Stuttgart: Querdenker missbrauchen erneut Todesanzeigen von Stadt-Mitarbeitern
In Telegram-Kanälen der Querdenker-Szene aus der Region Stuttgart werden aktuell Todesanzeigen von Mitarbeitern des Stuttgarter Jugendamts für Anti-Impf-Propaganda missbraucht. Ohne jede Grundlage, wie die Stadt betont. Es ist nicht das erste Mal, dass so etwas passiert. Neben extrem rechten Aktivisten mischt diesmal auch einer der größten QAnon-Influencer des deutschsprachigen Raums mit.
"Plötzlich und unerwartet"-Masche: Querdenker schlagen aus Leid Kapital
Im Grunde ist es immer dieselbe Masche, die wir nun seit fast drei Jahren beachten: Seit es Impfstoffe gegen Covid-19 gibt, zerren Querdenker Todesfälle in die Telegram-Blase, bei denen die Verstorbenen kein Alter jenseits der 90 erreicht haben. Dann wird als angebliche Todesursache einfach die Corona-Impfung behauptet – oder Entsprechendes geraunt. "Plötzlich und unerwartet" ist eine der Chiffren, die deutschlandweit verwendet wird. In der Szene weiß dann jeder, was gemeint ist: Die Impfung ist schuld. Belege? Fehlanzeige. Wie es den Angehörigen damit gehen könnte, dass ihre Liebsten zum Teil einer Verschwörungserzählung gemacht werden? Wird nicht thematisiert.
Dass sich Todesanzeigen in besonderem Maße dafür eignen, die eigene Verschwörungserzählung zu unterfüttern, das weiß man in der Szene mittlerweile aus Erfahrung. Über die wenigsten Todesfälle wird öffentlich berichtet. Falls nicht der Verdacht eines Verbrechens vorliegt, werden Todesursachen in den seltensten Fällen bekannt. Es gibt also oft keine schnell auffindbare Erklärung, die der Darstellung der Querdenker offensichtlich widerspricht. Und Hinterbliebene haben, sofern sie es überhaupt mitbekommen, kaum eine Möglichkeit, einer auf Telegram viral gegangenen Behauptung so zu widersprechen, dass sie eine ähnliche Reichweite damit erzielen. Die Verstorbenen selbst können sich ohnehin nicht mehr wehren. Eine perfide Masche – und ein Dilemma.
Jugendamt Stuttgart schon einmal im Fokus: Sogar ein Drohanruf ging ein
Die Stadt Stuttgart kennt diese Problematik. Bereits im Dezember 2022 wurden Todesanzeigen auf Telegram und Twitter (heute X) herumgereicht, in denen die Stadt um verstorbene Mitarbeiter des Jugendamts trauerte. Die Impfung sei schuld am Tod dieser Menschen, raunte die Querdenker-Szene, sogar ein AfD-Politiker beteiligte sich an der Verbreitung dieser Verschwörungserzählung. Bei der Leitung des Jugendamts ging im Zusammenhang mit den Beiträgen ein Drohanruf ein. Die Stadt wehrte sich gegen die Verunglimpfung der Verstorbenen, Strafanzeigen wurden gestellt. Danach blieb es erstmal ruhig.
Bis jetzt. Anfang Dezember wurden auf Telegram erneut Todesanzeigen von Jugendamt-Mitarbeitern veröffentlicht. "Beim Jugendamt Stuttgart geht das Sterben weiter...", heißt es dazu, von einer "tödlichen Impfstoff-Charge" ist die Rede. Der Kanal, in dem der Beitrag zuerst erschien, rühmt sich noch damit, vergangenes Jahr bereits den Missbrauch von Todesanzeigen angestoßen zu haben. Auf dem Kanal finden sich ansonsten vor allem geschichtsrevisionistische Inhalte und abstruseste Verschwörungserzählungen, gelegentlich auch frauenverachtende Inhalte.
Rechtsextremist aus dem Rems-Murr-Kreis und QAnon-Influencer "Mäckle"
Der Beitrag verbreitete sich auch ohne Grundlage rasant, nicht nur in der Region. An die 200.000 Aufrufe hat er auf unterschiedlichen Kanälen bereits gesammelt. Man findet ihn im Kanal des rechtsextremen Aktivisten Michael S. aus dem Rems-Murr-Kreis oder dem des ehemaligem Landtagsabgeordneten und Ex-AfD-Politikers Heinrich Fiechtner aus Stuttgart. Auch Friedemann "Mäckle" Mack aus dem Kraichgau verbreitet das Verschwörungsgeraune über die Verstorbenen.
Mack betreibt einen der größten und aktivsten deutschsprachigen Telegram-Kanäle zur QAnon-Verschwörungsideologie, deren Anhänger vor allem für den sogenannten "Sturm auf das Kapitol" in den USA im Jahr 2021 weltweit bekannt wurden. "Mäckle", der seine Ideologie auch mithilfe von Kinderbüchern verbreitet, hat alleine auf Telegram mehr als 130.000 Abonnenten. Das Nachrichtenamgazin Der Spiegel nannte die Inhalte, die Mack verbreitet, unlängst "eine Art Baukasten-Extremismus, der sich auch an neue Zielgruppen richtet". In einem Video brüstete er sich damit, Jens Spahn im Rahmen einer Störaktion "Trump wird dich hängen" zugerufen zu haben. Wie viele QAnon-Anhänger träumt er von Tribunalen für Politiker.
Stadt Stuttgart: Behauptungen auf Telegram "entbehren jeder Grundlage"
Man tut in der Szene gar nicht erst so, als hätte man irgendwelche Belege. Die Behauptungen, die im Zusammenhang mit den verstorbenen Mitarbeitern des Jugendamts aufgestellt werden, "entbehren jedweder Grundlage", sagt ein Sprecher der Stadt Stuttgart auf Nachfrage. Man werde "diese Form der Meinungsmache" nicht kommentieren.
Um drei Verstorbene geht es in den Beiträgen auf Telegram, acht waren es im letzten Jahr. Demgegenüber stehen laut Stadt Stuttgart 4.400 Beschäftigte des Jugendamts, plus Azubis. So schwer ein Verlust menschlich wiegt, für Angehörige, Freunde, Kollegen: Statistisch gesehen ist die Zahl der Verstorbenen unauffällig. Aber an Fakten, das unterstreicht das aktuelle Beispiel erneut, war man in der Szene noch nie sonderlich interessiert.