VfB Stuttgart

VfB-Keeper Alexander Nübel im Fokus: Die Aura des Unüberwindbaren schwindet

Fußball VfB Stuttgart vs. Union Berlin - 1
Zuletzt patzte VfB-Keeper Alexander Nübel im Heimspiel gegen Union Berlin. © Volker Müller

Stuttgart. In der Vizemeister-Saison des VfB Stuttgart war Torhüter Alexander Nübel einer der entscheidenden Faktoren, der den Traditionsverein von 1893 zurück auf die internationale Bühne gebracht hat - vielleicht sogar der entscheidende. Die Bayern-Leihgabe stabilisierte die schwäbische Defensive und war zentraler Baustein im mutigen Ballbesitzspiel von Cheftrainer Sebastian Hoeneß. In dieser Runde jedoch kann der 28-Jährige wie viele seiner Teamkollegen bislang noch nicht an die Leistungen und die Konstanz aus dem Vorjahr anknüpfen – warum ist das so?

Vorneweg: Von einer handfesten Torhüterdiskussion ist man am Wasen so weit entfernt wie der Stuttgarter Tiefbahnhof von seiner Eröffnung. Das unterstrich auf der Pressekonferenz vor dem wichtigen Champions-League-Spiel gegen Young Boys Bern (11.12./21 Uhr) auch noch einmal Sebastian Hoeneß. „Er hat einen richtig guten Eindruck auf mich gemacht in der Trainingswoche“, so Hoeneß mit Blick auf den jüngsten Nübel-Fauxpas im Heimspiel gegen Union Berlin am vergangenen Freitag, „und das ist für mich das Entscheidende. Alex kann die Dinge sehr gut einschätzen. Bei ihm besteht nicht die Gefahr, dass er irgendetwas relativiert oder über etwas drüber geht. Genau deswegen ist er auch in der Lage, sofort eine Reaktion zu zeigen.“

Fabian Rieder und Sebastian Hoeneß stärken Alexander Nübel den Rücken

Seine Nummer eins habe vielmehr „schon seit längerer Zeit wieder ein richtig gutes Niveau. Er hat uns im einen oder anderen Spiel auch richtig geholfen“, so Hoeneß. So sieht es auch Offensivmann Fabian Rieder: „Diese unglückliche Szene gegen Union wird ihn definitiv nicht aus der Bahn werfen. Dafür hat er viel zu viel Qualität und ist auch erfahren genug.“

An interner Rückendeckung mangelt es Nübel also keineswegs. Dennoch wird angesichts der in dieser Spielzeit überaus anfälligen Stuttgart Abwehr (37 Gegentore in 22 Pflichtspielen) in der Öffentlichkeit auch die Rolle des Torhüters kritisch in den Blick genommen. Und hier fällt auf: Der Nimbus der Unfehlbarkeit ist weg, die Aura des Unüberwindbaren schwindet. Auch Nübel patzt. In Freiburg, in München, in Belgrad, in Madrid – und zuletzt zu Hause gegen Union Berlin (3:2).

Zu diesen klaren Patzern   reiht sich eine subjektive Wahrnehmung vieler Stadiongänger. Pflückte Nübel in der Saison 23/24 gefühlt neun von zehn Hereingaben sicher herunter, so sorgen derzeit gerade gegnerische Ecken regelmäßig für große Alarmstimmung im VfB-Sechzehner. Die Gründe dafür? Schlechtes Timing, ausbaufähige Abstimmung, mangelnde Entschlossenheit – sowohl beim Keeper als auch bei seinen Vorderleuten. Die fast schon ikonischen „Nübel! Nübel! Nübel“-Sprechchöre schallen in dieser Runde jedenfalls deutlich seltener durch die MHP-Arena.

Wie Torwart-Experte Sascha Felter die aktuelle Nübel-Form bewertet

Die objektiven Daten untermauern das. Nübel habe in dieser Saison lediglich 3 Prozent der gegnerischen Flanken abgefangen. Im Vorjahr waren es 8,8 Prozent, wie der Torhüter-Experte Sascha Felter recherchiert hat. „Was nicht herausragend, aber immerhin überdurchschnittlich war“, so Felter zur Einordnung.

Bei Nübel, so Felter, sei derzeit immer alles drin: „Von Champions League bis hin zu Kreisklasse.“ Felter, 28 Jahre alt, Torwarttrainer und branchenweit geschätzter Autor und Podcaster, hat auch die Defizite in Sachen Strafraumbeherrschung im Blick. Derzeit kranke es „schon bei den Basics“.

Daran hat selbstredend nicht nur Nübel seinen Anteil. Auch - oder gerade - der Stammtorhüter kämpft besonders mit dem Fakt, dass die Stuttgarter Innenverteidigung im Sommer komplett neu gestaltet wurde. Die stabilen und spielstarken Waldemar Anton und Hiroki Ito haben den Klub verlassen, Jeff Chabot kam neu hinzu. Und da gerade zu Saisonbeginn die Personallage in der Hintermannschaft aufgrund von Verletzungen äußerst angespannt war, konnte sich hier noch kein sturmfestes Zentrum herausbilden. Mal spielten Chabot und Rouault, mal Chabot und Chase, mal Chabot und Stiller. Die Konsequenz der vielen Wechsel: Instabilität resultierend aus fehlender Eingespieltheit. Auch mit Blick auf diverse Fernschuss-Gegentore, so die Meinung von Sascha Felter, habe Nübel abgebaut.

Weiter beeinflusst den Fall Nübel auch ein Aspekt, der viele VfB-Profis betrifft. Nicht nur Nübel wird nach der Fabel-Saison 23/24 an anderen Maßstäben gemessen. Vermutlich legt der ehrgeizige Schlussmann diese zuvorderst an sich selbst an. Famose Auftritte wie beim 0:0 in Leverkusen, als Nübel seiner Mannschaft mit etlichen Paraden ein Remis sicherte, sollten demnach eher die Regel als die Ausnahme sein. Und haben den gebürtigen Paderborner sogar bis ins Tor der DFB-Auswahl gebracht. „In jedem Fall ist die Phase für Nübel spannend, weil er nun als Führungsspieler mehr reifen muss“, sagt Experte Felter. Wie viele seiner Kollegen auch. Entscheidend wird also sein, wie sich die Leistungen des 1,93 Meter großen Torwarts weiterentwickeln.

Warum auch der FC Bayern die aktuelle Nübel-Form genau beobachten wird

Sehr genau beobachtet wird die aktuelle Nübel-Form nämlich mit Sicherheit auch von München aus. Dort soll der Ostwestfale eines fernen Tages in die großen Fußstapfen von Manuel Neuer treten. Oder vielleicht doch nicht? Schließlich haben die Bayern laut diverser Medienberichte längst auch ein Auge auf den 21 Jahre alten Niederländer Bart Verbruggen von Brigthon geworfen. Auch an der Isar will man gerüstet sein, sollte die nach wie vor favorisierte Variante mit Nübel entgegen der aktuellen Planungen doch einer Korrektur bedürfen.

Aber bis dahin sind noch einige Spiele zu absolvieren. Und damit genug Zeit für Nübel, um zu zeigen, dass er bereit ist für den nächsten Karriereschritt. Dafür muss er sich die Aura des Unüberwindbaren wieder aneignen. Die ist letztlich unabänderliche Grundvoraussetzung für die Übernahme des bayrischen Tors in Tradition von Maier, Kahn, Neuer und Co. – übrigens auch mit Blick auf die Nationalelf. Aber niemand weiß das vermutlich besser als Alexander Nübel.

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