Nach Einsatz vor BVB-Spiel: VfB-Ultras erheben schwere Vorwürfe gegen Polizei
Ein massiver Polizei-Einsatz vor dem Heimspiel des VfB Stuttgart gegen Borussia Dortmund (2:1) hat am Samstag (11.11.) für ordentlich Wirbel gesorgt. Elf Anhänger der Schwaben waren bis Spielende in Gewahrsam genommen worden. Nun haben die großen Ultra-Gruppierungen des VfB zu den Vorfällen vom Wochenende eine gemeinsame Stellungnahme veröffentlicht. Darin erheben sie schwere Vorwürfe gegen die Stuttgarter Polizei.
Was vor dem VfB-Spiel passiert ist: Die Sichtweise der Polizei
Insgesamt waren rund um die MHP-Arena mehrere hundert Polizeibeamte (darunter auch Polizeireiter und Wasserwerfer) im Einsatz. Die Partie war im Vorfeld als sogenannte "Hochrisikobegegnung" eingestuft worden. Gegen 13.30 Uhr kam es dann zur Auseinandersetzung. Laut Darstellung der Polizei sei eine "rund dreißigköpfige Gruppe von Heimfans aggressiv auf mehrere Polizeibeamte zu[gegangen] und wollte sie nötigen, den Bereich am Carl-Benz-Center zu verlassen".
Hintergrund: Dort in der Nähe haben die Ultras ihren Materialraum. Diese "Nötigung gegen Polizeibeamte" sei laut Mitteilung der Polizei von derselben Gruppe bereits beim vergangenen DFB-Pokalspiel am 31. Oktober gegen Union Berlin erfolgt.
Daraufhin umschloss die Polizei elf Personen, stellte die Personalien fest und erteilte einen Platzverweis. Weiter heißt es von Seiten der Polizei: "Da sie während der polizeilichen Maßnahmen angaben, dem Platzverweis nicht Folge leisten zu wollen, wurden diese elf Personen nach einer richterlichen Entscheidung bis Spielende in Gewahrsam genommen."
Einsatzleiter im Zentrum der Kritik: So schildern die Ultras die Vorfälle
Aus Sicht der Ultras war bereits die massive Polizeipräsenz und das Aufgebot in der Nähe des Treffpunktes der aktiven Fanszene eine Brüskierung: "Es ist davon auszugehen, dass dies rein der Provokation der Fanszene diente und keine einsatztaktischen Gründe dahinterstanden, befinden sich doch üblicherweise an dieser Stelle keine Polizeieinheiten."
Weiter werfen die Ultras den Beamten falsche Tatsachenbehauptungen vor. Die betreffenden Personen hätten den ausgesprochenen Platzverweisen überhaupt nicht nachkommen können, da dies "aufgrund des dauerhaften Polizeikessels" gar nicht möglich gewesen wäre.
In der gemeinsamen Stellungnahme von Commando Cannstatt, Schwabensturm, Schwaben Kompanie, Crew 36 und Südbande Stuttgart werden weitere schwere Vorwürfe gegen die Stuttgarter Polizei erhoben: "Offensichtlich fahren in Stuttgart einige Personen, allen voran der Einsatzleiter und stellvertretende Polizeipräsident Carsten Höfler, ihre private Vendetta gegen Fußballfans."
Derselbe Einsatzleiter habe zuletzt auch hunderte Fans des 1. FC Köln auf der Anreise nach Stuttgart an der Rundsporthalle in Waiblingen durchsuchen lassen, weshalb Höfler nun von den Stuttgarter Ultras ins Zentrum der Kritik gerückt wird: "Vor allem seit Herr Höfler in Stuttgart in Amt und Würden ist, gibt es auch in Stuttgart wiederholt von der Polizei Stuttgart ausgehende Einsätze, die jegliches Maß vermissen lassen und lediglich der Gängelei und Provokation von Fußballfans, ob Heim- oder Gästefans, dienen."
Die Fans fordern daher eine "sofortige Abrüstung sowie ein selbstkritisches Hinterfragen der eigenen Einsatztaktik". Am Samstag habe "einzig und allein die besonnene und deeskalierende Reaktion der Fanszene eine – mutmaßlich gewünschte – Eskalation verhindert". Der VfB wird vorerst keine Stellungnahme zu den Vorfällen abgeben, die Stuttgarter Polizei äußerte sich am Mittwoch (15.11.) auf Anfrage unserer Redaktion.
Darin heißt es: Die Polizei gewährleiste bei Fußballspielen Woche für Woche die Sicherheit für Tausende von Menschen. "Wenn allein unsere Anwesenheit als Provokation verstanden wird, hat der Fußball ein Werteproblem", sagt Polizeipräsident Markus Eisenbraun. Das habe nichts mit Fankultur zu tun, "sondern ist der wiederholte Versuch einer Machtdemonstration im öffentlichen Raum".
So begründet die Polizei die massive Präsenz vor dem Carl-Benz-Center
Die massive Präsenz auf dem Vorplatz des Carl-Benz-Centers begründen die Beamten mit Vorfällen aus der Vergangenheit. Demnach seien "in diesem Bereich Gästefans immer wieder auch körperlich angegangen und Fanutensilien geraubt" worden. Darüber hinaus wolle man den "Äußerungen von Fanseite und der Fanbetreuung zu den Ereignissen am Spieltag [...] entschieden entgegen[treten]". Die Grundlage des Gewahrsams seien belegbare Informationen gewesen, "die eine richterliche Bestätigung empfanden. Aufgrund von Äußerungen war zu erwarten, dass die Platzverweise für diesen Tag nicht befolgt werden."
Polizei zieht Konsequenzen: Stadionallianz wird zunächst ausgesetzt
Abschließend heißt es aus dem Polizeipräsidium Stuttgart: "Die persönliche Diffamierung eines Einsatzleiters, der seit vielen Jahren polizeiliche Fußballeinsätze leitet, hierbei die Kooperation aller Partner als oberste Prämisse und diese Stadionallianz mit verkörpert hat, ist nicht hinnehmbar."
Irritierend sei dabei insbesondere, "dass offizielle Fanbetreuer hier eine einseitige Darstellung wählen. Auch das ist ein Grund warum wir die Stadionallianz zunächst einmal aussetzen müssen, einen Umstand den wir zutiefst bedauern." Bei den Treffen zur Besprechung zur Sicherheitslage von Polizei, Ordnungsbehörde, Clubvertretern und Hilfsorganisationen vor den Spieltagen ist die Polizei also nun vorerst nicht mehr dabei.
Der Dauerkonflikt zwischen Fans und Polizei
Die erneute Eskalation im Dauerkonflikt zwischen Fans und Polizei lässt den deutschen Fußball dabei einmal mehr ratlos und wütend zurück. Es seien "verstörende Eindrücke, die Fußball- und Fankultur schwer beschädigen und hoffentlich nicht zu weiteren Eskalationen führen", sagte zum Beispiel St. Paulis Präsident Oke Göttlich nach den heftigen Zusammenstößen am Hamburger Millerntor, bei denen mindestens 32 Menschen verletzt wurden. Auf der Gästetribüne waren dort erst Anhänger von Hannover 96 und Polizisten aneinander geraten, nach der Partie am Freitagabend (10.11.) stießen Fans des Zweitliga-Spitzenreiters FC St. Pauli mit Einsatzkräften zusammen. Die erste Bilanz: 15 verletzte Fans und 17 verletzte Polizisten. In Bochum setzte die Polizei am Samstag (11.11.) Pfefferspray gegen Kölner Fans ein.
Schon vergangene Woche wurde beim Derby zwischen Hannover und Braunschweig ein Polizist schwer verletzt. Der Deutsche Fußball-Bund ermittelt nach den Vorfällen von Bochum und St. Pauli, wie der DFB der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag (12.11.) bestätigte. Dass beim Bundesliga-Spiel in Augsburg elf Menschen durch einen Feuerwerkskörper verletzt wurden, der aus dem Bereich der Gästefans aus Hoffenheim geworfen wurde, nährte die Diskussion um die Sicherheit in deutschen Stadien weiter.
Das Verhältnis zwischen Polizei und Fans ist in jedem Fall angespannt. "Die Situation ist festgefahren, eine Lösung in einer Art Fan-Polizei-Dialog ist leider realitätsfern", sagte Fan-Vertreter Dario Minden vom Bündnis "Unsere Kurve" auf dpa-Anfrage: "Auf Fanseite gibt es gar nicht die Vertretungsstrukturen und sicherlich oft auch überhaupt kein Interesse an einem Dialog während auf der anderen Seite eine Polizei steht, die oft rechtswidrig handelt."