VfB Stuttgart

Brisantes VfB-Spiel gegen Maccabi Tel Aviv: Wenn Fußball zur Staatsaufgabe wird

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Polizeikräfte werden an Spieltagen rund um Stadion und Innenstadt mit großem Aufgebot präsent sein – die Vorbereitungen laufen seit Wochen auf Hochtouren. © Benjamin Büttner (Archiv)

Stuttgart. Es ist diese Art von Fußballabend, an dem Stuttgart spürt, wie nah Weltpolitik plötzlich rücken kann. Noch bevor der VfB am nächsten Donnerstag (11.12.) in der Europa League gegen Maccabi Tel Aviv antritt, wird sich die Stadt bereits verändert haben: mehr Polizei, mehr Absperrungen, mehr Anspannung. Die Partie ist sportlich wichtig für die Schwaben – organisatorisch aber ein Ausnahmezustand. Warum die Sicherheitsbehörden von einem ihrer größten Einsätze seit Jahren sprechen, was die Brisanz des Spiels ausmacht und wie die Polizei Stuttgart die israelischen Fans schützen will.

Manche Fußballspiele sind Sportereignis, Spektakel, Wochenendprogramm. Und dann gibt es dieses Spiel: VfB Stuttgart gegen Maccabi Tel Aviv, Donnerstag, 18.45 Uhr, Europa League – eine Partie, die schon jetzt all die Eigenschaften eines Ereignisses besitzt, das sich tief in den Sicherheitsapparat der Stadt frisst. Und das nicht nur, weil der VfB einen israelischen Gegner empfängt, sondern weil Europa im Jahr 2025 ein anderer Ort geworden ist, fragiler, gereizter, verletzlicher. Man erwartet zwischen 1000 und 2000 Fans direkt aus Israel. Aber eigentlich erwartet man eine Gemengelage, die mit Fußball erst am Rand zu tun hat.

VfB-Heimspiel gegen Tel Aviv: Ein polizeilicher Kraftakt für Stuttgart

Der Bundesliga-Südschlager gegen Bayern steht noch bevor, aber der Schatten, den dieses Europa-League-Spiel wirft, ist länger als alle Flügelwechsel von Harry Kane und Michael Olise zusammen. Was da am Donnerstag auf Stuttgart zukommt, ist – nüchtern gesagt – ein polizeilicher Kraftakt, einer der größten der vergangenen Jahre. Und emotional gesagt: ein Abend, an dem ein Stadion zum Ort staatlicher Schutzpflicht wird.

Der Satz, den Einsatzleiter und Stuttgarter Vizepolizeipräsident Carsten Höfler gleich mehrfach in diesen Tagen sagt, ist kein PR-Baustein. Er ist Grundsatzformel, Einsatzauftrag, Grenzziehung. „Wir schützen jüdisches Leben, wir verhindern antisemitische Übergriffe und wir wirken jeder Form der Gewalt mit Nachdruck entgegen. Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit stehen dabei nicht infrage.“

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V. l. n. r.: Carsten Höfler (Polizeipräsidium Stuttgart), Uwe Stahlmann (Innenministerium Baden-Württemberg), Mihail Rubinstein (Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg), Alexander Wehrle (VfB Stuttgart), Prof. Barbara Traub (Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg), Markus Eisenbraun (Polizeipräsidium Stuttgart), Dr. Michael Blume (Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben), Michael Kashi (Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg). © PP Stuttgart

Höfler sagt das ruhig, aber in der Tonlage eines Mannes, der weiß, was alles passieren kann. Seit dem 7. Oktober hat sich jede Begegnung eines israelischen Vereins in Europa in eine sicherheitspolitische Prüfung verwandelt. Im Fall Stuttgart bedeutet das: Die Polizei bereitet sich auf ein „breites Spektrum von Einsatzlagen bis hin zu terroristischen Szenarien“ vor. Formuliert wurde das schon bei der Heim-EM 2024, jetzt wird es wieder abgerufen.

Mehrere Tausend Beamtinnen und Beamte werden im Einsatz sein – unterstützt von Kräften aus anderen Bundesländern. Die Innenstadt wird zum Sicherheitsraum, der Luftraum teilweise gesperrt, Hubschrauber kreisen. Was im Polizeideutsch „maximale Aufmerksamkeit“ heißt, wirkt für die Bürger wie ein Ausnahmezustand in Blau. Vorab heißt es eindringlich aus dem Polizeipräsidium: „ Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat mehrfach vorgetragen, dass Antisemitismus und Israelfeindlichkeit verbindende Elemente zwischen Islamisten, Links- und Rechtsextremisten sowie Anhängern extremistischer palästinensischer Organisationen sind. Seit Längerem beobachtet das BfV den erklärten Willen von Islamisten, Anschläge im Westen zu verüben.Konkrete „Gefährdungserkenntnisse aus dem Bereich der Politisch motivierten Kriminalität“ lägen dem Landeskriminalamt (LKA) derzeit jedoch nicht vor.

Warum dieses VfB-Heimspiel so brisant ist

Die Brisanz entsteht dabei nicht im Stadion. Sie entsteht in der Welt. Und sie wandert mit, bis in den Stuttgarter Talkessel. Es ist gerade einmal ein Jahr her, dass in Amsterdam im Umfeld eines Maccabi-Spiels eine Gewaltspirale explodierte, die alles zu bieten hatte, was man nicht erleben will: Überfälle, verletzte israelische Fans, antisemitische Attacken, aber auch Ausschreitungen durch Maccabi-Anhänger. Die Ereignisse reichten von „Tod den Arabern“-Sprechchören bis zu gezielten Angriffen auf israelische Besucher. Internationale Politiker verurteilten die Gewalt – und Europa merkte einmal mehr, wie schnell ein Fußballabend zum Brennglas werden kann.

Jetzt also Stuttgart. Eine weltoffene Stadt, wie die Polizei der Landeshauptstadt betont. Eine Stadt, die zeigen will, dass sie es besser kann als Amsterdam.   Und eine Stadt, die weiß, was im schlimmsten Fall droht. „Die Verantwortung für den Schutz jüdischen Lebens nehmen wir sehr ernst“, sagt Höfler. „Wir werden antisemitischen Straftaten keinen Raum geben.“

Dass Maccabi Tel Aviv nicht gerade in einer Hochstimmung anreist, verschärft die Lage zusätzlich. Der Klub steckt in einer Krise, der Trainer Zarko Lazetic wollte am Wochenende bereits hinschmeißen – nach einer Nacht, in der rund 30 Hooligans sein Wohnhaus belagerten, Raketen Richtung Fenster schossen, Rauchbomben zündeten. Die Videos gingen viral, die Polizei musste ein Eindringen verhindern. Lazetic trat zurück – und kam doch wieder zurück. „Eine wirklich widerliche Aktion“, nannte Maccabi-Geschäftsführer Jack Angelides den Angriff, man wolle „seine Familie schützen“. Stadionverbote für die Täter sind in Arbeit. Auch das ist Teil des Hintergrundrauschens am Donnerstag.

Stuttgart bereitet eine Willkommenszone vor

Damit die israelischen Fans nicht kreuz und quer durchs Stadtgebiet treiben, richtet die Polizei wieder einen Fanmeeting-Point am Biergarten Sonja Merz im Schlossgarten ein – DJ aus Israel, angepasstes Essen, freiwillige Nutzung. Weiter wird den Tel-Aviv-Fans ein Bus-Shuttle zum Stadion angeboten. Man kennt das Prozedere vom Feyenoord-Spiel, nun aber mit anderer Tonlage. Denn die Polizei weiß: Die Gäste werden nicht nur ins Stadion gehen, sie werden die Stadt erkunden. Und die Stadt will Gastgeber sein – trotz oder gerade wegen der Sicherheitslage.

Klar ist bereits jetzt: Am Mittwoch wird es in der Innenstadt pro-palästinensische Demonstrationen geben. Höfler stellt klar: „Friedlicher Protest ist gelebte Demokratie und den schützen wir.“ Aber: „Jeder Versuch, Hass oder Gewalt hineinzutragen, wird auf Grenzen treffen.“ Es ist dieser Doppelton – Offenheit und Härte –, der den gesamten Einsatz prägt. Ein Einsatz, der nicht nur das Spiel schützt, sondern Menschen. „Wir wollen allen Fans ein friedliches Fußballspiel ermöglichen. Dafür sind wir mit allen unseren Fähigkeiten präsent.“

Und so wird dieser Donnerstag nicht nur ein Fußballabend. Er wird ein Test. Ein Test, ob eine Stadt, die gerade noch im Trubel der Weihnachtsmärkte steht, mit all ihren offenen Plätzen und verwinkelten Straßen, ein Spiel austragen kann, das im schlimmsten Fall viel mehr ist als Sport.

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