Polizei Stuttgart versucht in all dem Trubel zwischen Riesenrad, Festzelt und Fressmeile den Überblick zu behalten. Wir haben ein Team aus drei Polizisten einen Abend lang bei ihrem Kontrollgang begleitet – der geprägt war von positiven Erlebnissen und brenzligen Situationen.

Treffen vor der Wasen-Wache: „Ein Polizeirevier auf Zeit“

Wenn man vom Parkplatz P10 auf den Cannstatter Wasen läuft, stehen kurz nach dem Eingang Containerbauten auf der rechten Seite. In einem davon ist die Wasenwache untergebracht. „Im Prinzip ist das ein Polizeirevier auf Zeit“, sagt Stephan Widmann. Bei Festen, Konzerten, Fußballspielen oder anderen Großveranstaltungen greife die Polizei auf die Räumlichkeiten zurück. Widmann ist Sprecher des Polizeipräsidiums Stuttgart, und hat sich mit uns für den Mittwochabend (26.04.) hier verabredet. Wir wollen eine Polizeistreife beim Rundgang über das Frühlingsfest begleiten.

Das Team besteht aus drei Leuten: Marie-Theres Finkbeiner und Fabian Usenbenz vom Polizeipräsidium in Stuttgart, und Daniel Rouvel von der angegliederten Einsatzhundertschaft, die immer dann hinzugezogen wird, wenn eine sogenannte „Großlage“ ansteht. Das kann eine Demo sein, ein VfB-Spiel – oder eben das Stuttgarter Frühlingsfest.

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Auf dem Wasen gibt es Hotspots, an denen die Polizei besonders häufig zu tun hat: Vor dem  Festzelt. Oder beim Fahrgeschäft Breakdance. © Benjamin Büttner

Stuttgarter Frühlingsfest: Anders als der Polizei-Alltag

Unterscheiden sich die Situationen denn? Volksfest und VfB-Spiel? „Die Auseinandersetzungen hier sind eigentlich nie geplant“, sagt Rouvel. Im alkoholisierten Zustand könne ein kleiner Rempler vorm Festzelt zur Eskalation führen. Emotionen hochkochen lassen. „Aber hier gibt es keine festen Lager“, sagt er, keine „Problemfans“, die es von Vorneherein aufeinander abgesehen haben.

Auch mit dem Polizei-Alltag lasse sich ein Volksfest nur schwer vergleichen, da sind sich alle einig. „Der Umgangston ist viel angenehmer“, sagt Rouvel. In der Regel wird die Polizei im Tagesgeschäft zu Situationen gerufen, in denen schon etwas vorgefallen ist. Die Stimmung ist dann entsprechend angespannt. „Hier kommen wir auch viel ins Bürgergespräch“. Davon werden wir uns später noch selbst überzeugen können.

Familientag: Rote Rosen für die Polizisten

Heute ist Familientag auf dem Wasen. Während wir uns in Bewegung setzen, springen Kinder über das Gelände, Luftballons schweben über ihren Köpfen. Die Sonne scheint. Aus den Fahrgeschäften dringt vergnügtes Kreischen. Es riecht nach Friteusenfett und Zuckerwatte. Ein Kleinkind, das kaum laufen kann, fällt auf die Schottersteine beim Almhüttendorf. Tränen kullern. Marie-Theres Finkbeiner hilft ihm wieder auf die Beine. „Das ist ja schön“, sagt ein Mann. Die Mutter bedankt sich.

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ZZu Beginn des Rundgangs stecken in der Brusttasche der Polizistin drei Rosen. Später ist es ein ganzer Strauß. © Benjamin Büttner

Es mag am Tag liegen, aber die ganze Atmosphäre wirkt sehr familiär. Jugendliche stecken den Polizisten Plastikrosen zu, die sie vermutlich beim Schießstand gewonnen haben. Marie-Theres Finkbeiner hat am Ende einen ganzen Straß zusammen. Ein Junge versucht sich sogar in Ansätzen eines Flirts. „Du bist ja Polizistin, mein Freund und Helfer. Aber ich habe auch eine Freundin“, sagt er. Am Ende überzeugt ihn Finkbeiner, die Rose für seine Herzensdame aufzuheben. Die Rosen sind für die Polizistien nicht nur ein Zeichen der Wertschätzung. Manchmal erfüllen sie auch einen ganz praktischen Zweck, erklärt Finkbeiner. "Wenn wir ein Kind auf der Wache haben, dass seine Eltern verloren hat, ist die Blume ein guter Eisbrecher."

Während wir über das Gelände gehen, werden die drei Beamten immer wieder gegrüßt. Von Kindern, die sich freuen, zwischen Polizeiautos beim Karussell und Luftballons mit Polizeihund Chase aus der Serie „Paw Patrol“ mal echte Polizisten zu sehen. Von Kollegen, die ihre freie Zeit nutzen, um über den Wasen zu schlendern. Oder den Schaustellern. Man kennt sich. „Da bilden sich fast schon Freundschaften“, sagt Polizeisprecher Widmann, der selbst jahrelang auf dem Wasen im Einsatz war.

Grandls Hofbräuzelt: „Das ist Luigi“

Am Eingang von Grandls Hofbräuzelt sprechen sich die Polizisten kurz mit der Security ab, dann werfen sie einen Blick hinein. Wie auf Kommando nehmen alle ihre Mützen ab. „Ich finde, das gehört sich so“, sagt Fabian Usenbenz. Im Inneren ist es ruhig. Auf der Bühne nicht. Ein Mann steht dort und heizt die Stimmung an. Daniel Rouvel zeigt mit dem Finger auf ihn und sagt: „Das ist Luigi“.

„Wir haben vor kurzem darüber gesprochen, wer hier schonmal jemand Prominentes getroffen hat“, erklärt Marie-Theres Finkbeiner. Ihre beiden Kollegen hätten dann von Luigi erzählt. Sie habe mit dem Namen nichts anfangen können. „Luigi ist seit mindestens 10 Jahren der Entertainer im Grandls“, sagt Rouvel. Das „der“ zieht er in die Länge, quasi: the one and only – der Mann, der Mythos.

Im Augenwinkel: Die Gefahren der Plastik-Pistole

Wir setzen den Rundgang fort. Daniel Rouvel dreht plötzlich den Kopf. Sieht etwas im Augenwinkel. Geradlinig geht er auf eine Gruppe von drei jungen Männern zu, die am Zaun neben einem Imbiss stehen. Einer von ihnen hält eine Zigarette in der einen Hand, und in der andren eine Pistole. Aus Plastik. Spielzeug. Der Lauf zeigt nach unten, die Finger sind am Abzug. Sein Kumpel hat die Kugeln dazu in der Handfläche liegen.

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Die Polizisten gehen mit geschärften Sinnen über den Wasen. © Benjamin Büttner

Es wird diskutiert. „Wenn du damit schießt, kannst du trotzdem jemanden treffen“, sagt Rouvel. Er bittet den Jugendlichen, die Waffe wegzustecken. Offenbar hat er sie an einer der Buden gewonnen. Bei der anschließenden Personenkontrolle stellt sich heraus, dass er minderjährig ist. Die Zigaretten muss er abgeben. Sein offenbar volljähriger Freund fragt: „Kann ich die nicht nehmen?“ – aber daraus wird nichts.

„Ich habe sofort gesehen, dass es sich um eine Plastikwaffe handelt“, sagt Rouvel. Eine klare, gut sichtbare Kennzeichnung habe aber gefehlt. „Wenn er später einem Kollegen begegnet, im Dunklen, und die Waffe dabei so hält, kann das gefährlich werden.“ Polizeisprecher Widmann findet: „Es ist ein Unding, dass sowas hier verlost wird.“ Dass Rouvel die Waffe überhaupt wahrnehmen konnte, liege an der Erfahrung. „Man entwickelt ein Auge für solche Situationen“, sagt er. Eine kleine Erinnerung daran, dass die drei Polizisten auch ganz anderes gewohnt sind. Und darauf gefasst sind, dass die Stimmung jederzeit umschlagen kann.

Brenzlige Situationen: Ein falsches Wort, schon brennt die Luft

Auf dem Frühlingsfest gibt es immer wieder auch brenzligere Situationen. Sexuelle Belästigungen. Diebstahl. Schlägereien. Ein falsches Wort im alkoholisierten Zustand, schon brennt die Luft. Schon am Eröffnungswochenende gab es Körperverletzungen. Auch anderweitig wirkt sich der Alkohol aus. Bei unserem Rundgang sehen wir einen Mann, der so betrunken ist, dass er sich nicht mehr aufrichten kann. Das Rote Kreuz übernimmt. Trotzdem kann es sein, dass der Mann nach der Untersuchung seine Nacht in der Wasenwache verbringt, zum Ausnüchtern.

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Polizistin Finkbeiner lässt sich über Funk auf den aktuellen Stand bringen. © Benjamin Büttner

Während wir über den Krämermarkt gehen, bekommen die Beamten per Funk mit, dass es ein Drogendelikt gegeben haben soll. Während sie die Lage abklären, stehen wenige Meter von uns entfernt Polizisten mit Maschinenpistolen, die den Eingang des Festgeländes bewachen. „Seit dem Anschlag am Breitscheidplatz hat sich hier einiges geändert“, sagt Stephan Widmann. Zugänge werden seitdem stärker kontrolliert, und auch die Frage der Evakuierung im Notfall habe an Bedeutung gewonnen. Man habe außerdem immer Spezialkräfte der Bereitschaftspolizei auf Abruf, die sich auf dem Gelände nicht zeigen würden, so Widmann. Man will nicht unnötig verunsichern.

Trauriger Fall: Vierjährige spricht die Polizei an, weil der Vater besoffen ist

Die drei Polizisten haben ihre Waffe auf dem Wasen noch nicht gebraucht, sagen sie. Auch in den Vorjahren nicht. Von den Dingen, die sie am Gürtel bei sich tragen, kommen eher die Handschließen, landläufig Handschellen genannt, zum Einsatz. „Und die Taschenlampe“, sagt Daniel Rouvel. „Manchmal reicht es im Dunklen schon, die Menschen anzuleuchten, wenn sie gerade etwas Verbotenes tun.“ Quasi: Ich kann euch sehen.

Bei manchen Fällen hilft die beste Ausrüstung wenig. An einen erinnert sich Marie-Theres Finkbeiner besonders. „Da war ein Mann mit seiner Tochter, vier Jahre alt“, sagt sie. „Der Vater befand sich in einem willenlosen Zustand“. Sprich: besoffen. Das Mädchen habe sich nicht zu helfen gewusst. „Die Vierjährige hat dann die Polizei angesprochen, weil sie nicht wusste, wie sie den Vater nach Hause bringen soll.“ Man hört ihr die Traurigkeit an, die diese Erinnerung auslöst. „Am Ende hätten wir das Mädchen fast in ein Heim bringen müssen, weil der Mann partout nicht die Kontaktdaten der Mutter herausrücken wollte.“

Eine letzte Zeltrunde. Beim Göckelesmaier riecht es, logisch, nach gebratenem Geflügel. Und Bier. Die Hütte ist voll. Es wird auf den Bänken getanzt. Polizistin Finkbeiner bewegt die Faust im Takt durch die Luft. „Wenn ich in die Festzelte reinschaue, und dann die Musik höre, will ich am liebsten dableiben“, sagt sie. Aber die Arbeit ruft.

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Die Polizisten schauen immer wieder ins Festzelt, um die Lage dort zu erfassen.  Eine wichtige Frage dabei: Wie voll ist es? © Benjamin Büttner

Polizei trifft Prominenz: „Das ist doch der Almklausi!“

Draußen dreht sie sich plötzlich um. Ein Mann geht vorbei. Wieder eine brenzlige Situation? „Das ist doch der Almklausi!“, ruft Finkbeiner. Sie boxt ihrem Kollegen spielerisch in die Seite. „Schau mal da! Das ist er doch?“ Die Kollegen zucken mit den Schultern. Quasi: Wer soll das sein? „Ihr kennt nicht den Almklausi?“ – die Polizistin ist erstaunt – „der war doch beim Sommerhaus der Stars?“ Während der Mann sich entfernt, tippt sie etwas in ihr Smartphone. „‘Mama Lauda‘, das Lied, das ist von ihm“, sagt sie. Jetzt nicken alle. Schonmal gehört. „Mensch, da sehe ich jetzt mal einen Prominenten, und dann kennt ihr den alle nicht.“

Gegen halb acht verabschieden wir uns von den Polizisten. Auf dem Wasen wird es langsam dunkler. Die womöglich heiklere Phase des Abends beginnt. Der Alkoholpegel steigt. Es gibt zu tun. Und wann ist Feierabend? „Für uns ist Schluss, wenn der letzte das Gelände verlassen hat“, sagt Marie-Theres Finkbeiner. Mal ist das gegen Mitternacht, mal deutlich später. „Der Chef läuft dann die letzte Runde, und gibt anschließend den Platz frei“. Und am nächsten Morgen, wenn die Betrunkenen in den Ausnüchterungszellen langsam zu sich kommen, sind längst wieder Teams der Polizei im Dienst. Um auf dem Wasen Wache zu halten.

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