„Rise and Fall“ - neue Doku-Reihe zum VfB: Die große Stuttgarter Gefühlsmaschine
Stuttgart. Der VfB Stuttgart liefert seit Jahrzehnten Stoff für ein Drehbuch: Wundermänner, Maradona im Neckarstadion, Magaths Teebeutel, Hoeneß Happy End – zwischen Euphorie und Absturz, Pokal und Pleite. Die neue ARD-Doku „Rise and Fall“ erzählt die Geschichte eines Vereins, der nie Mittelmaß war. Und sie zeigt, warum Traditionsklubs so strahlen – und so oft an ihren eigenen Erwartungen scheitern. Wir haben uns die Reihe angesehen - lohnt sich die Serie für Fans?
Natürlich beginnt alles mit Sebastian Hoeneß. Jubelnd vor der Fankurve im Berliner Olympiastadion nach dem Pokalsieg im Mai. Das Gesicht ein einziger Beweis dafür, dass Glück im Fußball nie andauert, sondern immer nur blitzartig aufleuchtet. „Für mich ist der VfB ein besonderer Klub“, sagt Hoeneß aus dem Off, und man glaubt es ihm sofort. Weil man weiß: Wer den VfB begleitet, wer sich mit ihm beschäftigt, der kann nicht neutral sein. Man jubelt, man feiert, man leidet. Immer alles, nie nichts. Eine einzige große Gefühlsmaschine.
Euphorie und Absturz: Schwäbisches Epos voller Licht und Schatten
Die neue ARD-Reihe „Rise and Fall“ versucht, genau das einzufangen: die Faszination und das Drama der großen deutschen Traditionsvereine. Neben Kaiserslautern und 1860 München rückt der SWR den VfB Stuttgart in den Mittelpunkt – und erzählt dessen Geschichte nicht als nüchternen Abriss, sondern als eine Art schwäbisches Epos voller Licht und Schatten, Euphorie und Absturz. „Rise and Fall“ ist dabei keine Doku für Statistikliebhaber oder Taktiknerds. Es ist eine Reportage in drei Folgen à 33 Minuten (ab 25. Oktober in der ARD-Mediathek) für all jene, die verstehen wollen, warum Fußball mehr ist als 90 Minuten.
{element_0}
Die Autoren Andreas Köstler und Michael Bollenbacher, ausgewiesene Kenner des Vereins, haben es dabei richtig gemacht: Sie haben nicht einfach die Chronik abgefilmt, sondern Protagonisten gesucht, die etwas zu erzählen haben. „Der VfB hat diverse Aufs und Abs miterlebt. Andreas und ich haben uns dann überlegt, wo es überhaupt Sinn macht, anzufangen?“, sagt Bollenbacher im Gespräch mit unserer Redaktion. „Wir wollten nicht den klassischen historischen Abriss machen und alles durcherzählen. Das hat man alles schon zehnmal gesehen. Wir wollten schon ein paar besondere Geschichten herauskitzeln.“
Das ist die Struktur der neuen Doku-Reihe über den VfB
Die Struktur der Serie ist klug gewählt. Folge 1 beginnt 1975, als der VfB zum ersten Mal absteigt und kaum noch Geld hat. „Da ist der VfB zum ersten Mal abgestiegen. Damals waren die Kassen klamm“, erinnert Bollenbacher. Von hier an entfaltet sich die Vereinsgeschichte über Mayer-Vorfelder, Sundermann, Förster und Müller bis zu Maradonas „Hand Gottes“ im UEFA-Cup-Finale. Folge 2 zeigt den VfB der Daum-Jahre mit der Meisterschaft im Herzschlagfinale, dem Wechselfehler in Europa und dem legendären „Magischen Dreieck“. Folge 3 führt hinein ins 21. Jahrhundert: Magaths Teebeutel, Vehs Meistertitel, Abstiege und ein spätes Happy End mit Hoeneß.
Die große Stärke der Doku liegt darin, dass sie die Brücke in die Gegenwart schlägt. Parallelen zwischen Elber und Woltemade, zwischen Sundermann und Hoeneß – man merkt: Die Fragen wiederholen sich, die Sehnsucht bleibt die gleiche. Die Reihe lebt in allen Folgen von ihren vielen Gesprächspartnern. Letztlich haben Köstler und Bollenbacher nahezu alle relevanten Protagonisten zur jeweiligen Epoche auch vor die Kamera bekommen – selbst der Schorndorfer Kalaluna-Wirt Matthias Kalafatis kommt zu Wort.
Armin Veh, der 2007er-Meistertrainer, sagt in einer Folge über die besondere Stimmung in Stuttgart: „Der VfB hat Fans, die südländisch sind. Immer dann, wenn man sie braucht, sind sie da. Diese Stimmung in Stuttgart schaffst du in München nicht.“ CEO Alexander Wehrle beschreibt die Basis so: „In den Zweitliga-Jahren war das Stadion fast immer ausverkauft. Das ist ein enormes Fundament. Es gibt nicht viele Vereine in Deutschland, die das von sich sagen können.“
„Die Erwartungshaltung war immer Champions League“
Doch zur Faszination gehört immer auch die Fallhöhe. „Die Erwartungshaltung war immer Champions League“, erinnert sich Fredi Bobic, Ex-Stürmer und ehemaliger Manager, an einer Stelle, „aber die Realität war oft eine andere.“ Dieser Satz fasst vielleicht besser als alles andere zusammen, warum Traditionsvereine so faszinieren und gleichzeitig so leiden lassen: weil Anspruch und Wirklichkeit bei ihnen selten übereinstimmen. Und Meisterstürmer Cacau erinnert sich an die Schattenseite des Erfolgs, als er nach dem Gewinn der Meisterschaft im Pokalfinale gegen Nürnberg (2:3 n.V.) mit Rot vom Platz flog: „Eine Woche vorher wurde ich mit der Mannschaft von über 200.000 Menschen gefeiert. Aber nach diesem Spiel wurde ich von sehr vielen angefeindet.“
Am Ende, so Bollenbacher, bleibt vor allem eines: „Allen Gesprächspartnern hängt der Klub noch am Herzen. Egal, wie lange sie schon nicht mehr da sind. Es war sehr schön, durch die Vereinschronik zu pflügen und die Auf und Abs zu zeigen, was ja irgendwie auch die Stärke eines solchen Traditionsklubs ist.“ Und so erzählt „Rise and Fall“ eben nicht nur von Stuttgart, sondern von einem Phänomen: warum diese Klubs trotz aller Krisen nie verschwinden. „Ganz viel hängt natürlich mit der Tradition zusammen“, sagt Bollenbacher. „Den VfB gibt es halt schon seit 1893. Und der Verein war nie eine graue Maus. Entweder hat er für positive Schlagzeilen gesorgt oder für negative. Er ist nie ganz abgetaucht.“ Vielleicht ist das der Kern dieser Doku, und vielleicht auch das Geheimnis des Fußballs in seiner schönsten Form: dass er nicht berechenbar ist wie ein Investorenprojekt, sondern unkontrollierbar, widersprüchlich, manchmal absurd. Ein bisschen wie das Leben selbst.