Warum die CDU dringend aufhören muss, wie die AfD zu klingen (Kommentar)
Stuttgart/Berlin. Friedrich Merz (CDU) ist angetreten, um die AfD zu halbieren. Bei der Bundestagswahl wurde nun endgültig klar, wie krachend er damit gescheitert ist. Zeit innezuhalten, Fehler zu reflektieren und umzusteuern? In einer Anfrage, die kurz vor der Wahl gestellt wurde, klingen die Konservativen jedenfalls wie die rechtsextreme Partei höchstselbst. Dieser Weg führt unweigerlich in die Katastrophe, meint unser Redakteur Alexander Roth. Versteht man in der Union nicht, was auf dem Spiel steht?
Rundumschlag per Anfrage: Krudes "Deep State"-Geraune inklusive
Einen Tag vor der Bundestagswahl holte die CDU/CSU-Fraktion zum Rundumschlag aus – mit 551 Fragen an die Bundesregierung. Die Anfrage nahm Organisationen ins Blickfeld, die man im Konrad-Adenauer-Haus mit Protesten gegen die CDU in Verbindung zu bringen scheint: Vereine, NGOs, Stiftungen, journalistische Netzwerke. Der Vorwurf: Diese Organisationen seien staatlich gefördert worden, müssten sich nach Meinung der Verfasser deshalb politisch neutral verhalten, tun es aber nicht. „Manche Stimmen sehen in den NGOs eine Schattenstruktur, die mit staatlichen Geldern indirekt Politik betreibt“, schreibt die CDU/CSU-Fraktion.
Manche Stimmen? Verlinkt wird ein Meinungsartikel der „Welt“, in dem über die Existenz eines angeblichen „Deep States“ geraunt wird – demselben Medium, das schon Fehlinformationen über die „Demo gegen rechts“ in Backnang verbreitete. Die Verschwörungserzählung vom „Deep State“ begegnet einem sonst eher in extremistischen Telegram-Kanälen, nicht in Tageszeitungen oder Anfragen an die Regierung. Weit verbreitet ist sie beispielsweise unter QAnon-Anhängern, die auf dieser Basis schon schwere Gewalttaten begingen. Zum Beispiel, als sie das Kapitol in den USA stürmten.
Versucht die Union hier, Protest und kritischen Journalismus zu delegitimieren?
Die Union meint, vonseiten der Organisationen könnte ein grundrechtswidriges Handeln vorliegen. Man könnte stattdessen meinen, die Union versuche, Protest und kritischen Journalismus zu delegitimieren – und drohe indirekt damit, an der Existenzgrundlage demokratisch engagierter Organisationen zu sägen. Erschreckend ist außerdem, dass man solche Anfragen bislang von einer anderen Partei gewohnt war: Der rechtsextremen AfD. Dieser Vorgang passt zu dem Weg, den CDU und CSU zuletzt einschlugen. Einem Weg, der die Unionsparteien mehrfach in die Nähe der AfD führte.
Schon früh polterte Friedrich Merz als Parteichef populistisch los. Mal mit rassistischen Pauschalisierungen über „kleine Paschas“, mal mit Telegram-Fake-News über Geflüchtete, die Deutschen angeblich die Zahnarzt-Termine wegschnappen würden. Ob mangelnde Medienkompetenz, fehlende Impulskontrolle oder bewusste Strategie dahintersteckten, ließ sich schwer sagen. Vermutlich von allem ein bisschen. Aber den Sound konnte man zuordnen.
Merz klingt wie die AfD: Aber wie soll ihm das nützen?
Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte warf Merz damals gegenüber dem ZDF vor, wie die AfD zu klingen. „Wenn die Sprache der politischen Mitte sich nicht mehr von der AfD unterscheidet, warum sollten enttäuschte Wähler der Mitte dann nicht die AfD wählen?“ Das ist eine entscheidende Frage.
Eine Frage, die sich aktuell noch drängender stellt als zuvor. Wenn die CDU beispielsweise einen Antrag stellt, von dem sie weiß, er kann nur mit den Stimmen der AfD im Bundestag durchgehen. Wenn CDU-Politiker zur „Demo gegen links“ im Wahllokal aufrufen, und kein Problem darin sehen, dass die rechtsextreme AfD zuerst auf die Idee kam.
AfD kopieren hat nicht funktioniert: Union verliert Wähler an rechtsextreme Partei
Moralische Fragen mal außen vor: Die AfD zu kopieren, ob bewusst oder unbewusst, kann nur schief gehen. Politikwissenschaftliche Untersuchungen kamen in den letzten Jahren mehrfach zu dem Ergebnis, dass eine Annäherung an extremistische Parteien diese langfristig stärkt, statt ihre Wähler zurückzugewinnen – auch wenn das in Einzelfällen kurzfristig funktioniert haben mag.
Klingt zu vage, um daraus Politik abzuleiten? Dann schauen wir uns doch mal die aktuelle Bundestagswahl an. Unterm Strich hat Friedrich Merz mit seinen Auftritten keinen einzigen AfD-Wähler zurückgewonnen, aber mehr als eine Million Union-Wähler an die rechtsextreme Partei verloren. Das zeigen Erhebungen von infratest dimap, über die zum Beispiel tagesschau.de berichtete. Man könnte spätestens jetzt auf die Idee kommen, dass die Warnungen aus der Politikwissenschaft begründet sind. Und umsteuern.
Die CDU kann noch umsteuern, die AfD will sie "jagen"
Noch ist das möglich. Die CDU ist stärkste Partei in Deutschland, will eine stabile Regierung bilden, mit Merz als Kanzler. Stabilität braucht aber einen anderen Sound als das Dauerfeuer, mit dem die AfD die Republik beschallt. Es ist an der Zeit, verbal abzurüsten. Friedrich Merz könnte aufhören, den Scharfmachern in der Union Gehör zu schenken und sich Auftritte wie zuletzt in München sparen, wo er spaltete, statt zu einen.
Die AfD weiß, wie viel von der nächsten Legislaturperiode abhängen wird. In der rechtsextremen Partei träumt man von einem Wahlsieg bei der nächsten Bundestagswahl. Die CDU will man zerstören, in dem man sie bis dahin weiter vor sich hertreibt. Das sind keine Geheimpläne: Alice Weidel sagte unmittelbar nach der Wahl, man wolle jetzt „zwei Gänge hochschalten“, und „ sie tatsächlich jagen ".
Brandmauer ist überlebenswichtig: CDU muss sie stützen, statt Breschen zu schlagen
Die CDU darf dieses Spiel nicht mitspielen. Sie sollte nicht wie der Merz-Vertraute Linnemann fordern, das „Brandmauergerede“ müsse „aufhören“. Sie sollte sich zu ihr bekennen, statt die mit Dreck zu bewerfen, die sie aufrechterhalten. Sie sollte sich fragen, warum auf Demos, die sich gegen die AfD richten, die CDU plötzlich mitgemeint ist, und in den Dialog treten. Kritik aushalten, statt um sich schlagen. Zuhören.
Denn auf diese Brandmauer kommt es an. Sie steht zwischen einer freien, demokratischen Gesellschaft und dem Schreckensszenario, dass in Deutschland erstmals seit der Zeit des Nationalsozialismus wieder eine rechtsextreme Partei an die Macht kommen könnte. Deshalb darf sie nicht fallen.
Die Geschichte hat uns gelehrt: Den Konservativen kommt beim Kampf um die Demokratie eine große Verantwortung zu. Man muss aber gar nicht in die Vergangenheit schweifen: Wie erschreckend schnell sich eine Demokratie in Richtung faschistisch-autoritären Staat entwickeln kann, wenn Konservative den rechten Hardlinern das Feld überlassen, lässt sich aktuell in den USA beobachten. Die CDU muss sich dieser Verantwortung stellen. Noch ist Zeit.