Kommentar zur Vogt-Abwahl beim VfB: Die e.V.-Strukturen müssen reformiert werden
Claus Vogt hat sein Amt bei der Mitgliederversammlung am 28. Juli krachend verloren. Der Präsident des VfB Stuttgart wurde abgewählt und reiht sich damit in eine illustre schwäbische Ahnenreihe ein. Die Mitglieder und Verantwortlichen des Traditionsvereins müssen sich derweil mit der unbequemen Frage auseinandersetzen, warum es in den vergangenen Jahrzehnten nur ein einziges Mal eine geordnete Amtsübergabe gegeben hat. Warum wurde der Clubchef entweder vom Hof gejagt oder hat vorzeitig seinen Hut genommen?
Das Amt muss dringend reformiert werden, findet unser Reporter Danny Galm. Ebenso die e.V.-Strukturen. Das seltsame Zwitterwesen aus deutscher Vereinsmeierei und turbokapitalistischer Fußballbranche ist in dieser Ausprägung nicht mehr zeitgemäß.
Die große Kunst des Aufhörens: Beim VfB beherrschte sie zuletzt nur ein Präsident
Um die kuriose Gesamtsituation rund um das Präsidentenamt im roten Clubhaus besser einordnen zu können, zunächst ein kurzer Blick zurück in die VfB-Historie:
1975 bis 2000 - Der legendäre Gerhard Mayer-Vorfelder führte den VfB in seiner 25 Jahre (!) dauernden Regentschaft mitunter wie ein Gutsherr, war ein schwäbischer Patriarch. Als er ging, war der VfB hoffnungslos verschuldet. Weshalb ihm der Aufsichtsrat im Juni 1999 das Misstrauen aussprach und ankündigte, bei der Mitgliederversammlung ein Jahr später eine Wiederwahl des Präsidenten nicht mitzutragen. MV tritt schließlich zurück.
2000 bis 2003 - Manfred Haas übernimmt von seinem Vorgänger einen Schuldenberg in Höhe von etwa 15 Millionen Euro. Notgedrungen wird er zum Sparfuchs, setzt auf günstige Spieler aus der eigenen Jugend und wird so zum Schöpfer des Slogans "Junge Wilde". Die Mannschaft zieht 2003 sogar in die Königsklasse ein, die Herzen der Fans erobert Haas dennoch nicht. Schließlich wird dem Chef der SV-Versicherungen die Doppelbelastung zu groß. 2003 gibt er sein Amt nach nur drei Jahren aufgrund von Überlastung freiwillig ab.
2003 bis 2011 – Mit Erwin Staudt folgt der erste hauptamtliche Präsident der VfB-Historie. In seine Amtszeit fällt der bislang letzte Meistertitel der Schwaben (2007) sowie der Umbau des Stadions. Auf der Mitgliederversammlung im Sommer 2011 stellte er sich nicht mehr zur Wahl. Er habe mit der Fertigstellung der Mercedes-Benz-Arena in ein reines Fußballstadion „alles zu Ende gebracht, was er sich vorgenommen hatte“, begründete Staudt seine Entscheidung nach acht Jahren als VfB-Präsident aufzuhören. Es folgte die geordnete Übergabe an seinen Nachfolger Gerd Mäuser.
2011 bis 2013 - Der glücklose Mäuser kündigte jedoch nach lediglich zwei Jahren auf dem Chefsesseln seinen freiwilligen Verzicht auf die Amtsgeschäfte an – gewählt war er eigentlich bis 2015. Warum? Mit seiner mitunter recht ruppigen Art machte er sich wenige Freunde am Wasen. Mitarbeiter fühlten sich gegängelt, Sponsoren missachtet. Mäuser schimpfte dazu über Journalisten und mäkelte in der Öffentlichkeit über das VfB-Eigengewächs Julian Schieber. Irgendwann reichte es dem Aufsichtsrat: Mäuser muss Anfang Juni 2013 seinen Hut nehmen.
2013 bis 2016 – Der ehemalige Adidas-Manager Bernd Wahler verkündete seinen Rücktritt einen Tag nach dem Abstieg der Profis aus der Bundesliga. Für den Kommentator der Stuttgarter Zeitung war das „die logische Folge des sportlichen Crashkurses - und gut so: Der marode Club vom Cannstatter Wasen benötigt dringend eine Runderneuerung.“ Rumms! Später betrachtete Wahler seinen Amtsverzicht als „unumgänglich“.
2016 bis 2019 - Wolfgang Dietrich. Tja was soll man hier noch schreiben. Quattrex, Daten-Skandal, Ausgliederung, WLAN-Gate. Der ehemalige Projektsprecher von Stuttgart 21 war von Anfang an hochumstritten. Und im Lauf seiner Amtszeit konnte er – gelinde ausgedrückt – seine Beliebtheitswerte nicht steigern. Am Ende wurde er mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt, trat nach der abgebrochenen Mitgliederversammlung in einem letzten Alleingang via Facebook-Post zurück.
2019 bis 2024 – Und nun eben Claus Vogt. Am Ende ist der Unternehmer aus Waldenbuch vor allem über das gebrochene Ausgliederungsversprechen rund um den Porsche-Einstieg gestolpert. Das anfangs mühsam geknüpfte Band zur Basis hat er damit gekappt. Vogt hat Fehler gemacht. Und schlecht kommuniziert. Freiwillig auf sein Amt verzichten wollte er nicht, es folgte die Abwahl auf der MV. Das Vertrauen vieler Fans in die Vereinsführung ist fürs Erste wieder einmal dahin.
Was ist da eigentlich los am Wasen? Sechs der letzten sieben Präsidenten haben ihren Posten nicht freiwillig geräumt. Die große Kunst des Aufhörens: In Stuttgart beherrschte sie lediglich Ehrenpräsident Staudt. Kurioserweise wird nun ausgerechnet der ehemalige IBM-Manager als Interimslösung für die Phase nach der Vogt-Abwahl gehandelt.
Letztlich führt all das auch zur Frage, was die Mitglieder vom Präsidentenamt und der Person auf dem Chefsessel im roten Clubhaus überhaupt erwarten dürfen? Einem zeitintensiven Ehrenamt, das der Amtsinhaber neben seinem Hauptberuf ausfüllen darf. Hier bedarf es dringend einer Professionalisierung, vielleicht wieder einen hauptamtlichen Präsidenten? Das soll die Fehler von Vogt und Co. nicht entschuldigen, dient aber als ein möglicher Erklärungsansatz. So wie bisher kann es in jedem Fall nicht weitergehen.
Das Format der Mitgliederversammlung hat sich überlebt
Gleiches gilt für die Strukturen im mittlerweile 110.000 Mitglieder starken e.V.. Der hat bald vier hauptamtliche Mitarbeiter, die AG fast 400. Und so muss der Verein gezwungenermaßen immer wieder auf die „Dienstleistungen“ der ausgegliederten Profisparte zurückgreifen. Und auch wenn alle Funktionsträger immer wieder betonen: Es gibt nur einen VfB! Wer die vereinspolitische Situation der letzten Jahre verfolgt hat, weiß dass das nur ein Wunschtraum, aber keineswegs die Realität ist. Hier besteht ebenfalls dringender Reformbedarf. Das seltsame Konstrukt aus deutscher Vereinsmeierei im turbokapitalistische Fußballumfeld passt in der derzeitigen Ausprägung nicht mehr in Zeit.
Auch das Format der Mitgliederversammlung hat sich überlebt. Im Schnitt haben die letzten MVs sieben, acht Stunden gedauert. Das ist für viele Mitglieder absolut nachvollziehbar abschreckend. Und für eine gelebte Vereinsdemokratie nicht förderlich. Die stundenlange (und über weite Strecken gähnend langweilige) Sitzung mit Totengedenken, Ehrungen der Leichtathleten und der uferlosen allgemeine Aussprache hat in dieser Form keine Zukunft. Eine Debatte darüber gab es bereits im vergangenen Jahr. Getan hat sich: nichts. Hier muss schnellstmöglich ein Weg gefunden werden, um wieder mehr Mitglieder zu dieser für den Verein wichtigsten Zusammenkunft zu locken.
Egal, wer künftig das Ruder übernimmt: Es wartet ein ganzer Berg an Aufgaben. Und vom verloren gegangenen Vertrauen und der mitunter desaströsen Kommunikation haben wir an dieser Stelle noch überhaupt nicht gesprochen. Wie sollen all diese Bereiche von einem Vereinschef im Ehrenamt angegangen werden? Es ist kaum möglich und vor allem nicht sinnvoll. Das haben die letzten Jahre eindrucksvoll gezeigt.