Seltene Krankheit: Waiblinger Familie hofft auf normales Leben für Bennett
Waiblingen. Das Leben von Familie Klaus ist unplanbar. Jede Nacht kann für ihren Sohn Bennett eine Lebensgefährliche sein. Der Zehnjährige leidet an einem seltenen Gendefekt, der seit seinem zweiten Lebensjahr zu schweren epileptischen Anfällen führt. Mikroduplikation 1q21.1 ist der Name der bisher kaum erforschten Krankheit. Momentan setzt die Familie große Hoffnungen in ein Forschungsprojekt der Universität Cardiff. Damit es losgeht, werden 90.000 Euro benötigt. Kann ein Spendenaufruf helfen? Und wie bewältigen die Klausens ihren nicht planbaren Alltag?
Epilepsie: Angst vor lebensbedrohlichen Krämpfen
Wenn Bennett schläft, sind drei Kameras auf ihn gerichtet. Ein Messgerät an seinem Fuß misst Puls und Sauerstoffgehalt. Eine Sauerstoffflasche, ein Gerät zur künstlichen Beatmung und verschiedene Notfallmedikamente liegen in seinem Kinderzimmer griffbereit. Im Raum nebenan halten seine Eltern Nacht für Nacht wache, um jederzeit reagieren zu können, falls Geräusche über das Tablett zu hören sind. Zwei, drei Mal in der Woche werden sie von Mitarbeitern eines ambulanten Pflegedienstes unterstützt - wenn es geht an den Tagen, an denen Jan Klaus beruflich unter der Woche unterwegs ist. Am Wochenende übernimmt er die Wache, damit seine Frau schlafen kann.
Bennetts Leben und das seiner Eltern ist von epileptischen Anfällen geprägt, die wellenartig kommen und gehen, wie Jan Klaus es beschreibt. In manchen Nächten kommen die Anfälle im Stundentakt. Zwischen seinem sechsten und neunten Geburtstag hatte Bennett „keine Nacht ohne lebensbedrohlichen Krampf“ . „Noch heute gehen wir abends nicht ins Bett, ohne Angst davor zu haben, wie viele lebensbedrohliche Anfälle wir in dieser Nacht versorgen müssen“, berichtet Carmen Klaus.
Spendenaufruf auf Crowdfunding-Plattform „GoFundMe“
Die ersten Stunden seines Lebens verbrachte Bennett auf der Intensivstation. „Er konnte weder normal atmen noch ernährt werden“, erzählt seine Mutter. Er sei nur entwicklungsverzögert, bekamen sie und ihr Mann von den Ärzten zu hören. Das könne er schon aufholen. Doch „plötzlich hatten wir immer mehr Baustellen“, berichtet die 45-Jährige. „Keiner wusste, was mit ihm los ist.“ Zwei Jahre nach seiner Geburt begannen die epileptischen Anfälle. Carmen Klaus musste schnell lernen, wie man reanimiert. Immer wieder ereilten Bennett Anfälle, die einen plötzlicher Tod verursachen können, Sudep („sudden unexpected death in epilepsy“) ist der medizinische Fachbegriff dafür. Bennett war drei, als die Ärzte seinen Brustkorb öffnen mussten und er einen Herzschrittmacher erhielt.
Um die Epilepsie - ohne Medikamente, die bei Bennett wirkungslos bleiben - in den Griff zu bekommen, setzen seine Eltern auf die ketogene Diät, also wenig Kohlenhydrate, dafür viel Fett und reichlich Proteine. Alles musste genau abgewogen und aufgegessen werden, auch wenn Bennett nichts mehr wollte. Es half, aber mit Nebenwirkungen: „Das hat unserer Beziehung brutal geschadet“, sagt Carmen Klaus. Zwei Jahre ernährten seine Eltern ihn so. Kurz vor der Einschulung wurde bei einer Untersuchung eine Stauungspapille hinterm Auge entdeckt, ein Pseudotumor, wie sich herausstellte. Um die Erblindung zu verhindern, musste die ketogene Diät eingestellt werden - und wirkte später nicht wieder, auch nicht in Form von Flüssigketogenen, die seine Eltern ausprobieren ließen.
„Seitdem hat Bennett Tausende von Anfällen erlitten.“ Es ist, als habe sie zwei Kinder, meint Carmen Klaus: An einem Tag macht sich ihr Sohn in die Hose, muss über einen Button ernährt werden, sabbert. Dann ist er „eine Hülle von Körper“, beschreibt sie den Zustand. Am nächsten Tag ist er fröhlich und lustig, fährt Rad, spielt Fußball, geht gerne schwimmen, holt Brötchen vom Bäcker. Dieser Bennett lässt sie und ihren Mann „kämpfen“. Erschwert wird dieser Kampf, unter anderem deswegen, weil Bennett, der außerdem an Autismus und ADHS leidet, auf Medikamente paradox reagiert. „Bei ihm bewirken sie das Gegenteil von dem, was sie machen sollen.“
„Deutscher Dr. House“ konnte nicht helfen
Auch wenn Bennett inzwischen die zweite Klasse das Rohräckerschulzentrum in Esslingen besucht - Normalität sieht anders aus. Er hat in seinem jungen Leben schon viele Krankenhäuser gesehen und zahlreiche Ärzte getroffen. Einer davon ist Professor Thorsten Marquardt, Stoffwechselspezialist am Universitätsklinikum Münster. Er gilt als der deutsche Dr. House, wie Carmen Klaus sagt. „Wir haben über ein Jahr angeklopft.“ Zwei Monate probierte der Mediziner sein Glück. Bislang erfolglos, weitere Bemühungen sind jedoch nicht ausgeschlossen. „Ich suche weiterhin den Kontakt zu ihm, um Forschungsfortschritte nicht zu verpassen und jede mögliche Chance für unseren Sohn zu nutzen.“
Über eine amerikanische Selbsthilfegruppe (deutsche Ableger gibt es bisher keine) kam die Familie in Kontakt mit einem New Yorker Arzt, dessen Sohn dieselbe Diagnose erhielt wie Bennett. Leider stellte sich heraus, dass es „zwei Klassen“ von Mikroduplikation 1q21.1 gibt. Der Arzt steckt seine privaten Mittel in die Erforschung von Klasse eins. Bennetts Klasse, die zweite, könnte ab Dezember an der Universität Cardiff, Wales, erforscht werden. Dort „soll aus Bennetts Blut ein Organoid konstruiert werden“, und zwar mit gehirnähnlichen Strukturen. „Damit wollen die Forscher herausfinden, welche Bereiche seines Gehirns ,repariert’ oder medikamentös behandelt werden könnten. Im Anschluss hoffen wir, dass entweder ein bereits bestehendes Medikament oder – falls nötig – ein individuelles Präparat entwickelt werden kann, um Bennetts Symptome zu lindern.“
Ein Postdoktorand wurde bereits gefunden, müsste allerdings mit rund 90.000 Euro pro Jahr finanziert werden. Über diese Summe läuft seit Ende September dieses Jahres ein Spendenaufruf auf der Crowdfunding-Plattform „GoFundMe“. Über 17.000 Euro sind bereits eingegangen (Stand 13.11.). 180.000 Euro werden für die zweijährige Forschung benötigt. Auch dieses Mal gibt es „keine Garantie“, dennoch wollen Carmen und Jan Klaus diese Chance möglichst nicht unversucht lassen und sind bereit, „den größten Teil der Summe“ selbst zu stellen. Je nachdem wie viel nach der Spendenaktion noch offenbleibt. „Wir wollen uns finanziell nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen“, sagt Carmen Klaus. Sie wüssten einfach nicht, was noch auf sie zukommt, sagt die Vertrieblerin, die ihren Beruf vor einigen Jahren aufgab und inzwischen mit einem Arbeitstag in der Woche wieder eingestiegen ist. Sie denkt dabei unter anderem an Heimkosten, die irgendwann wahrscheinlich aufgebracht werden müssen.
Von dem Forschungsprojekt erhoffen sich die Klausens Bennett „ein normales Leben zu ermöglichen“. „Er soll wie ein normales Kind aufwachsen, ohne immer wieder ins Krankenhaus zu müssen.“



