Protest gegen Grüne in Biberach eskaliert: Was wusste die Querdenker-Szene?
Der Protest gegen den Politischen Aschermittwoch der Grünen im schwäbischen Biberach an der Riß ist am Mittwochvormittag (14.02.) eskaliert. Das sorgte bundesweit für Aufsehen. Die Veranstaltung, zu der auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann angekündigt war, wurde daraufhin abgesagt. Am Abend kam es zu einer weiteren Eskalation in Schorndorf, nachdem die Querdenker-Szene dort zum politischen Aschermittwoch mit Grünen-Chefin Ricarda Lang mobilisiert hatte. Unsere Recherchen zeigen: Auch in Biberach war man in der Szene im Voraus überaus gut informiert. Eine Rekonstruktion.
Bilder aus Biberach in allen Medien: Querdenker-Telegram ist begeistert
Die Bilder aus Biberach gingen am Mittwoch durch ganz Deutschland: Ein dampfender Misthaufen, wütende Protestierende, Polizisten, die mit Pfefferspray in die Menge sprühen. Wie mehrere Medien übereinstimmend berichten, eskalierte die aufgeheizte Situation vor dem geplanten Politischen Aschermittwoch der Grünen, als Landwirtschaftsminister Cem Özdemir vorfuhr. Rauchbomben seien geflogen, die Scheibe eines Wagens aus Özdemirs Konvoi eingeschlagen worden. Im Laufe des Tages solidarisierten sich Vertreter anderer Parteien mit den Grünen und verurteilten die Störversuche und Angriffe.
Während dieses kollektiven Kopfschüttelns und Verurteilens herrschte anderswo ausgelassene Stimmung angesichts der Bilder aus Biberach: Auf Telegram. Die Querdenker-Szene und rechtsextreme Kanäle zeigten sich entzückt über die Wut, die den ihnen verhassten Grünen entgegenschlug. Ein Kanal der Querdenker-Szene schien ganz besonders gut informiert zu sein über das, was sich in Biberach abgespielt hatte. Und zwar schon einen Tag im Voraus. Betrieben wird er von einem Mann, der nach eigenen Angaben aus Ravensburg kommt.
"Veranstaltungstipp": So hämisch mobilisiert die Querdenker-Szene auf Telegram
"Veranstaltungstipp für den 14.02.2024" hieß es in diesem Kanal schon am Dienstag (13.02.). Dazu Infos zum Politischen Aschermittwoch der Günen in Biberach. "Das wird ein Spaß, endlich richtig gute Politiker begrüßen zu dürfen." Es ist nicht das erste Mal, dass diese Formulierung in Zusammenhang mit der Veranstaltung auf Telegram auftaucht. Bereits am 4. Februar findet sich ein Beitrag aus einem Stuttgarter Querdenker-Kanal mit teilweise wortgleichen Formulierungen. Und auch die Art der Mobilisierung ist nicht neu – so etwas findet man bei Grünen-Veranstaltungen häufig. Warum der Kanal aus dem Raum Ravensburg aber hervorsticht: Der Betreiber wusste offenbar detailliert über die Planungen für den Protest Bescheid.
So beschrieb der Mann auf Telegram beispielsweise, wo sich die Sammelstellen für die Fahrzeuge finden, und wann man dort zu sein habe. Er beschrieb, wie die Traktoren zu fahren haben, bis hin zur gewünschten Reisegeschwindigkeit und dem idealen Maximalabstand zwischen den Fahrzeugen. "Wir fahren zügig und geschlossen als Verbund." Interessant ist auch: Der Mann gibt im Beitrag an, für den verschwörungsideologischen Youtube Kanal "Klardenken TV" live von vor Ort berichten zu wollen.

Video auf Youtube: "Hier sind ja ein paar interessante Aktionen geplant"
Tatsächlich findet sich auf seinem Youtube-Kanal ein mehr als zwei Stunden langes Video. Er begleitet den Protest bis zu den Tumulten vor der Stadthalle. Dabei macht er schon zu Beginn Andeutungen, genau darüber Bescheid zu wissen, was noch folgen werde. Zitat aus dem Video: "Hier sind ja ein paar interessante Aktionen geplant, die ich jetzt noch nicht verraten mag." Was er damit genau meint, bleibt offen. Er spricht außerdem von Informationen, der er aus "unserem Netzwerk" habe, die über das weitere Vorgehen der Landwirte Aufschluss geben würden. Teile seines Videomaterials finden sich auch bei "Klardenken TV".
Nach mehreren Hinweisen ist es uns gelungen, den Betreiber des Telegram-Kanals aus Ravensburg zweifelsfrei zu identifizieren. Er ist seit längerem in der Querdenker-Szene aktiv, teilt QAnon-Verschwörungsinhalte ebenso wie Inhalte aus extrem rechten Kanälen. Auf eine Anfrage unserer Redaktion reagierte er bislang nicht. Seine Beiträge zu Biberach fanden teilweise auch ihren Weg in die Region rund um Stuttgart – wo es am Abend ebenfalls zu einer Eskalation kam. Protestierende verfolgten und beschimpften Ricarda Lang nach dem politischen Aschermittwoch in Schorndorf. Auch hier war die Szene vorab bestens über den geplanten Protest informiert.
Umsturz-Fantasien: Querdenker-Szene will Bauernproteste vereinnahmen
Schon von Beginn an versucht die Querdenker-Szene, die Proteste für sich zu vereinnahmen. Man träumte früh vom "Generalstreik", der ganz Deutschland lahmlegen und den Weg freimachen sollte für den Umsturz. Es kam nicht dazu. Als im Januar in Stuttgart Landwirte und Handwerker demonstrierten, gelang es der Szene, mehrere Rednerinnen und Redner ans offene Mikrofon zu bringen. Man versucht Bilder zu produzieren, die suggerieren, man habe dasselbe Anliegen. Man protestiere gegen die Regierung, gegen "die da oben". Ampel-Galgen spielen dieser Deutung in die Karten.
Den Ton gibt die Querdenker-Szene bei den Protesten in Baden-Württemberg nach unseren Beobachtungen trotz aller Versuche nicht an. Der Verfassungsschutz sieht keine Unterwanderung des Bauernprotests, der Bauernverband distanzierte sich mehrfach von verfassungsfeindlichen Gruppierungen. Nur: Wieso weiß die Querdenker-Szene Stunden vor geplanten Protesten, an denen sich offensichtlich auch Landwirte beteiligen, darüber im Detail Bescheid? Wie stark ist man mit Landwirten vernetzt?
Querdenker zu Eskalation: "Die wollen diesen Krieg haben"
Bei einigen Demos, die zuletzt stattfanden, stellen sich auch noch andere Fragen: Ist das überhaupt noch ein reiner Bauernprotest? Wie viele Landwirte nehmen tatsächlich teil, wie prägend sind agrarpolitische Forderungen für den Charakter der Demo? In Biberach und Schorndorf erhärtete sich jedenfalls der Eindruck: Hier protestieren auch nicht wenige Menschen, die mit Landwirtschaft nichts am Hut haben – und ihre ganz eigene Agenda verfolgen.
Der Betreiber des Ravensburger Querdenker-Kanals meldete sich nach der Eskalation in Biberach bei seinen über tausend Followern auf Telegram, zeigte sich begeistert, dass die Bilder "auf allen Sendern viral" gehen. In einer Sprachnachricht wetterte er mit üblen Beleidigungen gegen öffentlich-rechtliche Medien, die angeblich falsch berichten würden. Die Polizei sei schuld an der Eskalation, niemand habe provoziert. Gleichzeitig behauptet er, es seien Provokateure eingeschleust worden – eine Behauptung, die sich immer wieder findet, wenn Proteste mit Szene-Beteiligung in Gewalt umschlagen."Es wird nicht friedlich ausgehen, also überlegt euch gefälligst, auf welcher Seite ihr steht", sagt er. "Die wollen diesen Krieg haben."