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Von der Krebs-Diagnose geprägt: "Zweitjob, vor dem ich nie Ruhe habe"

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Symbolbild. © Marcelo Leal über unsplash.com

Stuttgart. "Junge Erwachsene mit Krebs werden von der Gesellschaft und der Medizin oftmals immer noch gerne übersehen, weil man ja noch jung ist. Aber genau das ist der Punkt: Man hat eigentlich noch das Leben vor sich", sagt Claudia. Sie selbst erhielt mit 26 Jahren die Diagnose Leukämie, heute ist sie 40 Jahre alt und krebsfrei. Als Leitung des Treffpunkts Stuttgart der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs und im Patientenrat des Universitätsklinikums Tübingen möchte sie vor allem auf die Probleme von Langzeitüberlebenden hinweisen. Gemeinsam mit anderen Betroffenen hat sie mit unserer Redaktion geteilt, was sie auch noch Jahre nach ihrer Krebserkrankung belastet. Diana Richter von der Universität Leipzig ordnet die Erfahrungen aus wissenschaftlicher Perspektive ein.

Junge Patienten reagieren anders auf eine Krebs-Diagnose als ältere

"Die Patientengruppe zwischen 15 und 39 Jahren bildet eine Zwischengruppe und ist in vielen Aspekten nicht vergleichbar mit Kindern oder älteren Krebspatienten ab 60", sagt Diana Richter. In der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie forscht sie zur psychischen Belastung junger Erwachsener mit Krebs und formuliert daraus Projektideen und therapeutische Ansätze, die darauf abzielen, das psychische und soziale Wohlbefinden von Betroffenen zu verbessern .

Die Patientengruppe der jungen Erwachsenen unterscheide sich medizinisch vor allen durch die Tumorarten. Zudem seien einige Tumore im jungen Alter sehr aggressiv – wie beispielsweise die genetische Variante des Brustkrebses. Während ältere Erkrankte ihre Diagnose häufig emotional besser verarbeiten können, würden junge Patienten möglichst viele Informationen ansammeln, "um ein eigener Experte der Erkrankung zu werden", sagt Richter.

Zu jung für Krebs? Das berichten Betroffene

Im jungen Alter eine Krebsdiagnose erhalten haben auch Marlen und Svenja, die beide im Treffpunkt Stuttgart aktiv sind. Sie beschreiben uns vor allem das Gefühl, dass ihnen ihre Symptome abgesprochen werden, weil sie zu jung seien. "Ich hatte lange Zeit Beschwerden und Bauchkrämpfe nach dem Essen. Vor der Untersuchung hieß es, dass ich zu jung bin für Darmkrebs. Dann kam raus, dass der Tumor schon seit mindestens sieben Jahren gewachsen ist", berichtet Marlen. Mit 37 erhielt sie ihre Diagnose, heute ist sie 39.

Ähnliches schildert auch Svenja, die mit 29 Jahren die Diagnose Brustkrebs bekam. "Bei der Biopsie hat man mich fast schon ausgelacht, weil ich so jung bin. Das liegt am Alter, man wird nicht ernst genommen. Wenn ich einen Termin bei meinem Onkologen (Krebsmediziner) habe, werde ich von anderen Patienten oft mitleidig angeschaut, weil ich so jung bin", sagt sie.

"Während meiner Chemo saß ich zwischen alten Ladys"

"Während meiner Chemo saß ich oft zwischen alten Ladys. Ich war da mit Abstand die Jüngste, die meisten anderen Patientinnen waren ältere Frauen", sagt Svenja. Mit der Zeit habe sie sich aber daran gewöhnt. Meistens sei sie während der Therapie sowieso zu müde gewesen, um sich mit jemandem unterhalten zu wollen.

Der Austausch mit gleichaltrigen Betroffenen ist allerdings laut Richter besonders in der Patientengruppe der jungen Erwachsenen wichtig. In einem Mentoring Programm, in dem Gleichaltrige mit gleichen Befunden zusammengebracht wurden, habe sich ein enorm positiver Effekt auf die Patienten gezeigt. "Wenn man jemanden mit der gleichen Diagnose sieht, der die Krankheit bereits hinter sich gelassen hat und vielleicht sogar eine Familie gegründet hat, motiviert einen das, die Erkrankung zu bewältigen", so Richter. Junge Patienten leiden zudem oft stärker unter einer angespannten finanziellen Situation, dem veränderten Körperbild und den fehlenden beruflichen Perspektiven. "Eine Krebserkrankung ist kein normatives Ereignis im jungen Alter. Zusätzlich zu den Aufgaben, die bewältigt werden müssen, ist auch die Lebensplanung erst mal unterbrochen", sagt Richter.

Chemotherapie: Aktiv etwas für die Gesundheit tun

Dass diese Aufgaben aber auch Halt geben können, berichtet Svenja. "Während der Chemotherapie konnte ich aktiv etwas machen und dafür sorgen, dass ich wieder gesund werde. Nach der Chemo geht das nicht mehr. Früher war ich viel feiern, habe viel Alkohol getrunken. Damit habe ich jetzt aufgehört. Ich esse mehr Gemüse und versuche, keinen Zucker zu essen – auch wenn das nicht immer so gut klappt. Man will ja auch sein Leben nicht einschränken", sagt sie.

Auch die Behandlung unterscheide sich zu anderen Patientengruppen. "Bei jüngeren Patienten kann man wesentlich aggressivere Behandlungen durchführen", sagt Diana Richter. Das ermögliche den jungen Patienten eine höhere Überlebensrate. Damit gehe aber auch die Gefahr einher, dass Langzeitfolgen auftreten und andere Krebsarten entstehen können – ein Faktor, der auch die jungen Erwachsenen des Treffpunkts Stuttgart beschäftigt.

"Meine Arzttermine zu koordinieren ist, als hätte ich einen Zweitjob"

Junge Krebspatienten beobachten ihren Körper meist besser, nehmen jede Veränderung und jeden Schmerz wahr. Der Grund dafür ist laut Richter eine Rezidivangst – die Angst davor, dass der Tumor wiederkehrt. Außerdem müssen Nachsorge-Termine wahrgenommen werden und Folgeerkrankungen sind möglich. Für Claudia vom Treffpunkt Stuttgart ein enormer Mental Load: "Meine Arzttermine, Physiotherapie und Termine mit der Krankenkasse zu koordinieren ist, als hätte ich einen Zweitjob, vor dem ich nie Ruhe habe. Es sind so viele kleine Bälle, mit denen man zu jonglieren versucht, aber irgendwann fällt etwas herunter", sagt sie. Der psychische Druck dahinter wirke sich auch auf ihren Schlaf aus. Zu dem Mental Load von Krebspatienten gibt es im deutschsprachigen Raum laut Richter bisher noch keine Studien, auch wenn viele von Richters Patientinnen und Patienten Ähnliches berichten. "In der Nachsorgezeit fallen viele in ein Loch. Plötzlich endet die engmaschige Untersuchung und man ist auf sich alleine gestellt. In der Forschung sehen wir, dass hier der Austausch mit Gleichaltrigen einen immensen Mehrwert hat", sagt Richter.

Ist das Klinik-Personal nicht genug geschult?

"Dass man regelmäßig zu Kontrollterminen muss, ist etwas, das viele vergessen. Krebs ist nie ganz weg, sondern kann immer wieder kommen. Da wird von Ärzten aber oft nicht mit offenen Karten gespielt", sagt Svenja.

Die Kommunikation zwischen Ärzten und Patienten nimmt auch Diana Richter in ihrem Arbeitsalltag hin und wieder als Problem wahr. "Ich vermute, viele Informationen gehen in dem Diagnoseschock zunächst verloren. Aber auch auf ärztlicher Seite besteht ein Mangel an Wissen über diese Patientengruppe", so Richter. Gerade bei jungen Erwachsenen fehle es an einer Schnittstelle: "Bei jemandem, der gerade 18 geworden ist, sollten sich die Pädiatrie (Anmerkung: die Kinder- und Jugendmedizin) und die Erwachsenenonkologie (Krebsmedizin) besser vernetzen." Doch auch die medizinische Versorgungsstruktur sei ausbaufähig. Was oft fehle, seien Nachsorgesprechstunden, psychosoziale Sprechstunden und nicht zuletzt besser geschultes Personal. Woran es mangle: Geld und Zeit.

"Die Debatte, die in Deutschland über das Bürgergeld geführt wird, ist beschämend. "

"Viele Patienten berichten von einer starken Erschöpfung und Müdigkeit, was auch als Fatigue Syndrom bezeichnet wird. Dadurch ist es für sie schwieriger, wieder in den Beruf zu finden, weil sie nicht mehr so leistungsfähig sind", so Richter. Das kennt auch Claudia vom Treffpunkt Stuttgart: "Es gibt viele junge Menschen, die aufgrund ihrer Krebserkrankung nicht mehr oder nur eingeschränkt arbeiten gehen können, gerade wegen des Fatigue Syndroms. Die Debatte, die in Deutschland über das Bürgergeld geführt wird, ist auch deswegen absolut beschämend. Da geht es nicht um Mitleid, sondern darum, dass unsere Krankheit gesellschaftlich nicht anerkannt ist", sagt Claudia. Dafür, dass ihre und die Probleme anderer Betroffener Gehör finden, will sich Claudia auch in Zukunft weiter einsetzen.

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