Sexualisierte Gewalt im Stadion: Wie der VfB Stuttgart Betroffenen helfen will
Tatort Stadion: Frauen sind beim Besuch von Fußball-Spielen immer wieder sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Vorfälle gab es in den letzten Jahren auch in der Mercedes-Benz-Arena des VfB Stuttgart. Der Klub will Betroffenen künftig mit einem Schutzkonzept helfen.
Ein gesamtgesellschaftliches Problem
Sexualisierte Gewalt ist in unserer Gesellschaft weit verbreitet, der Tatort Stadion keine Ausnahmeerscheinung. „Nach repräsentativen Befragungen erleben zwei von drei Frauen in ihrem Leben sexuelle Belästigung. Jede siebte Frau wird Opfer schwerer sexualisierter Gewalt“, schreibt das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).
Übergriff auf die sexuelle Selbstbestimmung
Der Begriff „sexualisierte Gewalt“ bezeichnet dabei jeden Übergriff auf die sexuelle Selbstbestimmung. „Die Täter - weit überwiegend sind es Männer, auch wenn sexualisierte Gewalt ebenfalls von Frauen ausgehen kann - zwingen den Betroffenen ihren Willen auf“, so das BMFSFJ: „Es geht also nicht um Lust oder Erotik, sondern um Machtverhalten. Sexualisierte Gewalt wertet Menschen durch sexuelle Handlungen oder Kommunikation gezielt ab, demütigt und erniedrigt sie.“
Dabei zählen nicht nur körperliche Übergriffe wie Vergewaltigung, sexuelle Nötigung oder sexueller Missbrauch zu dieser Form von Gewalt. Auch sexuelle Belästigungen und „jede Form unerwünschter sexueller Kommunikation“ zählen dazu – also obszöne Worte und Gesten, aufdringliche und unangenehme Blicke, das Zeigen oder Zusenden sexueller Inhalte und/oder von Pornografie.
Experten gehen davon aus, dass solche Vorfälle an jedem Spieltag in jedem Stadion passieren. Zur Anzeige gebracht werden diese jedoch nur selten. Offizielle Zahlen zu Fällen von sexualisierter Gewalt im Fußballkontext gibt es nicht. So führt die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei Nordrhein-Westfalen, die für die bundesweite Erfassung von Straftaten im Rahmen von Fußballspielen verantwortlich ist, in ihren Jahresberichten immer noch keine entsprechende Kategorie.
Vorfälle auch im Stadion des VfB Stuttgart
„Dass man in der Menge berührt oder bewusst angepackt wird, ist fast schon an der Tagesordnung“, erzählte die Studentin Sarah Brinkmann kürzlich der Stuttgarter Zeitung. Gemeldet wurden in den vergangenen vier Jahren jedoch nur vier Vorfälle. Auch bei der Stuttgarter Polizei wurden in den letzten Jahren kaum Fälle zur Anzeige gebracht. Die Dunkelziffer muss allerdings deutlich höher sein - weshalb auch der VfB jetzt reagiert.
Im Heimspiel gegen Union Berlin (09.10.) gab es erstmals ein Hilfe-Telefon (0151 – 44 533 832). Die Telefonnummer ist ab Stadionöffnung bis Spielende besetzt. Außerhalb der Spieltage ist das sogenannte "Team Dächle" jederzeit auch per E-Mail erreichbar: daechle@vfb-stuttgart.de. Nach dem Umbau der Haupttribüne ist zudem eine Anlaufstelle geplant.
Was andere Klubs tun
Andere Bundesliga-Klubs sind da schon einen Schritt weiter. Bei Borussia Dortmund gibt es zum Beispiel unter dem Codewort "Panama" einen Schutzraum für Menschen, die sich unsicher, bedroht oder bedrängt fühlen. Dieser wird von der psychosozialen Notfallversorgung des Deutschen Roten Kreuzes betreut. "Wir erhoffen uns dadurch auch eine bessere Übersicht über Vorfälle zu erhalten, auf deren Basis wir dann unsere Angebote weiter ausbauen und verbessern können", sagt BVB-Geschäftsführer Carsten Cramer.
Beim Zweitligisten Arminia Bielefeld wurde in Zusammenarbeit mit dem Fanprojekt und der Frauenberatungsstelle ein Schutzkonzept an Spieltagen ("Sichere Burg") sowie eine Schulung für Vereinsmitarbeiter entwickelt.
Anfang 2019 wurde zudem ein Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt gegründet. In diesem arbeiten ehrenamtliche und hauptamtliche Vertreterinnen von "Unsere Kurve", der Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte (BAG), dem Netzwerk Frauen im Fußball und der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) zusammen. Bereits veröffentlicht wurde ein Handlungskonzept "zum Schutz der Betroffenen für alle im Zuschauer*innensport Fußball agierenden Akteur*innen".




