Stuttgart & Region

Querdenker missbrauchen Todesanzeigen: Stuttgart kämpft um Andenken Verstorbener

lamp-3538247_1920 Grabkerze Kerzenlicht symbol symbolbild grablicht
Symbolbild. © pixabay.com/GoranH

„Die Landeshauptstadt Stuttgart wird der Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren“. So steht es unter einer von mehreren Todesanzeigen, die die Stadt in den letzten Wochen veröffentlichte. Sie sind verstorbenen Mitarbeitern gewidmet, „geschätzten und beliebten Kollegen.“ Nun kämpft man im Rathaus Stuttgart darum, dieses Versprechen einzuhalten. Denn: Querdenker nutzen die Todesanzeigen für ihre Anti-Impf-Propaganda. Die Stadt wehrt sich.

Todesanzeigen auf Twitter: Drohanruf beim Jugendamt

Mitte Dezember kursierten die Todesanzeigen erstmals auf Twitter. Mit einem in der Querdenker-Szene beliebten Hashtag oder verlinkten Artikeln sollte offenbar der Eindruck erweckt werden, die Todesfälle der Stadt-Mitarbeiter hätten mit der Corona-Impfung zu tun. Auch ein bayrischer AfD-Politiker verfasste einen derartigen Beitrag.

Die Stadt kündigte daraufhin hin an, Strafanzeige gegen die Verfasser zu erstatten – was am 22. Dezember auch geschah. Tatvorwurf: Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Einige der Todesanzeigen-Tweets waren zu diesem Zeitpunkt bereits gelöscht worden. T-Online hatte berichtet, dass die Leitung des Jugendamts im Zusammenhang mit den Todesfällen einen Drohanruf erhalten hatte.

Auch wenn weitere Drohanrufe laut Stadt ausblieben, ist seitdem keine Ruhe eingekehrt. Das liegt vor allem daran, dass die Todesanzeigen in der Querdenker-Szene weitere Verbreitung gefunden haben – und darüber hinaus.

Dr. Carolda Javid-Kistel: Querdenker-Ärztin schaltet sich ein

Die bekannte Querdenkerin und Homöopathin Dr. Carola Javid-Kistel teilte bereits zwei Beiträge zu den Vorgängen, zuletzt am 2. Januar. Darin wird von einer „Theorie“ gesprochen, die im Kern wieder behauptet: Die Impfung ist schuld. Verfasst hat sie den Beitrag nicht selbst, sondern aus einem anderen Kanal weitergeleitet. Und ihm damit neue Reichweite verschafft.

Javid-Kistel ist eine der prominentesten Figuren der deutschen Querdenker-Szene. Gegen die homöopathische Hausärztin aus Niedersachen laufen mehrere Ermittlungsverfahren. So soll sie mehrfach wissentlich falsche Gesundheitszeugnisse und Impfbefreiungen ausgestellt haben. Wegen der Aussage bei einer Demo, die deutsche Corona-Politik sei „schlimmer als der Holocaust“, wird außerdem wegen des Verdachts auf Volksverhetzung gegen sie ermittelt. Darüber hatte das Göttinger Tagblatt berichtet. Javid-Kistel hat sich ins Ausland abgesetzt. Auf Telegram hat sie über 25.000 Follower.

Desinformations-Plattform: "Ihre Mitschuld wird erwiesen werden"

Nicht nur prominente Querdenker, auch ein sogenanntes „Alternativmedium“ ist mittlerweile auf den Zug aufgesprungen. Eine österreichische Desinformations-Plattform schrieb unlängst, dass bei der Stadt Stuttgart mehrere „Mitarbeiter im besten Alter“ in kurzer Zeit gestorben seien. Die Todesanzeigen werden im Artikel aufgeführt, Nachnamen der Verstorbenen wurden verpixelt.

Die verstorbenen Mitarbeiter der Stadt Stuttgart werden von dem Medium in einen angeblich größeren Kontext mysteriöser Todesfälle gestellt. Eine „Aufarbeitung“ wird gefordert, von Vertuschung geraunt. An alle, die „mitgemacht“ haben sollen, wird der Satz gerichtet: „Ihre Mitschuld wird erwiesen werden, in ihrer Haut möchte bald niemand mehr stecken.“

Radikale Querdenker: Todeslisten und Mordfantasien

Der Artikel verbreitet sich auf Telegram, von reichweitenstarken Querdenker-Köpfen bis in die radikalsten Kanäle. Einer dieser Kanäle ist bislang vor allem dadurch aufgefallen, dass sich darin unverhohlene Aufrufe zur Gewalt finden. Forderungen nach Todeslisten, Gewalt- und Mordfantasien sind an der Tagesordnung. Die potenziellen Ziele: Alle, die nach Meinung der Kanalbetreiber „mitgemacht haben“.

Werden auch all diese Beiträge zur Anzeige gebracht? „Die Landeshauptstadt beobachtet die weitere Entwicklung genau und dokumentiert jegliche weitere missbräuchliche Verwendung ihrer Traueranzeigen“, sagt ein Sprecher der Stadt auf Nachfrage. „Wir prüfen weitere rechtliche Schritte gegen die Verfasser, auch Strafanzeigen und Strafanträge.“ Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft laufen derweil, über mögliche erste Ergebnisse liegen der Stadt keine Informationen vor.

Stadt Stuttgart: "Neue Form der Grenzüberschreitung"

„Das Verunglimpfen von Verstorbenen, um den Ruf von Institutionen zu beschädigen, markiert eine neue Form der Grenzüberschreitung“, so der Sprecher weiter. „Die Landeshauptstadt Stuttgart wird sich mit den gebotenen Möglichkeiten gegen ein solches Gebaren zur Wehr setzen - aus ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den eigenen Beschäftigten und wegen der Pietätlosigkeit, die dabei an den Tag gelegt wird.“

VG WORT Zahlpixel