Region Stuttgart: Bombendrohungen, Online-Mobber und gescheiterter Auftragsmord?
Stuttgart. Im Herbst 2023 hat eine Welle von Bombendrohungen Deutschland und die Region erschüttert. Viele der Fälle wurden bis heute nicht aufgeklärt. Das könnte sich nun zumindest teilweise ändern: Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat Anklage gegen zwei Tatverdächtige erhoben. Es geht um insgesamt 51 Drohnachrichten, darunter auch eine bislang nicht öffentlich bekannte Bombendrohung gegen die Universität Stuttgart. Es geht um eine Online-Mobber-Gruppe namens NWO – und einen gescheiterten mutmaßlichen Auftragsmord.
Was die Anklage den jungen Männern konkret vorwirft
Wie aus einer aktuellen Pressemitteilung des bei der Generalstaatsanwaltschaft ansässigen Cybercrime-Zentrums hervorgeht, sind die Verdächtigen 20 und 21 Jahre alt. Der 20-Jährige soll die insgesamt 51 Drohnachrichten verfasst und Anfang November 2023 an diverse Institutionen in Deutschland verschickt haben. Betroffen waren einem Sprecher zufolge auch die Universität Stuttgart und eine Schule aus der Region. Sein 21-jähriger mutmaßlicher Komplize steht im Verdacht, ihn darin bestärkt zu haben. Der Vorwurf: Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten beziehungsweise die Beihilfe dazu.
Was stand in den Drohnachrichten? Den Empfängern wurden laut Pressemitteilung "schwerwiegende Sprengstoffexplosionen angedroht", mit "zahlreichen Toten und Verletzten". Dabei sei auch "die Tötung von Säuglingen, Kindern und Behinderten" angekündigt worden. In den Nachrichten wurde vorgegaukelt, die Terror-Organisation Hamas sei der Urheber. "Die Anklage geht davon aus, dass hierdurch größere Teile der Bevölkerung erheblich beunruhigt und in ihrem Sicherheitsgefühl beeinträchtigt werden sollten." Die Bombendrohungen führten zu zahlreichen Polizei-Einsätzen.
Gescheiterter Auftragsmord? 3.000 Euro sollen geflossen sein
Wie sind die Betroffenen damals damit umgegangen? "Die Universität hat seinerzeit unmittelbar die zuständige Polizeibehörde informiert", sagte ein Sprecher der Uni Stuttgart auf Nachfrage. "Dort wurde eine Gefahrenbewertung vorgenommen, deren Ergebnis war, dass keine reale Bedrohung vorlag". Entsprechend hätte die Drohung keine weiteren Folgen gehabt, es wurde nicht evakuiert. Die bundesweite Drohserie war zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt gewesen, was eine Lageeinschätzung erleichtert haben dürfte.
Es wird aber noch extremer: Dem 21-jährigen Tatverdächtigen wird nicht nur eine mögliche Mittäterschaft in dieser Sache vorgeworfen. Die Ermittler legen ihm auch versuchte Anstiftung zum Mord sowie Bedrohung zur Last. "Er steht insbesondere im Verdacht, im Juli 2023 zwei andere Personen aus niedrigen Beweggründen damit beauftragt zu haben, eine andere in Offenbach am Main wohnhafte Person zu töten und hierfür 3.000 Euro bezahlt zu haben." Der mutmaßlich beauftragte Mord sei nicht ausgeführt worden, so die Ermittler. Zum Motiv ist nichts bekannt.
Online-Mobber-Gruppe NWO: Perfide Treibjagd
Was wie eine krasse Aneinanderreihung mutmaßlicher Straftaten klingt, fügt sich nach unseren Recherchen in ein größeres Gesamtbild ein. Im Zentrum: Eine Online-Mobber-Gruppe namens NWO. Die Abkürzung steht für "New World Order", also "Neue Weltordnung".
Die NWO soll für zahlreiche unter Vorwand ausgelöste Polizei-Einsätze verantwortlich sein. Dabei sollen beispielsweise Influencer fälschlicherweise schwerer Straftaten beschuldigt worden sein. Wenn dann Einsatzkräfte bei diesen Menschen anrückten, habe die Gruppe das in geschlossenen Chatgruppen ausgelassen gefeiert. " Was wie ein Teenagerstreich klingen mag, fühlt sich für die Opfer an wie eine Treibjagd, ein nie endendes Mobbing", schreibt der "Spiegel". Das Nachrichtenmagazin gab zusammen mit ARD-Magazin "Kontraste" im Frühjahr 2024 Einblicke in das Innenleben der NWO.
Die Behörden sind deswegen schon länger alarmiert. Das BKA und die Zentralstelle zur Bekämpfung von Internetkriminalität (ZIT) bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt ermitteln seit Monaten gegen mutmaßliche Rädelsführer der Gruppe. Bei der NWO handelt es sich nach Ansicht der Ermittler womöglich um eine kriminelle Vereinigung. Auch zahlreiche Bombendrohungen sollen auf das Konto der NWO gehen – gibt es also eine Verbindung zu der aktuellen Anklage?
Angeklagte Teil der NWO? Was eine Anfrage unserer Redaktion enthüllt
Ein Detail in der aktuellen Pressemitteilung des Cybercrime-Zentrums ließ uns aufhorchen: Der Angeklagte 21-Jährige sei im September 2024 in Baden-Württemberg festgenommen worden, heißt es. Nach unseren Informationen erfolgte in diesem Zeitraum die Festnahme eines mutmaßlichen NWO-Mitglieds in Nürtingen (Kreis Esslingen). Zufall? "Ich kann bestätigen, dass der beschuldigte 21-Jährige in Nürtingen festgenommen wurde", so ein Sprecher auf Nachfrage. "Nach unseren Ermittlungsergebnissen stehen beide Beschuldigte der NWO nahe."
Das Pseudonym, unter dem der 21-Jährige nach unseren Informationen in der NWO aktiv gewesen sein soll, wollte der Sprecher weder bestätigen, noch dementieren. Als Grund dafür nannte er, dass auch Alias-Personalien eine Identifizierung von Tatverdächtigen ermöglichen könnten.
Weitere Bombendrohungen ungeklärt – auch die im Rems-Murr-Kreis
Wie geht es weiter? Über die Zulassung der Anklage gegen die jungen Männer muss nun das Landgericht Stuttgart entscheiden. Andere Fälle von Bombendrohungen aus dem Herbst 2023 bleiben derweil weiter unaufgeklärt. Diejenigen, die beispielsweise für die damaligen Bombendrohungen gegen Schulen im Rems-Murr-Kreis verantwortlich sind, wurden nie gefasst. Die Ermittlungen dazu sind längst eingestellt. Die einzige Hoffnung: Erkenntnisse aus anderen Ermittlungsverfahren könnten am Ende doch noch Licht ins Dunkel bringen .
Während die alten Fälle noch immer die Sicherheitsbehörden beschäftigen, hat es 2024 bereits eine neue Welle von Bombendrohungen gegeben. Wieder war der Rems-Murr-Kreis betroffen. Ermittler sehen Parallelen zu der Drohserie aus dem Herbst 2023. Wer diesmal dahinterstecken könnte? Unklar. Über einen Zusammenhang zur NWO ist nichts bekannt. Die Ermittlungen dauern an.







