VfB gerät unter die Räder: „Zur absoluten Spitze sind es noch ein paar Schritte“
Stuttgart. Es hätte ein Nachmittag werden können, an dem der VfB Stuttgart sein Wachstumszeugnis bekommt. Stattdessen wurde es einer, der zeigte, wie schmal der Grat ist zwischen Mut und Machtlosigkeit – besonders dann, wenn der Gegner den vielleicht gefährlichsten Joker Europas einwechseln kann. Der 0:5-Absturz gegen die Bayern klang brutal, erzählte aber weit mehr als nur eine Geschichte über Tore: Es war ein Spiel, das den Stuttgartern zugleich ihre Fortschritte und ihre Grenzen vor Augen führte. Unsere Analyse zum Spiel.
Sebastian Hoeneß wirkte wie einer, der den Tag schon ein zweites Mal hinter sich hatte. Müde schleppte sich der VfB-Trainer zur Pressekonferenz, nach mehreren TV-Interviews, nach einem dieser Nachmittage, an denen man viel erklären muss und wenig erklären kann. Und statt eines 2:1-Sieges, über dessen Feinheiten man sich gern verzettelt hätte, stand nun ein 0:5 auf dem Zettel. Eine Watschn, wie man sie lange nicht mehr gesehen hat in Stuttgart.
Hoeneß sagte dann einen Satz, der hängen blieb: „Das 0:2 war die spielentscheidende Situation. Damit geben wir das Spiel aus der Hand.“ Und er erklärte, was das in der Praxis bedeutet: Dass man Harry Kane früher stellen müsse, dass der Engländer „einfach präzise auch aus höheren Distanzen“ sei. Der Trainer sagte das nüchtern, fast lehrbuchartig – und doch gibt es für das, was nach der Kane-Einwechslung kam, keine taktische Schablone. Denn das Grundproblem des VfB an diesem Mittag war nicht der eigene Mut. Es war der Cheat-Code des Gegners.
Eine Maschine im Münchner Trikot
Diese Bayern-Mannschaft gleicht mittlerweile mehr einem System als einem Team. Druckvoll, physisch, mit einer Energie, die nicht abnimmt, sondern über die 90 Minuten hinweg immer wieder neu abgerufen wird. Hoeneß sprach später von einer „Benchmark“, einem Maßstab, und es klang nicht wie eine Floskel. „Da sind Spieler, die beim Stand von 3:0 noch jeden Laufweg nehmen. Die Bayern sind das Nonplusultra.“
Und trotzdem: Über eine Stunde lang hielt der VfB dagegen, bot dieser Münchner Walze ein Spiel auf Augenhöhe. Die ersten 65 Minuten – so betonte Hoeneß mehrfach – seien ihm viel wichtiger für die Analyse. Stuttgart hatte Chancen, hatte Zugriff, hatte Momente. Und vor allem hatte es den Mut, mitspielen zu wollen. Bis zur 60. Minute. Bis zu jenem Moment, der diese Begegnung in eine andere Schwerkraft verschob. Wie gewinnt man gegen eine Mannschaft, die einen eingebauten Vorteil besitzt? Einen geheimen Befehl, der alles leichter macht? Ein Cheat-Code, würde man in Videospielen sagen. Der FC Bayern hat einen. Er heißt Harry Kane.
Sebastian Hoeneß sah die Einwechslung, und er wusste, dass nun ein anderes Spiel beginnt. „Da kommt eine enorme Qualität“, sagte er, „aber das zweite Tor können wir als Mannschaft besser verteidigen.“ Der Engländer brauchte sechs Minuten, um das Spiel zu entscheiden. Er brauchte 30 Minuten, um einen Hattrick zu erzielen. Er brauchte keine Startelf, um den Nachmittag in Stuttgart in einen Münchner Triumph zu verwandeln. Das 0:2 – der Stecker. Das 0:3 – der Patzer Nübels, der den Spielverlauf endgültig zerstörte. Das 0:4 – der Elfmeter nach Assignons Handspiel auf der Linie. Es ging dann schnell. Zu schnell für ein Spiel, das lange ein anderes hätte werden können.
Ein Ergebnis, das größer wirkt als die Leistung
Der VfB musste am Ende nicht nur die erste Bundesliga-Heimniederlage der Saison hinnehmen, sondern auch die Erkenntnis, dass man ein paar Schritte von der absoluten Spitze entfernt ist. Sportvorstand Fabian Wohlgemuth formulierte es vorsichtig: „Wir sind über gute, bis sehr gute Ansätze nicht hinausgekommen. Die Niederlage ist deutlich zu hoch ausgefallen.“ Er ergänzte: „Wir werden uns jetzt nicht eingraben. Da bleibt nichts hängen. Dennoch ist uns allen bewusst geworden, dass es zur absoluten Spitze noch ein paar Schritte sind.“ Und auch das ist eine Wahrheit dieses Nachmittags: Stuttgart spielte streckenweise gut, mutig, strukturiert. Aber gegen eine Mannschaft, die mit Kane, mit dieser Bank, mit dieser Physis in der zweiten Hälfte plötzlich das Niveau nach oben schraubt, reicht „gut“ an manchen Tagen nicht. Der Preis dafür war ein Ergebnis, das der Leistung nicht ganz entspricht – aber der Realität dieses Spiels schon.
Ein Dämpfer – oder ein Richtungsweiser?
Der VfB steht nun mit 22 Punkten auf Rang sechs, in der Liga seit drei Spielen ohne Sieg, möglicherweise bald überholt von der Eintracht. Der Jahresendspurt ist kräftezehrend, und die Frage, ob die Stuttgarter ins Straucheln geraten, wird nicht lange unbeantwortet bleiben: Schon am Donnerstag kommt in der Europa League Maccabi Tel Aviv in die Arena. Hoeneß wirkte müde an diesem Abend, aber nicht ratlos. Er lobte seine Mannschaft, er lobte die Bayern, und er sagte dann einen Satz, der für den VfB vielleicht wichtiger ist als alle taktischen Details: „Der Anspruch bleibt hoch. Auch nach einem 0:5.“ Manchmal liegt der Fortschritt nicht im Ergebnis, sondern darin, dass man weiß, wie weit der Weg zur Spitze noch ist – und dass man ihn trotzdem gehen will.



