Wie steht es um die Talente beim VfB? Nachwuchs-Chef Krücken im Interview
Seit knapp vier Jahren ist Thomas Krücken für den Nachwuchs beim VfB Stuttgart verantwortlich. Der Leiter des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ) hat in dieser Zeit viel erlebt: Einen Abstieg, fünf Trainer und zwei Sportdirektoren. Wie läuft die Zusammenarbeit mit dem aktuellen Chefcoach Bruno Labbadia und Kaderplaner Fabian Wohlgemuth? Welche Zukunft haben die VfB-Talente bei den Profis? Schafft bald ein Eigengewächs den großen Durchbruch? Wir haben mit dem NLZ-Chef gesprochen.
Am vergangenen Wochenende sind die Saisons im Übergangsbereich (U17 und U19) zu Ende gegangen. Nachdem die U17 im vergangenen Jahr im Finale um die Deutsche Meisterschaft stand, hat es in diesem Jahr knapp nicht gereicht. Wie bewerten Sie das Abschneiden der B-Jugend?
„Wir haben eine sehr gute und konstante Runde gespielt und dabei in der Liga die meisten Tore erzielt und die wenigsten kassiert. Vor der Saison gab es einen Umbruch. Es kamen sechs neue Spieler in die Gruppe, die sich schnell integriert haben. Das Trainerteam hat einen hervorragenden Job gemacht, die Spieler haben sich sehr gut entwickelt. Schade, dass es am letzten Spieltag trotz des Sieges in Augsburg nicht zum Staffelsieg gereicht hat. Aus dieser U17 rücken spannende Talente in die U19 auf.“
Stichwort U19: Unter Trainer Nico Willig hat die A-Jugend die Saison auf einem enttäuschenden achten Platz abgeschlossen. Und dass, obwohl dieser Jahrgang mit Nachwuchsspielern wie Laurin Ulrich oder Dennis Seimen als sehr talentiert gilt. Was ist da schiefgelaufen?
„Die Gruppe ist unter den Erwartungen geblieben. Die Saison war gekennzeichnet durch wenig Konstanz, was auch vielen krankheits- und verletzungsbedingten Ausfällen geschuldet war. Wir hatten wenige gute Phasen, wo wir an unser Leistungslimit gekommen sind. Wir glauben fest an die Qualität unserer Talente, haben aber Themen selbstkritisch aufzuarbeiten. Es gehört auch zu der Entwicklung eines Leistungssportlers dazu, mit den Widerständen umzugehen und den Tatsachen in die Augen zu schauen. Das ist ein wichtiger Prozess, daraus wollen wir die richtigen Schlüsse ziehen.“
Es gibt Gerüchte, dass U19-Trainer Nico Willig den VfB verlassen könnte. Stimmt das?
„Nico ist ein wichtiger Trainer in unserem Ausbildungsteam im NLZ und steht bei uns noch ein Jahr unter Vertrag. Auf mich ist noch kein anderer Verein zugekommen. Ein NLZ ist immer auch eine Entwicklungswerkstatt eines Vereins. Wir entwickeln nicht nur Spieler, sondern auch Mitarbeiter und Trainer. Dass ein Trainer wie Nico Willig Begehrlichkeiten weckt, ist normal und für uns als NLZ ja auch ein Erfolg, wenn ein Trainer den nächsten Entwicklungsschritt geht. Dies gehört dazu und es rücken immer jüngere Trainer nach.“
Gibt es dadurch Unruhe im NLZ?
„Wir sind progressiv dabei, unsere Strukturen, Prozesse und Inhalte weiterzuentwickeln und unsere Fachbereiche noch besser miteinander zu verzahnen. Diesen Fokus erlebe ich bei uns. Zudem planen wir aktuell die Kader für die neue Saison. Wir wollen unsere ambitionierten Ziele erreichen und haben in allen Jahrgängen spannende Spieler. Die Lust, Spieler zu entwickeln, spüre ich bei unseren Mitarbeitern.“
Schauen wir auf das Tagesgeschäft. Mit Fabian Wohlgemuth hat der VfB einen neuen Sportdirektor. Wie läuft die Zusammenarbeit mit ihm?
„Die Zusammenarbeit läuft gut. Wir haben einen regelmäßigen Austausch und treffen uns alle zwei Wochen mit Alexander Wehrle, Christian Gentner, Fabian Wohlgemuth und Markus Rüdt und besprechen strategische Themen rund um das NLZ.“
Viele Fans trauern dem Ex-Sportdirektor Sven Mislintat hinterher und befürchten, dass der Nachwuchs nach seinem Abgang zu kurz kommt. Was sagen Sie dazu?
„Beim VfB hat die Nachwuchs-Förderung eine große Bedeutung. Das ist die generelle Ausrichtung des Vereins, nicht einer Person. Das Interesse und der Austausch mit dem NLZ ist bei Fabian hoch.“
Neben dem Sportdirektor müssen Sie auch mit einem neuen Trainer zusammenarbeiten. Bruno Labbadia ist seit Dezember 2022 an Bord. Wie läuft die Zusammenarbeit mit ihm?
„Bruno Labbadia ist den Nachwuchsspielern gegenüber total offen. Er hat einen hohen Leistungsanspruch und ist fair im Umgang mit den jungen Spielern. Er hat immer ein offenes Ohr und wird Leistung belohnen. Wir tauschen uns einmal in der Woche mit dem Trainerteam über die Spieler im Übergangsbereich aus.“
Haben die jungen Spieler überhaupt eine Chance, im Abstiegskampf unter Bruno Labbadia zu spielen?
„Wer Leistung zeigt, wird auch belohnt. Er bewertet das, was er sieht. Die Türe für die Spieler ist offen, wenn sie Leistung zeigen. So war es auch bei Thomas Kastanaras, der sein Startelf-Debüt feierte.“
Seit Jahren hat es kein Talent aus dem eigenen Nachwuchs geschafft, sich in der Startelf beim VfB festzuspielen. Ist das ein strukturelles Problem?
„Wir haben einige Spieler aus dem Nachwuchsbereich, die sich regelmäßig bei den Profis im Training zeigen dürfen. Die Türe steht offen. Wir haben das Ziel, dass bald wieder Spieler aus dem NLZ in der Startelf stehen. Bei der Qualität, die einige Talente bei uns haben, können wir das Ziel erreichen. Jetzt ist es unsere gemeinsame Verantwortung und unser Job, dass einige Jungs in der Bundesliga ankommen. Das entscheiden sie mit ihrer Leistung, aber auch wir mit unserer Art der Unterstützung. Das ist unsere Ausrichtung.“
Sehen wir bald mal wieder ein Eigengewächs, das den großen Durchbruch beim VfB schafft?
„Der Nachwuchs genießt einen hohen Stellenwert, der Verein möchte die Jungen Wilden wieder aufleben lassen. Ich bin davon überzeugt, dass wir in unseren Reihen Talente haben, die die Qualität haben, um das zu schaffen.“
Mit Dennis Seimen, Laurin Ulrich oder Samuele di Benedetto hat der VfB aus dem 05er-Jahrgang einige vielversprechende Talente in den eigenen Reihen. Welche Perspektive können Sie den Nachwuchsspielern anbieten?
„Wir haben nicht nur einen guten 2005er-Jahrgang. Wir werden Spieler, die noch A-Jugend spielen könnten, punktuell in die U21 ziehen – so wie diese Saison bereits Raul Paula. Das Ziel ist, die Spieler frühzeitig schon an Männerfußball zu gewöhnen. Da werden wir aber Talent für Talent entscheiden, welchen Schritt der einzelne Spieler geht. Am letzten Spieltag der U21 standen sieben Spieler aus dem NLZ in der Startelf, zwei weitere wurden eingewechselt. Auf diese Entwicklung bin ich stolz.“
Sie leiten jetzt seit fast vier Jahren das NLZ beim VfB. Wie fällt Ihr Fazit aus?
„Ich finde, dass wir in den letzten Jahren große Schritte gegangen sind, was in der Branche auch so wahrgenommen wird. Das letzte Jahr war ein Highlight für uns mit dem Sieg des DFB-Pokals der U19. Die U17 hat eine ganze Saison ohne Niederlage den Weg bis ins Endspiel um die Deutsche Meisterschaft geschafft. Sieben unserer NLZ-Spieler haben bei der U17-EM ihre Fahnen vertreten, europaweit haben wir mit Lissabon die meisten Spieler abgestellt. Wir haben eine gute Kultur im NLZ, unsere Mitarbeiter und Trainer entwickeln sich stets weiter. Optimierungspotentiale gehen wir an. Diesen Weg wollen wir so weitergehen.“
Was konkret kann der VfB im Nachwuchsbereich verbessern?
„Wenn wir den Spieler der Zukunft ausbilden, ist der Bereich ‚Kognition‘ bei weitem noch nicht ausgereizt. Wie können wir im Fußball mentales Training so initiieren, dass der Spieler bei seinen Entscheidungen besser wird? Wie entwickeln wir Spieler zu ‚Entscheidern‘ auf und neben dem Platz? Mit solchen Themen setze ich mich auseinander. Wir müssen heute ausbilden, was der Fußball in fünf Jahren braucht. Wir müssen weiterdenken.“
Was unterscheidet die Nachwuchsarbeit in Stuttgart von der Konkurrenz?
„Was uns von anderen Clubs in der Ausbildung unterscheidet ist unsere Herangehensweise der ‚Spielerzentrierung‘. Wir wollen und werden unser Potenzial-Training im Detail noch weiter verbessern und den Übergangsbereich inhaltlich optimieren. Im Bereich der Mitarbeiterentwicklung wollen wir besser werden, da sie der Schlüssel dafür sind, dass unsere Talente optimal gefördert und gefordert werden.“
Und Sie persönlich: Wo wollen Sie sich weiterentwickeln?
„Ich absolviere im Moment den Sportdirektoren-Lehrgang von DFB/DFL und besuche parallel dazu Führungskräfte-Seminare. Weiterentwicklung gilt nicht nur für unsere Spieler und Mitarbeiter, sondern natürlich auch für mich, da möchte ich auch ein Vorbild für unsere Kolleginnen und Kollegen sein. Der Lehrgang macht mich zu einem besseren NLZ-Direktor.“