VfB Stuttgart

Analyse zum Spiel in Istanbul: Dem VfB fehlt im Hexenkessel die offensive Wucht

Europa League Fenerbahce Istanbul vs. VfB Stuttgart
VfB-Stürmer Tiago Tomas umringt von Gegenspielern: Der Portugiese bleibt im Hexenkessel von Istanbul blass und findet kaum Wege, die Fener-Abwehr in Bedrängnis zu bringen. © Michael Treutner

Istanbul. Der VfB Stuttgart hat beim 0:1 in Istanbul gezeigt, dass er auf europäischer Bühne mithalten kann – nur eben nicht mit dem nötigen Punch im letzten Drittel. Unter der enormen Kulisse des Şükrü-Saracoğlu-Stadions bewahrten die Schwaben Ruhe und Disziplin, doch Fenerbahce war in den entscheidenden Momenten abgezockter. In unserer Spielanalyse werfen wir einen genauen Blick auf die taktischen Abläufe, die Leistung der Schlüsselspieler und die Gründe, warum dem VfB die offensive Wucht fehlte.

Manchmal reichen Zahlen, um ein Spiel zu erzählen. 65 Prozent Ballbesitz, 83 Prozent Passquote, 56 Prozent gewonnene Zweikämpfe – und trotzdem 0:1 verloren. Der VfB spielte in Istanbul, als wolle er die Ordnung gegen das Chaos verteidigen. Und doch war es am Ende das Chaos, das gewann. Es war ein Abend, an dem der VfB mehr Gegner hatte als nur Fenerbahce. 45.000 Menschen schrien, pfiffen, sangen, als ginge es um die nationale Ehre. Jede Ballberührung eines Stuttgarters wurde ausgebuht, jede Unsicherheit gefeiert.

Und doch: Die Mannschaft von Sebastian Hoeneß bewahrte kühlen Kopf, arbeitete konzentriert gegen den Ball, stand kompakt, verschob sauber. In der Anfangsphase war das beeindruckend – fast schon reif. Aber Fußballspiele in der Europa League werden nicht über Körpersprache gewonnen, sondern über Tore. Und genau dort, im letzten Drittel, hörte die Reife auf.

Kontrolle ohne Konsequenz

Der Plan war klar: Geduld, Kontrolle, Räume finden. Das funktionierte bis zur Mittellinie, manchmal auch ein Stück darüber hinaus. Doch je näher der VfB dem Strafraum kam, desto enger wurde es – und desto ratloser wirkte das Angriffsspiel. Fenerbahce ließ den VfB machen, um dann im richtigen Moment zuzuschlagen. Ein Elfmeter nach einer ungeschickten Aktion von Angelo Stiller reichte: Kerem Aktürkoglu verwandelte (34.), und im Stadion flog das Dach weg.

Aber auch danach war es kein schlechtes Spiel des VfB, jedoch eines ohne Zündfunken. Der VfB spielte phasenweise ansehnlich, aber nicht gefährlich. Die Statistiken untermauern das: 485 Pässe, 65 Prozent Ballbesitz – und ein xG-Wert von 0,95. Fenerbahce hatte weniger Ball, aber mehr Ziel. Ihr xG-Wert: 1,97. Das war der Unterschied zwischen Absicht und Wirkung.

Symbolischer Moment in der 82. Minute

Besonders eindrücklich illustriert wurden diese Zahlen in der 82. Minute: Bilal El Khannouss spielt den Ball perfekt in den Lauf von Deniz Undav. 14 Meter, freie Schussbahn, die Chance zum Ausgleich – und der Ball trudelt am Pfosten vorbei. Eine Szene, die den Abend erklärt: Der VfB kam in gute Positionen, aber nicht zum Abschluss. Alles war richtig, bis auf das Entscheidende. „Wir sind ins letzte Drittel gekommen, waren dann aber nicht zwingend genug“, sagte Atakan Karazor danach. „Dann hat es einfach nicht gereicht gegen diese Mauer.“ Er meinte Fenerbahces Defensive – aber man konnte darin auch eine Diagnose für den gesamten Auftritt hören.

Karazor sprach auch über die Atmosphäre: „Hier muss man gegen mehr als elf Spieler spielen.“ Und tatsächlich: Der VfB spielte gegen die Wucht, die Lautstärke, die Erfahrung eines Vereins, der solche Nächte kennt. Gegen Fener-Coach Domenico Tedesco, der sein Team taktisch clever einstellte. Gegen das, was man Routine nennt. Angelo Stiller fasste es nüchterner: „Am Ende entscheiden Kleinigkeiten. Uns hat heute die Durchschlagskraft gefehlt.“

Es war die zweite Auswärtsniederlage in der Europa League für den VfB, aber keine, die entmutigt. Stuttgart hat sich nicht versteckt, sondern mitgespielt – nur eben ohne den Mut, den letzten Pass, den letzten Lauf, das letzte Risiko. In der Bundesliga mag das reichen. In Istanbul nicht. Vielleicht ist genau das die Lehre dieses Abends: Auf der europäischen Bühne genügt es nicht, das Spiel zu kontrollieren – man muss es in den entscheidenden Momenten auch an sich reißen. Fenerbahce war an diesem Abend nicht besser, aber abgeklärter. Der VfB war mutig, aber zu brav. Und so fehlte im Hexenkessel von Istanbul nicht der Wille, sondern die Wucht.

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